Heinz Angehrn

Was alles gerüffelt werden könnte

Bevor ich mich nach Schönbrunn in die Exerzitien absetze und eine Woche verstumme, nun noch dieses Thema, das durch den Tod von Benedikt aufgeschoben werden musste: Der Brief unserer Bischöfe und die Reaktionen darauf. Man(n) erwarte von mir keine einfache Lösung oder gar Schuldzuweisung.

Erinnerung Nummer Eins: In Stadt und Dekanat St.Gallen gibt es seit bald einem halben Jahrhundert eine Pfarrei, in der die eigentlich allgemein gültigen liturgischen Regeln bzw. die an den Ordo gebundenen Zuständigkeiten nicht respektiert wurden und wo zur Begeisterung der dort entstandenen Personal- (nicht Territorial-) Gemeinde viel experimentiert wurde. All diese Seelsorger/innen, die dort wirkten, waren auch meine Kollegen/innen im Dekanat; ich werde darum nicht mit Namen um mich werfen, nur «Kameradenschweine» (mein Terminus gegenüber Oberstufenschülern) tun solches. Charlie Wenk aber, der für sein Wirken dort öffentlich mit dem Herbert-Haag-Preis geehrt wurde, sei genannt. Uns verbindet viel.
Sowohl innerkatholisch (Zuständigkeiten von Priestern und Pastoralassistenten/innen) wie ökumenisch geschah da wohl vieles, was weit jenseits des aus Sicht von Bischof und Bistumsleitung Tolerierbaren lag. Doch alle drei Bischöfe tolerierten es, bei der Sitzung der Visitationskommission wurden Augen gerollt und dann Akten geschlossen…

Erinnerung Nummer Zwei: In den übrigen Pfarreien und damit in der ganz alltäglichen «Normalität» unserer Seelsorge entwickelten sich zu meiner Zeit recht «eigene» Traditionen, die auch immer wieder dem Zweck dienen sollten, die Position der Priester und ihre Zuständigkeiten zu relativieren. So bekleideten sich die Pastoralassistenten/innen plötzlich mit farbigen Stola-ähnlichen Gebilden und Krägen, obwohl der Generalvikar dies in einem Schreiben tadelte (von Rüffel sprach/spricht man in St.Gallen nicht). So wurden dem Zelebranten-Priester häufig vom Verantwortlichen für den Gottesdienst Texte vorgeben, die dieser bitte benutzen/sprechen sollte. In extremis wurde ihm noch knapp und gnädig erlaubt, die Einsetzungsworte zu sprechen… So schlimm war es zwar selten, aber es soll vorgekommen sein.
(Ähnliche Erfahrungen waren übrigens ein kleiner Nebengrund, warum ich 2018 darauf verzichtete, noch im aktiven Einsatz zu stehen.)

Feststellung Nummer Eins: Vieles in unserer katholischen Liturgie ist bloss Akzidenz, da kann, ja soll experimentiert werden. Etwa bei der Architektur des Kirchenraums, bei der Gestaltung von Altar, Ambo und Tabernakel. Etwa auch in der Musik, wo fast alles möglich sein soll, denn die religiöse Seele lebt von Musik, und es gibt viele religiöse Seelen! Wohl auch beim Volksbrauchtum, das in die Liturgie und ihre Räume einfliessen soll. Darum Christbäume, darum Hubertusmessen mit Hirschgeweih vor dem Altar, darum (leider!) auch Fasnachtspredigten von Kollegen/innen.
Aber es gibt dann die Substanz, die nicht beliebig ist, gerade beim Sakrament der Eucharistie. Die tragenden Teile des Hochgebets, Epiklese, Einsetzungsworte, Anamnese und Doxologie, sie stehen nicht zur freien Verfügung (anders sieht es wohl bei der Materie des verwendeten Brotes aus, ungesäuertes Weizenmehl überall auf der Welt?). Ich habe mir den Abschiedsgottesdienst in Effretikon in diesem Teil sehr genau anschaut, habe genau zugehört. Das war keine katholische Eucharistiefeier, es fehlte die vorgegebene Substanz (die Einsetzungsworte), das war eine freie Variation in Form einer Abendmahls- oder auch Agapefeier. Kann, soll da jemand gerügt werden? Die Frage ist hingegen, was die versammelte Gottesdienstgemeinde erwartete, was ihr angekündigt wurde.
(Und wenn ein Ex-Kollege seine Firmlinge die Einsetzungsworte mitsprechen lässt, gilt das gleiche. Mahlfeier, Agape, aber keine Eucharistie. Ist aber auch nicht schlimm, uns fehlen ja die Priester!)

