Was alles gerüffelt werden könnte

Bevor ich mich nach Schönbrunn in die Exerzitien absetze und eine Woche verstumme, nun noch dieses Thema, das durch den Tod von Benedikt aufgeschoben werden musste: Der Brief unserer Bischöfe und die Reaktionen darauf. Man(n) erwarte von mir keine einfache Lösung oder gar Schuldzuweisung.

Erinnerung Nummer Eins: In Stadt und Dekanat St.Gallen gibt es seit bald einem halben Jahrhundert eine Pfarrei, in der die eigentlich allgemein gültigen liturgischen Regeln bzw. die an den Ordo gebundenen Zuständigkeiten nicht respektiert wurden und wo zur Begeisterung der dort entstandenen Personal- (nicht Territorial-) Gemeinde viel experimentiert wurde. All diese Seelsorger/innen, die dort wirkten, waren auch meine Kollegen/innen im Dekanat; ich werde darum nicht mit Namen um mich werfen, nur «Kameradenschweine» (mein Terminus gegenüber Oberstufenschülern) tun solches. Charlie Wenk aber, der für sein Wirken dort öffentlich mit dem Herbert-Haag-Preis geehrt wurde, sei genannt. Uns verbindet viel.
Sowohl innerkatholisch (Zuständigkeiten von Priestern und Pastoralassistenten/innen) wie ökumenisch geschah da wohl vieles, was weit jenseits des aus Sicht von Bischof und Bistumsleitung Tolerierbaren lag. Doch alle drei Bischöfe tolerierten es, bei der Sitzung der Visitationskommission wurden Augen gerollt und dann Akten geschlossen…

Erinnerung Nummer Zwei: In den übrigen Pfarreien und damit in der ganz alltäglichen «Normalität» unserer Seelsorge entwickelten sich zu meiner Zeit recht «eigene» Traditionen, die auch immer wieder dem Zweck dienen sollten, die Position der Priester und ihre Zuständigkeiten zu relativieren. So bekleideten sich die Pastoralassistenten/innen plötzlich mit farbigen Stola-ähnlichen Gebilden und Krägen, obwohl der Generalvikar dies in einem Schreiben tadelte (von Rüffel sprach/spricht man in St.Gallen nicht). So wurden dem Zelebranten-Priester häufig vom Verantwortlichen für den Gottesdienst Texte vorgeben, die dieser bitte benutzen/sprechen sollte. In extremis wurde ihm noch knapp und gnädig erlaubt, die Einsetzungsworte zu sprechen… So schlimm war es zwar selten, aber es soll vorgekommen sein.
(Ähnliche Erfahrungen waren übrigens ein kleiner Nebengrund, warum ich 2018 darauf verzichtete, noch im aktiven Einsatz zu stehen.)

Feststellung Nummer Eins: Vieles in unserer katholischen Liturgie ist bloss Akzidenz, da kann, ja soll experimentiert werden. Etwa bei der Architektur des Kirchenraums, bei der Gestaltung von Altar, Ambo und Tabernakel. Etwa auch in der Musik, wo fast alles möglich sein soll, denn die religiöse Seele lebt von Musik, und es gibt viele religiöse Seelen! Wohl auch beim Volksbrauchtum, das in die Liturgie und ihre Räume einfliessen soll. Darum Christbäume, darum Hubertusmessen mit Hirschgeweih vor dem Altar, darum (leider!) auch Fasnachtspredigten von Kollegen/innen.
Aber es gibt dann die Substanz, die nicht beliebig ist, gerade beim Sakrament der Eucharistie. Die tragenden Teile des Hochgebets, Epiklese, Einsetzungsworte, Anamnese und Doxologie, sie stehen nicht zur freien Verfügung (anders sieht es wohl bei der Materie des verwendeten Brotes aus, ungesäuertes Weizenmehl überall auf der Welt?). Ich habe mir den Abschiedsgottesdienst in Effretikon in diesem Teil sehr genau anschaut, habe genau zugehört. Das war keine katholische Eucharistiefeier, es fehlte die vorgegebene Substanz (die Einsetzungsworte), das war eine freie Variation in Form einer Abendmahls- oder auch Agapefeier. Kann, soll da jemand gerügt werden? Die Frage ist hingegen, was die versammelte Gottesdienstgemeinde erwartete, was ihr angekündigt wurde.
(Und wenn ein Ex-Kollege seine Firmlinge die Einsetzungsworte mitsprechen lässt, gilt das gleiche. Mahlfeier, Agape, aber keine Eucharistie. Ist aber auch nicht schlimm, uns fehlen ja die Priester!)

Feststellung Zwei: Man/frau sollte nicht die eben geschilderte Dringlichkeit um unser Hauptsakrament nun auf Nebenschauplätze bei anderen Sakramenten ausdehnen und erkannte Unregelmässigkeiten im gleichen Stil anmahnen (meine einzige Anfrage an den Brief der drei Bischöfe). Denn was ist Substanz, was ist Akzidenz?
a) Beim Sakrament der Ehe etwa assistiert der Seelsorger ja nur, das Sakrament spenden sich die Brautleute. In extremis (sagen wir kurz vor der Pandemie oder der Apokalypse) ist das Sakrament sicher auch dann gültig, wenn gar kein Priester oder Diakon zu sehen ist.
b) Bei der Krankensalbung sollte wohl mit der Parallelität zur Taufe argumentiert werden. Wenn an einem Krankensonntag den vergnügt lebenden und nachher tafelnden Senioren/innen einer Pfarrei die Krankensalbung gespendet wird, gehört der dazu Berechtigte, der Priester, dazu. Wenn sie aber im Einzelfall einem schwerkranken Menschen gespendet wird, dann gilt meines Erachtens das gleiche wie bei der Taufe: Jede/r (Ehepartner/in, Pflegepersonal, Seelsorger/in) spendet gültig, wenn er/sie die Substanz (Öl, Worte) korrekt verwendet.

Heinz Angehrn

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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