Kirche schafft Gemeinschaft © Walter Ludin/Touristen vor der Kirche in Rethymnon, Kreta
Walter Ludin

Wozu braucht es die Kirche?

(Mein Wort zum Sonntag vom 26. April für Radio Central gibt es im Wortlaut ausnahmsweise erst heute. Es ist inzwischen noch aktueller!)

Ich verspreche es: Heute werde ich nicht über das Thema reden, über das alle reden – oder wenn, dann ganz am Rand.

Ich gehe heute auf eine Frage ein, die immer mehr Zeitgenossen stellen, nämlich: «Braucht es überhaupt eine Kirche?» Es fällt mir auf, dass immer häufiger zu hören ist: «Ohne Kirchen, ohne Religion würde die Welt besser, friedlicher aussehen.»

Ja, warum ist Kirche sinnvoll, ja notwendig? Zuerst die Gegenfrage: «Was wäre in Ihrer Gemeinde anders, wenn es die Kirche nicht gäbe?» Diese Frage können nur Sie beantworten. Und ich vermute, dass Sie dabei darauf stossen, dass es ohne Kirche weniger Gemeinschaft gäbe.

Es ist zwar nicht mehr wie in früheren Zeiten, die viele von uns noch erlebt haben. Wenn wir am Sonntag in die Messe gegangen sind, haben wir Menschen angetroffen, die man sonst nur selten gesehen hätte. Ich denke da an meinen Vater, einen Kleinbauern auf einem abgelegenen Hof. Wenn es den Sonntagsgottesdienst nicht gegeben hätte, wäre er fast nie unter die Leute gekommen.

Also: die Kirche schafft Gemeinschaft.  Sie tut es heute noch, wenn auch in anderer Form. Vor allem aber: Die Kirche leistet ihren Beitrag, dass die Welt menschlicher wird. Viele von euch kennen wohl das Wort des deutschen Schriftstellers Heinrich Böll, einem sehr gläubigen, aber auch kirchenkritischem Menschen.

Böll hat gestanden, dass er sogar die schlechteste christliche Welt der besten heidnischen vorziehen würde. Denn in einer christlichen Welt gibt es Platz für Behinderte und Kranke, Alte und Schwache, kurz: für die, wo nutzlos erscheinen. Und ich möchte zufügen: für die, wo bloss als Kostenfaktor erscheinen, weil sie zum Beispiel eine Altersrente bekommen oder unter grossem Aufwand medizinisch versorgt werden.

Vielleicht haben Sie festgestellt, dass Heinrich Böll nicht von der Kirche redet, mit der er so grosse Mühe gehabt hat. Er meint das Christentum. Aber es ist sicher: Ohne Kirche hätte der christliche Glaube nicht 2000 Jahre überlebt. Er wäre schon lange verdunstet.

Jetzt sind wir schon fast am Ende von diesem Sonntagwort. Und ich möchte – wie  ich am Anfang gesagt habe – am Rande doch noch auf das Corona-Virus eingehen. Dabei kann ich zweifellos an Böll anschliessen. Denn je länger die Krisenzeit dauert, umso mehr stellt sich die Frage: Wie viel darf es der Gesellschaft, vor allem der Wirtschaft kosten, dass sie auf die Gesundheit, sogar auf das Überleben der Alten, Schwachen, Kranken Rücksicht nimmt?

Und da ist die Stimme der Kirche wichtig, ja notwendig. Sie erinnert daran, dass auch das – wie die Nazis gesagt haben – «lebensunwerte» Leben einen Wert, einen Sinn. Dafür dürfen wir dankbar sein.

PS: Zwei Tage nach der Ausstrahlung wurde mein «Wort» noch aktueller. Am Dienstag meinte Boris Palmer, der (grüne!) Bürgermeister von Tübingen: «Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters.»

Ähnlich argumentierte der zweithöchste Deutsche, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU!), den Schutz des Lebens gäbe es nicht absolut.

Der Tagesspiegel kommentierte: «Welches Mass an Menschlichkeit wollen wir uns leisten?»