Feststellung Zwei: Man/frau sollte nicht die eben geschilderte Dringlichkeit um unser Hauptsakrament nun auf Nebenschauplätze bei anderen Sakramenten ausdehnen und erkannte Unregelmässigkeiten im gleichen Stil anmahnen (meine einzige Anfrage an den Brief der drei Bischöfe). Denn was ist Substanz, was ist Akzidenz?
a) Beim Sakrament der Ehe etwa assistiert der Seelsorger ja nur, das Sakrament spenden sich die Brautleute. In extremis (sagen wir kurz vor der Pandemie oder der Apokalypse) ist das Sakrament sicher auch dann gültig, wenn gar kein Priester oder Diakon zu sehen ist.
b) Bei der Krankensalbung sollte wohl mit der Parallelität zur Taufe argumentiert werden. Wenn an einem Krankensonntag den vergnügt lebenden und nachher tafelnden Senioren/innen einer Pfarrei die Krankensalbung gespendet wird, gehört der dazu Berechtigte, der Priester, dazu. Wenn sie aber im Einzelfall einem schwerkranken Menschen gespendet wird, dann gilt meines Erachtens das gleiche wie bei der Taufe: Jede/r (Ehepartner/in, Pflegepersonal, Seelsorger/in) spendet gültig, wenn er/sie die Substanz (Öl, Worte) korrekt verwendet.

Bildquellen

  • : pixabay.com
5. Februar 2023 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 3 Min.
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2 Gedanken zu „Was alles gerüffelt werden könnte

  • Heinz Angehrn kann aus eigener Erfahrung erzählen und trifft den Kern der Sache. Dagegen hat die Berichterstattung von kath.ch zum Effretiker-Ereignis im Herbst 2022 kaum zu einer sachlichen Auseinandersetzung beigetragen. Auch kann sich jüngst eine Pfarreiblatt-Redaktion nicht dazu entscheiden, (nachfolgende) Reflexionen aus meiner Sicht zu veröffentlichen. Diese seien zu theologisch. Damit aber wird der Leserschaft ein Mitdenken abgesprochen und dem Bildungsauftrag kirchlicher Presse nicht nachgekommen.

    Hier in Kurz-Fassung meine Reflexionen zur Debatte um den Vortrag und Mitvollzug des Eucharistischen Hochgebetes, die ich Mitte September 2022 der Redaktion von kath.ch zukommen liess, diese aber nicht darauf einging. Die vollständige Fassung findet sich unter dem Titel «Sorgfalt durch liturgische Präsenz» in der Zeitschrift der liturgischen Institute im deutschsprachigen Raum [Gottesdienst 56 (2022/21) 246 f.]

    Das Hochgebet oder Eucharistiegebet gilt als zentrales Gebet, das vor versammelter Gemeinde gesprochen wird. Wie jüngst eine langjährige Gemeindeleiterin in der Deutschschweiz in Absprache mit dem Vorsteher der online nachvollziehbaren Feier einen Part übernahm, kam es zu grossem Medienecho. Ohne näher darauf einzugehen, äussert sich hier Stephan Schmid-Keiser (St. Niklausen / Luzern) zu Charakter und Vollzug des Hochgebets.

    Das (Ideal-)Bild christlicher Versammlungen
    Allgemein betrachtet feiern christliche Liturgien den Glauben an Jesus Christus. Unter dieser Voraussetzung stehen die Versammlungen, zu denen sich Menschen an unterschiedlichsten Orten einfinden. Seit den Tagen des letzten Konzils sind diese eingeladen, aktiv am und im Gottesdienst teilzunehmen. Zudem ist das liturgische Zusammenspiel beim Feiern der einzelnen Sakramente unterschiedlich akzentuiert. In allen Fällen übernimmt eine Person die leitende Rolle. Ihr steht es an, sich in der Feier nicht zu sehr selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Sie soll darauf achten, dass alle Mitwirkenden im Gottesdienst ihrer Rolle nachkommen können. Die konziliar formulierte Leitidee dazu lautet: «Bei den liturgischen Feiern soll jeder, sei er Liturge oder Gläubiger, in der Ausübung seiner Aufgabe nur das und all das tun, was ihm aus der Natur der Sache (ex rei natura) und gemäss den liturgischen Regeln zukommt.» (SC 28).

