Karin Reinmüller

Warum ich meine Meinung geändert habe

Lange habe ich mich dafür eingesetzt, dass der Einsatz gegen Missbrauch in der Kirche und der für Reformen voneinander getrennt werden. Nicht zuletzt, weil ich weiss, dass es Opfer kirchlichen Missbrauchs gibt, die selbst keinen Reformbedarf in der Kirche sehen und den Eindruck haben, ihre Verletzungen werden jetzt auch noch für Anliegen instrumentalisiert, die sie nicht teilen. Mir kam die Formel vom «Missbrauch mit dem Missbrauch» zwar übertrieben, aber im Grund richtig vor.

Ich habe meine Meinung geändert.

Denn: Wie sich zuletzt wieder im für München veröffentlichten Gutachten (zugänglich hier) gezeigt hat, hatten (und haben) Missbrauchstäter in der Kirche in unzähligen Fällen Mitwisser. Zumindest Mit-Ahner. Die aber nichts gesagt und nichts getan haben. Und das oft, weil sie erpressbar waren. Weil sie zum Beispiel als schwule Menschen ihre Berufung zum Priester leben und ihren Dienst an den Menschen fortsetzen wollen. Oder weil sie wissen, dass der Zölibat nicht ihrer Berufung entspricht – das Priester-Sein aber sehr wohl. Diese Menschen haben im kirchlichen Dienst ein Geheimnis zu verbergen. Die homosexuellen «Netzwerke», von denen im Gutachten die Rede ist (S. 424) machen auf mich den Eindruck von Erpressungs-Netzwerken. In denen Täter gedeckt wurden und ziemlich sicher auch werden.

Dazu kommt die Frage der Personalauswahl. Wenn einer Gemeinde heute die Eucharistiefeier wichtig ist, bleibt ihr unter Umständen nur, einen Priester zu akzeptieren, der in seiner Persönlichkeit nicht vollständig für seine Aufgaben geeignet ist. Ein Problem auf allen Ebenen, wo Ämter nur an Priester vergeben werden können. Das schafft schlicht Gefahren, die vermeidbar wären, wenn man mit anderen Zulassungskriterien zur Priesterweihe die Personaldecke erweitern könnte.

Ich wünsche mir, dass jeder schwule und/oder in Beziehung lebende Priester, der von einem Missbrauchstäter in seiner Umgebung erfährt, alles tut um die Opfer zu schützen, auch wenn ihn das seine Berufung und seine Gemeinde ihren Seelsorger kostet. Ich wünsche mir auch, dass ein von seinen Aufgaben überforderter Priester sich unterstützen lässt und daran wächst.

Ich weiss, dass es manchmal so ist – und oft nicht. Deshalb müssen die Regeln geändert werden.

Bild: Alexas Fotos von Pexels
29. Januar 2022 | 14:52
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 1 Min.
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3 Gedanken zu „Warum ich meine Meinung geändert habe

  • Hansjörg sagt:

    Der Kampf gegen Missbrauch in der kath. Kirche kann nicht von den dringend notwendigen Reformen getrennt werden, weil ja das System der kath. Kirche richtiggehend immer wieder neue Straftäter generiert.
    Junge Männer werden in einer Blase zu Priestern und leben innerhalb dieser Sexualität verabscheuenden Blase bis sie in Führungspositionen aufrücken. Wen wunderts, dass dann die Führungsleute alles versuchen um Missbrauchsstraftaten zu vertuschen?

    Nur so als einfaches Beispiel:
    Wenn 50% der sogenannten „Geweihten“ Frauen wären, hätte die kath. Kirche 40% weniger Missbrauchsfälle, weil Frauen da wohl eher weniger aktiv wären. Das ist aber sicher nicht der Hauptgrund, dass Frauen in der kath. Kirche endlich als gleichberechtigte und gleichwertige Menschen anerkannt werden sollten.

  • stadler karl sagt:

    Vielleicht sollte die Kirche über Möglichkeiten nachdenken, das Relikt aus altjüdischer Zeit, das Priesteramt, überhaupt aufzuheben, von der den Menschen letztlich kaum zugänglichen und unverständlichen Sakramentallehre, die sich leicht für die Legitimation von Machtansprüchen einsetzen lässt, Abstand zu nehmen und zu überlegen, was es innerhalb des “Verkündungsauftrages” den Menschen gegenüber überhaupt an Sinnstiftendem zu verkünden gibt, das nicht allen ohnehin schon aufgrund ihrer täglichen Widerfahrnisse und in der Erfahrung der je eigenen exitentiellen Kontingenz vertraut ist? Vielleicht vermöchten solche Reflexionen ein wenig zur Entschärfung der vergifteten Atmosphäre beizutragen.

  • Michael Bamberger sagt:

    Erst wenn sämtliche Akten des Vatikans und aller Bistümer weltweit unabhängigen Untersuchungskommissionen (beauftragt z.B. vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag) zugänglich gemacht werden, könnte sich das heute immer noch bruchstückhafte Bild vervollständigen. Dieser Schritt ist m.E. längst überfällig und unumgänglich, um überhaupt die Chance zu wahren, den Millionen von Opfern Weltweit einigermassen gerecht zu werden.

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