Heinz Angehrn

Unser Marsch in die Bedeutungslosigkeit

(Vorbemerkung: Eigentlich habe/hätte ich immer noch Lust, ein ganzes Buch zum Thema «Anatomie eines Niedergangs» zu schreiben, in dem ich die Geschichte unserer Kirche von dem Zeitpunkt, als sie unter Konstantin in Europa zur dominanten Religion wurde, bis zum 21.Jahrhundert Revue passieren lasse und die Frage aufwerfe, wo und wann die Weichen falsch gestellt wurden. Aber dazu brauchte ich einen Verlag, der bereit wäre, das finanzielle Risiko auf sich zu nehmen. Noch habe ich weder eine Idee noch habe ich Helfer gefunden. So bleibt es zunächst bei diesem eher mickrigen Text, der nur die Zeit ins Auge nimmt, die ich selber physisch erlebt habe.)

Ich erinnere mich an das «alte St.Gallen», wie ich es nennen möchte. Da ist zum einen der Kanton, in dem die CVP damals sogar über einige Zeit eine absolute Mehrheit im Grossen Rat, der Legislative, hatte. Diese CVP hatte zwei Flügel, den christlich-sozialen und den katholisch-konservativen, das verbindende Element aber war die Zugehörigkeit zur selben Konfession. Diese Partei war quasi auch das Sprachrohr der Kirche; «Abtrünnige», die sich in anderen Parteien engagierten (man denke als prominente Beispiele an Franz Jäger und den späteren Ständerat Paul Rechsteiner), wurden misstrauisch beäugt. Zum andern war da die Stadt, meine Heimatstadt mit ihrem evangelischen Zentrum, in dessen Mitte dann aber wieder die Kathedrale/das Kloster lag, und den zahlenmässig grösseren katholischen Quartieren ringsherum. Der Fronleichnamstag mit dem grossen Gottesdienst auf dem Klosterplatz, zu dem die Pfarreien aus Ost und West pilgerten (und wo an den Toren zur Innenstadt die Bratwürste brutzelten) war wohl der Höhepunkt des Jahres.

Ich will aber auch nicht idealisieren. Etliche der katholischen Machtpolitiker waren auch problematische Gestalten, etwa Ständerat Jakob Schönenberger, der die Geschichte des Iddaheims zu verantworten hat. Auch die enge Bindung von Kirche und Armee, wie sie von Feldpredigern wie Domdekan Paul Schneider einerseits und von Offizieren wie Brigadier Kurt Furgler andrerseits zelebriert wurde, war problematisch. Da landete man bald einmal im Gefängnis oder zumindest in der linken Gesinnungsecke. Auch dass der Obermesmer des Doms als CVP-Gemeinderat gegen die Unmoral und Un-Ästhetik im neu gebauten Theater wetterte, verdient Erwähnung. (Da war ich als arroganter kritischer Gymnasiast, zudem Arbeitersohn aus dem katholischen Milieu, äusserst suspekt!)

Aber: Wir, die Kirche, die Pfarreien, das Bistum, wir hatten etwas zu sagen, wir wurden ernstgenommen. Noch als in der Endphase dieser Epoche Bischof Ivo Fürer jeweils zum grossen Neujahrs-Apéro lud, kamen alle, die eidgenössischen Parlamentarier, die Regierungen der Stadt und des Kantons, und das «eigene» Personal. Und die Reden, die dort gehalten wurden, hatten Niveau und zeigten häufig auch Wege zur Lösung gewichtiger gesellschaftlicher Probleme. (Um nochmals persönlich zu werden: in der Zeit war auch ich dabei, etwa als Mitglied des Stiftungsrates der städtischen Drogenhilfe, später in der Agglomeration als Mitglied der Jugend- und Friedhofkommission.)

Und nun – nicht selbst verschuldet bei den Faktoren multikulturelle Gesellschaft und Diversifizierung der Lebensstile, aber selbst verschuldet durch unsere Haltung in Fragen der Sexualmoral und Ämtertheologie – sind wir in kurzer Zeit bedeutungslos geworden. Bis auf wenige charismatische Persönlichkeiten hört unseren Bischöfen, unseren Seelsorgern/innen niemand mehr zu, ja wir stehen unter Generalverdacht.