    Auf diesem Hintergrund bedenkenswert ist auch die Haltung des Liturgischen Institutes der Schweiz, die zur Frage des «Wer macht was?» aktualisiert u. a. festhält: «Gerade im Wissen um die Kostbarkeit der Liturgie, durch die alle Gläubigen aufgrund ihrer Taufwürde genährt und gestärkt werden, ist es unangebracht, bestehende Konflikte oder innerkirchliche Meinungsverschiedenheiten in liturgischen Feiern auszutragen. Es ist nicht die Aufgabe der Liturgie solche Problemfelder sichtbar zu machen. In Konfliktfällen, die unmittelbar vor einer Feier auftreten, kann eine salomonische Haltung angebracht sein: geschehen lassen, damit die Integrität der Feier nicht durch Allzu-Menschliches zerstört wird.» https://www.liturgie.ch/praxis/regeln-infos-orientierung/wer-macht-was/493-rollentraegern-liturgie

    Die Integrität christlicher Liturgie dient dem Ausdruck der Glaubens- und Lebenserfahrung von Menschen, die Christus in ihrer Mitte wissen dürfen. Darum auch kann es hier nicht um Machtspiele in Form eines Gerangels am Altar (oder Taufstein bzw. Krankenbett) gehen. Selbst beim Eheschluss, wo die Paare begleitet durch die dazu beauftragte Assistenz das Sakrament vollziehen, gilt diese Sorgfalt bei der rituellen Handlung. Der Ritus selbst ist bei allen sakramentalen Vollzügen eng verschränkt mit dem Glaubensgeschehen, das die Menschen in Gebet und Mittun zum Ausdruck bringen.

    Sorgfalt durch liturgische Präsenz
    Das Mitwirken aller im sakramentalen Geschehen wird allein schon durch die Präsenz aller Beteiligten sichtbar. Sie wird dort spürbar, wo ein routiniertes Sprechen oder merklich lebloser ‘Singsang’ durchbrochen wird. Sie enthält sich ausufernder Kommentare beim Vollzug eines nächsten Ritual-Schritts, wie dies an manchen Orten nicht sehr zielführend festzustellen ist. Der Tänzer und geistlichen Choreograph Manfred Schnelle empfahl in einem Gespräch, eine von Empathie und Gestik geprägte Haltung einzuüben… Wird in diesem Sinne der Raum religiöser Kommunikation bespielt, kann es gelingen, die liturgische Präsenz aller Mitfeiernden ernster zu nehmen; durch weniger Worte, dafür von Bibel und Lebenserfahrung authentisch geprägter Sprache. Mehr Raum für den Nachklang von Wort und Musik braucht das Gottesdienstfeiern heute, mit welchem der Weg des Glaubens nicht den Versammelten aufgedrängt, sondern als Wagnis im prekären Dasein zugemutet wird…

    Der Inhalt des jeweiligen Hochgebetes vergegenwärtigt sowohl das Leben, den Tod und die Auferstehung Jesu Christi und ruft die Geschichte Gottes mit den Menschen in Erinnerung. Das ist bereits anspruchsvoll genug. Denn der Eckstein des Geschehens gründet im Vermächtnis, das Jesus hinterlassen hat. Und die konzelebrierenden Personen mögen sich bewusst bleiben, nicht zu Stolpersteinen für den Zugang aller Mitfeiernden zur Mitte des Geschehens zu werden. Darum erscheint mir für den Vollzug dieses Gebetes, dass es nur durch wenige der am Altar Anwesenden vernehmbar und nicht zu wortreich gesprochen wird. Ein Nachwirken der Worte in der Stille bei einzelnen Abschnitten des Gebetes ist wünschenswert…

    Alles in allem: Das anspruchsvolle Vortragen (gesprochen oder gesungen) eines Hochgebetes funktioniert nicht zusammen mit instrumentalisierender Darstellung – sei es durch oberflächliche Improvisation, sei es durch inhaltliche Überfrachtung des Textes, geschweige der Selbstdarstellung der Akteure am Altar, welche eine vertiefte Gebets-Atmosphäre der mitfeiernden Gemeinschaft verunmöglichen kann.

    Unabhängig vom Zusammenspiel der Rollen in Gottesdiensten stellt sich die Frage: Wann endlich auch Frauen die Aufgabe der Leitung sakramentaler Feiern übertragen wird? Die Zeit dazu ist überreif.

    [Weiterhin liegt mir daran, beim Streit um die verschiedenen Rollenträger*innen bei den Feiern unseres Glaubens zu vermitteln und eine sachliche Ebene anzustreben.]

    Dr. Stephan Schmid-Keiser (*1949), in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie promovierter Theologe und Seelsorger war in mehreren Pfarreien des Bistums Basel leitend tätig. Vorgängig setzte er sich 1984-1992 ein als Geschäftsleiter der Missionskonferenz DRL und 1992-1995 als Zentralpräses des Schweizer Kolpingwerks. Nachberuflich war er 2016/17 Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung und ist seit Januar 2018 publizistisch tätig. Anschrift: schmidkeiser@bluewin.ch

  • Hansjörg sagt:

    Die obigen, langen und ausschweifenden Texte könnten in einem Satz zusammengefasst werden:

    Gleichberechtigung innerhalb der kath. Kirche für alle Menschen in allen Belangen.

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