Karin Reinmüller

Warum ich zugeschlagen habe

Ich war 18, er war deutlich älter als ich, stärker, und völlig betrunken. Und er hielt mir die Tür zu, durch die ich raus wollte. Weil er fand, er hätte ein Recht darauf, dass ich zuhöre, wenn er mir seine Sicht der Dinge erklären wollte. Ich wollte nicht zuhören, ich wollte nur noch weg. Also schlug ich ihm auf den Arm, mit dem er die Tür zuhielt. Er gab mir den Weg frei, nicht ohne mir noch zu sagen, was ich da gerade Schreckliches getan hätte.

Als ich ihn Jahre später auf diesen Vorfall ansprach, konnte er sich nicht erinnern. Vielleicht hatte er am Tag danach schon vergessen, was passiert war, sein Alkoholpegel war beachtlich gewesen. Ich kann es nicht vergessen – das einzige Mal, als ich als Erwachsene einen Menschen geschlagen habe.

Und dann dieses Sonntags-Evangelium – Bergpredigt, Fortsetzung der letzten Wochen: «Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand!» (Matthäus-Evangelium, Kapitel 5, Vers 39). Und die andere Wange hinhalten. Ist das Lebens-förderlich? Lernen Menschen mit solchen Ermahnungen, dass Gott es gut mit ihnen meint? Kein Wunder, dass genau diese Passagen seit 2000 Jahren abgeschwächt werden, mit immer neuen Begründungen. Sie stehen aber immer noch da, stur und widerständig. «Seid vollkommen!» fordert Jesus ein paar Verse weiter auf. Wäre es vollkommener von mir gewesen, wenn ich mich damals, mit 18, nicht gewehrt hätte? Ich meine, nein. Und ich finde es unerträglich, wenn mit Hinweis auf solche Texte hilfloses, scheinbar demütiges Verhalten gefördert wird, wo Menschen (meistens sind es Frauen) doch Bestärkung darin bräuchten, aufrecht zu stehen und ihre Position zu vertreten!

Vielleicht gibt es Menschen, die auf Widerstand verzichten und die andere Wange hinhalten können. Ich bin mir ziemlich sicher – das sind nicht diejenigen, die aus Angst so handeln, nicht diejenigen, die keine andere Wahl haben. Erst brauchen wir alle unsere Stärke. Und danach können wir uns vielleicht entscheiden, sie nicht zu nutzen.

Bild: Mat Reding auf unsplash.com
21. Februar 2020 | 11:52
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 1 Min.
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Ein Gedanke zu „Warum ich zugeschlagen habe

  • karl stadler sagt:

    Da stimme ich Ihnen, Frau Reinmüller, völlig zu. Zeitweise bekunde ich ohnehin ein wenig Mühe mit diesen zentralen christliche Texten wie Bergpredigt oder Feldrede. Einerseits dieses gewiss unterstützenswerte Engagement für die Schwachen, Randständigen, anderseits aber auch wieder dieser subtil ausgrenzende, fast feindselige Unterton gegenüber denjenigen, die zum Durchschnitt, vielleicht auch zu den Wohlhabenden oder Mächtigen zählen. Das kann sich nicht bloss als erbauend, vielmehr auch als gefährlich auswirken.
    Die Handlungsweise, die Sie schildern, erweist sich doch als nicht bloss als völlig legal, vielmehr auch als gänzlich legitim. Und oftmals gewinnt man den Eindruck, als sei “Gewalt” in jeder Situation zu verurteilen. Man kann sich doch kaum eine Form menschlichen Zusammenlebens vorstellen, wo ab und zu Gewalt nicht eine Rolle spielt. Gewalt gehört doch zu den anthropologischen Universalien in jeder Kultur, genauso wie viele Errrungenshaften der Menschheit! Staatliche Gewaltmonopole, Militär- und Verteidigungspolitik, Gewalt in der Erziehung und Schule, usw. Deswegen braucht man noch lange nicht ein stumpfer Befürworter von gewaltsamem menschlichem Zusmmenleben zu sein oder der Gewalt in jeder Situation das Wort zu reden oder sie gar für einen bevorzugten Weg zu halten.
    Die Stoa scheint da viel näher an der menschlichen Wirklichkeit gestanden zu haben als das frühe Christentum. Man halte sich nur einmal Epiktet vor Augen oder Mark Aurels “Selbstbetrachtungen”, eines Kaisers, der bereits als Vorläufer des Begiffes der Menschenwürde, wie übrigens bereits die frühe Stoa, gelten kann, der aber dennoch einen erheblichen Teil seiner Regierungszeit militärisch an den Grenzen zur Sicherung des Reiches verbingen musste.

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