Das Wort «bedeutungslos» hat zwei Komponenten: Krise und Chance.

Bildquellen

  • IMG_0468: privat
Cappella di Termine (Val Carassina)
19. März 2024 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

5 Gedanken zu „Unser Marsch in die Bedeutungslosigkeit

  • Michael Bamberger sagt:

    Es ist gar noch nicht so lange her:

    Sagt der Adlige zum Pfarrer: «Ich kümmere mich drum, dass der Plebs arm bleibt, du garantierst mir, dass die Leute dumm bleiben.»

    Seit der Aufklärung ist bekanntlich der Einfluss der ersten zwei Stände sukzessive zurückgegangen und in den letzten rund 50 Jahren hat die Säkularisierung in unseren Breitengraden, parallel zum steigenden Bildungsgrad, rasant zugenommen.

    Dass Ihre Kirche (wohl hauptsächlich durch Missbrauch und Vertuschung) sich selber in jenen Sumpf der Unglaubwürdigkeit spediert hat, in dem sie jetzt steckt, ist unbestritten, die rasant steigenden Austrittszahlen sprechen eine klare Sprache. Gleichzeitig sind aber ähnliche Zahlen bei den Reformierten festzustellen, ohne ein bislang vergleichbar massives Damoklesschwert von Missbrauch und Vertuschung.

    Im Tagblatt war am 13.3.24 zu lesen: “Viele Menschen kehren der Kirche den Rücken. In Städten wie Zürich finden auch immer weniger kirchliche Trauungen und Taufen statt. Die Anzahl Taufen hat sich in den letzten Jahren halbiert.”

    Meines Erachtens liegen in unseren Breitengraden die wesentlichsten Ursachen des Exodus aus den Kirchen im inhärenten Glaubwürdigkeitsproblem der religiösen Botschaft per se, wie auch deren Vertreter, gekoppelt mit den Einflüssen und den Effekten von Aufklärung, Bildung, wissenschaftlichen Erkenntnissen, Vernunft, Menschrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Frauenemanzipation und Wohlstand.

    Wetten, dass…:

    Im Museum der Religionen, mit seinen Exponaten aller verflossenen Götter und Göttinnen, warten mehrere leere Vitrinen auf die momentanen Götter. Je ausgeprägter in einer Gesellschaft sowohl Bildungsniveau wie Wohlstand sind, und je charakteristisch die Gleichberechtigung der Geschlechter ist, desto früher werden die heutigen Götter in ihren Vitrinen ihre designierten Plätze einnehmen.

    • Michael Bamberger sagt:

      Ein Beispiel unter vielen:

      USA: “God’s Own Country” auf dem Weg in die Säkularisierung – Eine neue Studie zeigt, dass sich das Schwinden der religiösen Prägung stark beschleunigt hat und die Säkularisierung zunimmt. Fast drei von zehn US-Amerikanern haben sich von ihren Kirchen verabschiedet. Sie wechseln nicht zu einer anderen Glaubensgemeinschaft, sondern schliessen sich der Gruppe der Religionslosen an…Noch vor 50 Jahren bildeten die Religionslosen mit nur fünf Prozent eine marginale Gruppe. Die neuesten Daten lassen auch Rückschlüsse auf den Bildungsgrad der heterogenen Gruppe zu.” (domradio.de 2.2.24)

  • Hansjoerg sagt:

    Bedeutungslos ist die treffende Bezeichnung.

