Heinz Angehrn

Schweigen hilft wohl gar nichts III: Vertuschung

Viele stehen rätselnd vor diesem Phänomen: Bischöfe, Generalvikare, Personalverantwortliche und Offiziale haben während sehr langer Zeit alle dazu beigetragen, Missbrauchsfälle im Klerus zwar zu erkennen und zu erfassen, dann aber die Betroffenen ohne Mitteilung nach aussen zu zitieren, zu massregeln und zu ermahnen und im Zweifelsfall so weit zu versetzen, dass am neuen Ort nichts über sie bekannt war. Zwar werden auf den Ordinariaten «normale» Akten über jeden einzelnen Priester geführt (Zeitungsartikel, wo er erwähnt wird; Interviews, die er gegeben; Artikel, die er irgendwo geschrieben hat; Briefe, in denen über ihn geklagt wird etc.; also klassische Fichen), aber die Akten, die schweres Versagen betrafen, wurden separat geführt und mussten gemäss ordentlichem Recht nach zehn Jahren vernichtet werden. (Bei diesen Aktenvernichtungen ging es also kirchenrechtlich absolut korrekt zu und her!)

Warum?

Es tut mir leid, aber ich muss wieder mit meinem Hauptargument daher kommen. Weil ein geweihter Priester kein gewöhnlicher Mensch mehr ist, weil er gemäss Lehre und Doktrin ein Geheiligter ist, der befugt und berechtigt ist, die heiligen Zeremonien der Kirche zu vollziehen. Er mag zwar als Privatmensch alles mögliche sein (ein brutaler Tyrann, ein Alkoholiker, ein Intrigant, ein Serientäter…), als Amtsträger aber ist und bleibt er Bestandteil der heiligen Mutter Kirche.

(PS: Das zeigt sich etwa gut am Umgang mit laisierten Priestern, laisiert, nachdem sie zivil geheiratet hatten. Zwar dürfen sie die Sakramente nicht mehr spenden, wenn sie es aber dennoch tun, ist dies gültig, für den Empfänger und die Gruppe.)

Das Vertuschen diente der Erhaltung des Systems, der Erhaltung der Doktrin. Es geschah nicht zum Wohl der betroffenen Täter, die hätten mindestens eine Therapie, wenn nicht eine lange Auszeit gebraucht. Und es geschah natürlich auch nicht zum Wohl der Opfer.

(PS 2 und wirklich wahr: Mir persönlich wurden einst Konsequenzen angedroht, weil ich mich a) für ein selbstbestimmtes Sterben engagierte und weil ich b) zu Segensfeiern bei der Wiederverheiratung von Geschiedenen bereit war. Hätte ich statt dessen aber Unethisches begangen, etwa meine Jungs begrabscht, das wäre irgendwo in einer geheimen Akte verschwunden.)

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  • : pixabay.com
1. November 2023 | 12:10
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 1 Min.
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3 Gedanken zu „Schweigen hilft wohl gar nichts III: Vertuschung

  • stadler karl sagt:

    Sie sprechen nebenbei selbstbestimmtes Sterben an: In Bezug auf selbstbestimmtes Sterben lässt sich das Christentum ohne Zwang als einschneidender Rückschritt gegenüber der hellenistischen Antike betrachten. In der Antike, besonders durch die Stoa, wurde selbstbestimmtes Sterben nicht als leichtfertiges, unbedachtes Ausweichen aus Lebensschwierigkeiten gesehen. Sie sah darin vielmehr die Möglichkeit des Beendens eines völlig unerträglichen und künftigen sinnlosen Daseins. Gerade die Stoa, welche die guten wie die schlechten Widerfahrnisse des Schicksals nicht als zentrale Werte, weder im negativen noch im positiven Sinne betrachtete, hielt es für legitim, unter bestimmten sehr schwerwiegenden Umständen ein selbstbestimmtes, würdiges Ende zu suchen.
    Demgegenüber hat das Christentum nicht selten schwere Schuld auf sich geladen, indem es ein suizidales Beenden des Lebsns immer verurteilte, teilweise als schwere, fast unkorrigierbare Verfehlung hinstellte und so gegenüber zurückgebliebenen Menschen, die der verstorbenen Person allenfalls nahe standen, schweren Schaden zufügte.
    Zwar sind die Zeiten, wo Suizidanten nicht einmal auf den allgemeinen Friedhöfen bestattet wurden, aufgrund der Intervention staatlichen Rechts inzwischen vorbei. Aber der grundsätzliche Geist und die Grundhaltung der Kirche zum Entscheid eines Menschen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hat sich im Grunde überhaupt nicht geändert. Das Dokument “Samaritanus bonus”, welches im Jahre 2019 durch das Sanctum Officium erlassen wurde, spricht diesbezügich, trotz vieler sehr wertvoller Überlegungen, die sich darin finden, eine überaus deutliche Sprache, insbesondere unter Kapitel V Ziffer 11. Es geht keineswegs darum, voreilige, vielleicht gar unbedachte, psychisch verdunkelte, depressionsbeladene oder rein situationsbezogene Entscheidungen eines Menschen leichtfertig zu unterstützen. Aber eine pauschale Ablehnung und negative Bewertung derartiger Entscheide zeugt nicht von tiefgreifender ethischer Fundierung, insbesondere auf dem Hintergrund, dass dadurch unter Umständen in den zentralsten Bereich menschlicher Autonomie eingegriffen wird und, bei einem gläubigen Menschen, ihm überdies letztlich eines der wichtigsten Sakramente, das Sakrament der Versöhnung, verweigert, ja ihm dadurch am Ende seines Lebens die gesamte Sinnbezogenheit seines vollzogenen menschlichen Daseins zumindest in Frage gestellt wird. Es war m.E. eine defizitär reflektierte Fehlleistung, dass nach Erscheinen von “Samaritanus bonus” die bischöflichen Genralvikariate dieses Dokument gegenüber allen Pfarreien im Hinblick auf die pastorale Betreuung von kranken Menschen fokussiert auf das Kapitel V Ziffer 11 kommunizierten.
    Genau solche Begebenheiten motivieren dazu, zu dieser Institution auf Distanz zu gehen. Jedenfalls viel mehr als die ewigen Diskussionen um Strukturen, Zugang zu Weihen, Lebensformen etc., wo gesellschaftspolitische Entwicklungen, die im säkularen Umfeld ohnehin zum Teil bereits stattfinden oder verwirklicht wurden, etwas verlangsamt nachgeholt werden.

  • Michael Bamberger sagt:

    Lieber Heinz Angehrn,

    “Schweigen hilft wohl gar nichts”, das hat ein Nicolas Betticher als Whistleblower der Öffentlichkeit exemplarisch aufgezeigt. Nur, warum ist er sozusagen der einsamer Rufer in der Wüste? Wo sind sie alle, die klerikalen Insider, wo bleibt deren Wahrheitssuche, deren Empathie und wo bleibt da deren Zivilcourage?

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