Kirche schafft Gemeinschaft © Walter Ludin/Touristen vor der Kirche in Rethymnon, Kreta
30. April 2020 | 08:37
von Walter Ludin
Lesezeit: ca. 2 Min.
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4 Gedanken zu „Wozu braucht es die Kirche?

  • karl stadler sagt:

    Ich glaube nicht, dass da jemand das Leben älterer Menschen für “lebensunwertes Leben” oder auch nur für weniger lebenswertes Leben hält. Das Verdikt der Nazis in den Kontext der heutigen Krise zu stellen, erachte ich als äusserst heikel und eine implizite Verharmlosung der Nazi-Ideologie. Und ich würde auch dem grossen Schriftsteller Heinrich Böll unter keinen Umständen beipflichten, dass auch die schlechteste christiche Welt der besten heidnischen vorzuziehen sei. Genau diese Haltung wurde uns in der Jugend implizit eingebläut, in Ausblendung, wahrscheinlich auch über weite Strecken in Unkenntnis, historischer Gegebenheiten. Gerade in solchen Haltungen reifen doch Identitätswahn oder die Überzeugung, sich auf dem allein seligmachenden Weg zu befinden, aber auch Ausgrenzung und feindliche Abwehr ganz subtil heran.

    Die Bewältigung und vor allem der Ausweg aus dieser Pandemie erweist sich ganz offensichtlich als eine äusserst diffizile Angelegenheit. Der Schutz und die Wahrung der allgemeinen Volksgesundheit bilden oberstes Ziel, steht jedoch der Gefahr von immensem wirtschaftlichen Schaden gegenüber. Und “wirtschaftlicher Schaden” bedeutet in diesem Zusammenhag weiss Gott nicht bloss entgangener Gewinn von ein paar Superreichen, es handelt sich auch nicht nur um die Ungeduld von einigen partikularen Interessenvertretern. Namhafte Ökonomen befürchten, dass allenfalls eine riesige Rezession ins Haus stehen könnte, keineswegs nur in der CH oder Europa, sondern weltweit. Die vielschichtigen, teilweise massiv zerstörerischen Auswirkungen einer tiefen Rezession, sozial, politisch, ökonomisch und nicht zuletzt eben gerade auch menschlich, ist allen bekannt.
    Dass über eine gewisse Zeit ältere, der Risikogruppe angehörige Personen oder auch anderweitig gefährdete Personen auf ein gewisses Mass an gerade in diesem Alter wichtigen sozialen Kontakten vielleicht verzichten müssen, oder sie nur sehr eingeschränkt wahrnehmen können, ist hart. Ich gehöre übrigens auch dazu. Ich würde auch gerne wieder einmal an einem Stammtisch hocken und nach dem dritten Bier die Welt verbessern. Dass gewisse Lockerungsschritte nun vorsichtig gemacht werden, wohlwissend, dass dadurch auch ein gewisser pandemischer Risikofaktor miteinbezogen wird und dadurch die Einengung sozialer Kontakte von Risikogruppen gerade eher verlängert werden könnte, muss wohl in Kauf genommen werden.
    Gesetzt, ein Gesundheitssystem wäre am Zusammenbrechen und Plätze auf Intensivstationen oder Beatmungsgeräte ständen nur in beschränktem Masse zur Verfügung, derart, dass es bei weitem nicht für alle Patienten ausreichen würde, dann sehen sich die mediznischen Entscheidungsträgerinnen und -träger doch vor eine ethische Entscheidung gedrängt, wen sie an solches medizinisches Gerät anschliessen sollen. Ich glaube nicht, dass es sich dabei um einen Entscheid oder eine Bewertung von lebenswertem und eben “weniger lebenswertem” Leben handelt, als vielmehr um eine Einschätzung, der Tod von welchen Menschen die grössten negativen Folgen, nicht zuletzt für Drittpersonen, verursachen würde. Und diese negativen Folgen brauchen in keiner Weise nur, ja nicht einmal primär, ökonomischer Natur zu sein. Gewiss: Ein solcher Entscheid basiert auf einem konsequentialistischen Ethik-Ansatz, nicht auf einer reinen Pflichtethik im Sinne von Kant, der wohl Leben in jeder Situation, unbesehen von jeglichen Folgen, als absolutes, unantastbares Gut betrachtet hätte. Dennoch wage ich zu bezweifeln, dass, obwohl er in einer derartigen Gegebenheit den kategorischen Imperativ zwar logisch formal korrekt auf eine allemeine Gesetzgebung hätte anwenden können, es ihm dabei wohl gewesen wäre. Und es erscheint als fraglich, dass er gleichzeitig hätte behaupten können, dass in einer solchen konditionalen Situation durch Beachtung allfälliger schwerer Folgeschäden das kategorial imperative Prinzip des ethischen Selbstzwecks von nicht geretteten Patienten missachtet worden sei. .