    Aber wie soll eine kath. Kirche heute noch Bedeutung erlangen, wenn sie auch im Jahr 2024 Frauen nicht als gleichberechtigte und gleichwertige Menschen sieht.
    Wie soll eine kath. Kirche Bedeutung erlangen, resp. erhalten, wenn sie nebst allen guten christlichen Grundsätzen eine Sexuallehre vertritt, die keine normale Katholikin oder kein normaler Katholik einhalten kann. Weshalb soll ein heute lebender Mensch den Grundsätzen einer Kirche folgen, wenn diese Kirche parallel dazu, in der heutigen Zeit einfach nur noch lachhafte Regeln im Katechismus verbreitet.
    So ist Masturbation von Geburt bis zum Tod verboten und eine schwere Sünde. Ebenfalls eine schwere Sünde ist Sex vor der Ehe, das hilft vor allem jungen Menschen, die heute meist erst nach dem 30. Altersjahr heiraten. Verhütung ist vor, während und nach der Ehe verboten und eine schwere Sünde. Zwei Geschiedene, die eine neue Liebe gefunden haben, werden als permanente Ehebrecher verurteilt und der schweren Sünde bezichtigt.
    Wann endlich ringen sich die alten Männer in Rom durch und überarbeiten die Sexuallehre, so dass nicht mehr 99% der katholischen Gläubigen sündigen müssen.

  • Niklaus Schmid sagt:

    Lieber Heinz
    Damals, als wir gemeinsam im St. Beat waren, waren wir voller Liebe, voller Eifer für die Botschaft Jesu. Wir wollten Teil haben am Versöhnungswerk Christi. Wir wollten Diener Gottes und Diener der Menschen sein. Wir haben uns ein- umd ausgesetzt.
    Heute sind wir vielleicht alt und zerschunden und auch nicht mehr so gefragt. Trotzdem glaube ich, dass Gott unsere Liebe und Leidenschaft gesehen hat und sieht. Dass er neben unserer Fehlerhaftigkeit und unserer Zerschundenheit auch weiterhin unsere Liebe und Treue sieht. Ich glaube, dass es in erster Linie darum geht zu vertrauen, dass er (oder auch sie) unserer Liebe Bedeutsamkeit zumisst.
    Natürlich – lieber Heinz – tut auch mir die geringe Bedeutung der Kirche heute sehr weh. Aber welche Bedeutungslosigkeit am Kreuz musste Jesus erleben?
    Ich glaube, dass unsere Liebe nicht verloren, sondern aufgehoben bei Gott ist. Ich glaube, dass auch wir in diesem Sinne Auferstehung erleben werden.
    In geschisterlicher Verbundenheit.
    Niklaus

  • Michael sagt:

    Es macht mich fassungslos, wenn ich in kirchlichen Kreisen meines Umfeldes stets beobachte, dass zwar der enorme Schwund an Mitgliedern sehr bedauert wird. Und wenn ich erlebe, dass sogar Berechnungen in die Zukunft angestelt werden, die einen noch stärkeren Abgang zeichnen. Aber es werden keinerlei ernsthafte Anstrengungen unternommen, herauszufinden, woran es tatsächlich liegen könnte. Von Evangelisierung wird rangauf rangab bis zum Papst immer wieder gesprochen, bis man es bald nicht mehr hören kann. Ich halte das für ein Ablenkungsmanöver. Denn, wie soll glaubwürdige Evangelisierung stattfinden beim derzeitigen Zustand der Kirche? Kirche ist nicht glaubwürdig, wenn konfessionsverbindende Ehen immer noch misstrauisch beäugt werden und der nichtkatholische Partner von der Eucharistiegemeinschaft am liebsten ganz ausgeschlossen bliebe. Kirche ist nicht glaubwürdig, wenn wiederverheiratete Frauen und Männer als fortwährende Ehebrecher und schwere Sünderinnen angesehen werden. Und Kirche ist erst recht nicht glaubwürdig, wenn sie fortwährend die Menschenrechte bricht: Gleichberechtigung der Frauen in allen Bereichen, Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaft als gewollter Teil Gottes Schöpfung. Ganz abgesehen vom Missbrauchkomplex …
    Stattdessen wird das alles ausgeklammert und der Schwund bedauert und nur reaktiv der Rest organisiert: Austreten wird immer leichter gemacht!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst diese HTML-Tags und -Attribute verwenden:

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.