Warum ich meine Meinung geändert habe

Lange habe ich mich dafür eingesetzt, dass der Einsatz gegen Missbrauch in der Kirche und der für Reformen voneinander getrennt werden. Nicht zuletzt, weil ich weiss, dass es Opfer kirchlichen Missbrauchs gibt, die selbst keinen Reformbedarf in der Kirche sehen und den Eindruck haben, ihre Verletzungen werden jetzt auch noch für Anliegen instrumentalisiert, die sie nicht teilen. Mir kam die Formel vom «Missbrauch mit dem Missbrauch» zwar übertrieben, aber im Grund richtig vor.

Ich habe meine Meinung geändert.

Denn: Wie sich zuletzt wieder im für München veröffentlichten Gutachten (zugänglich hier) gezeigt hat, hatten (und haben) Missbrauchstäter in der Kirche in unzähligen Fällen Mitwisser. Zumindest Mit-Ahner. Die aber nichts gesagt und nichts getan haben. Und das oft, weil sie erpressbar waren. Weil sie zum Beispiel als schwule Menschen ihre Berufung zum Priester leben und ihren Dienst an den Menschen fortsetzen wollen. Oder weil sie wissen, dass der Zölibat nicht ihrer Berufung entspricht – das Priester-Sein aber sehr wohl. Diese Menschen haben im kirchlichen Dienst ein Geheimnis zu verbergen. Die homosexuellen «Netzwerke», von denen im Gutachten die Rede ist (S. 424) machen auf mich den Eindruck von Erpressungs-Netzwerken. In denen Täter gedeckt wurden und ziemlich sicher auch werden.

Dazu kommt die Frage der Personalauswahl. Wenn einer Gemeinde heute die Eucharistiefeier wichtig ist, bleibt ihr unter Umständen nur, einen Priester zu akzeptieren, der in seiner Persönlichkeit nicht vollständig für seine Aufgaben geeignet ist. Ein Problem auf allen Ebenen, wo Ämter nur an Priester vergeben werden können. Das schafft schlicht Gefahren, die vermeidbar wären, wenn man mit anderen Zulassungskriterien zur Priesterweihe die Personaldecke erweitern könnte.

Ich wünsche mir, dass jeder schwule und/oder in Beziehung lebende Priester, der von einem Missbrauchstäter in seiner Umgebung erfährt, alles tut um die Opfer zu schützen, auch wenn ihn das seine Berufung und seine Gemeinde ihren Seelsorger kostet. Ich wünsche mir auch, dass ein von seinen Aufgaben überforderter Priester sich unterstützen lässt und daran wächst.

Ich weiss, dass es manchmal so ist – und oft nicht. Deshalb müssen die Regeln geändert werden.

Karin Reinmüller

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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