  • Michael Bamberger sagt:

    Schon zu Beginn dieser Pandemie hat die kath. Kirche eine einmalige Chance vergeben, ihr ramponiertes Image wieder etwas aufzupolieren. Als in der Schweiz anfänglich Schutzmasken und Schutzkleidungen schmerzlich fehlten, wäre die Kirche mit ihren Mönchen und Nonnen in ihren Klöstern, mit den Pfarrern und Pfarrgehilfen in den Pfarrhäusern, mit den Bischöfen und deren Gehilfen in ihren Palästen und mit ihren treuen wohlgesinnten Gemeindemitgliedern in der Lage gewesen, sich zu Tausenden hinter die Nähmaschinen zu setzen und – unter der Übersicht von ausgebildeten Spezialisten – zu Werke zu gehen. Nicht nur hätte die Kirche damit der Schweiz einen grossen Dienst getan, als added value wäre ihr auch unbezahlbare Medienwirksamkeit quasi garantiert gewesen.

    Obiges gilt prinzipiell auch für andere Glaubensgruppen.

    • Und wer bitte, Michael Baumberger, sind Ihrer Ansicht nach die ‘ausgebildeten Spezialisten’? Frauen und Männer werden vom Mamon angezogen und nicht von Klöstern. Und jetzt sollen diese den Kopf erhalten für vom Glauben Abtrünnige unserer Gesellschaft? Frauenklöster z. B. wären mit ihren noch lebenden Spezialistinnen in der Lage, Näharbeiten zu übernehmen. Der Nachwuchs fehlt, da Geld, Macht und Sex in der Welt lockt! Siehe Beitrag des Frauenklosters St. Peter am Bach während dem 2. Weltkrieg in SOS SCHWEIZ mitenand gaht’s besser auf http://www.swissmartha.ch. “Bete und arbeite” könnte auch der Slogan nach der Umkehr sein, wenn wir mit unsern Kindern und Grosskindern den Neustart in die Hand nehmen.Möge uns das mut Gottes Hilfe gelingen. Wie es General Guisan damals seinen Offizieren verlautete: “Es wird gekämpft,! Es wird nicht kapituliert! Habt Gottvertrauen!”

  • Und wer bitte, Michael Baumberger, sind Ihrer Ansicht nach die ‘ausgebildeten Spezialisten’? Frauen und Männer werden vom Mamon angezogen und nicht von Klöstern. Und jetzt sollen diese den Kopf herhalten für vom Glauben Abtrünnige unserer Gesellschaft? Frauenklöster z. B. wären mit ihren noch lebenden Spezialistinnen in der Lage, Näharbeiten zu übernehmen. Der Nachwuchs fehlt, da Geld, Macht und Sex in der Welt lockt! Siehe Beitrag des Frauenklosters St. Peter am Bach während dem 2. Weltkrieg in SOS SCHWEIZ mitenand gaht’s besser auf http://www.swissmartha.ch. “Bete und arbeite” könnte auch der Slogan nach der Umkehr sein, wenn wir mit unsern Kindern und Grosskindern den Neustart in die Hand nehmen. Möge uns das mit Gottes Hilfe gelingen. Wie es General Guisan damals seinen Offizieren verlautete: “Es wird gekämpft,! Es wird nicht kapituliert! Habt Gottvertrauen!”

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