Heinz Angehrn

Nein danke, ich kann selber denken

Es geht nicht anders, und es mag Euch/Sie ärgern, aber ich muss meine Gedanken zum in der jetzigen gesellschaftlichen Situation notwendigen und not-wendenden zivilen Ungehorsam fortsetzen, jetzt aber in eigener Sprache und Philosophie.

(Beginnen wir mit Ironischem: Martin Grichting hat nach seinem Abgang eine eigene Homepage eröffnet, wo seine bisherigen Werke, auch Artikel in Zeitschriften und Festschriften, dokumentiert sind. Die HP stellt er unter folgendes Ebner-Eschenbach-Zitat: «Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit». So sehr ich mit ihm im Dissens bezüglich der Bedeutung der direkten Demokratie für eine Zivilisierung des römischen Zentralismus bin, so sehr verbindet uns anscheinend und unheimlicherweise die Überzeugung von der inneren Wahrheit dieses Zitats.)

Warum tut mehr radikaler Liberalismus heute so not, so sehr wie lange nicht mehr? Weil da ein staatlich gesteuertes, ein vom die Freiheit und Menschenwürde des Individuums verachtenden Mainstream-Zentralismus angefeuertes, Monstrum heranwächst. Kant hatte einst aufgerufen, aus der selbstverschuldeten (!) Unmündigkeit aufzubrechen. Viele, längst nicht alle, haben dies seither gewagt. Manche Vertreter/innen von Wissenschaft und Politik (die neuen «Feinde der offenen Gesellschaft», auch «Volkstherapeuten» genannt) versuchen jetzt dem durch die Globalisierung und die Multikulti-Welt verunsicherten Menschen des 21.Jahrhunderts einzureden, dass es sich unmündig und vom Staat gesteuert besser leben lässt. Kant scheint vergessen, und der preussische Staatsphilosoph Hegel feiert Wiederauferstehung: Papa/Mama Staat als Synthese aller Weisheit weiss es eben doch besser.
(Man beachte auch die Werke von Byung-Chul Han, der aufzeigt, wie Liberalismus degenerieren kann: «Angesichts des Kommunikations- und Konformitätszwanges stellt der Idiotismus eine Praxis der Freiheit dar.» Han. Psychopolitik. Frankfurt 2014. S.109)

These dieser Staats-Gläubigen ist immer, dass sie besser als das Individuum wissen, was diesem wohl tut: etwa welche Sprache es «korrekt» sprechen soll; welche Werke es in welcher Übersetzung «korrekt» lesen bzw. anschauen soll; etwa wann und wo es eine Maske aufsetzen soll (= muss); den Hund an die Leine nehmen soll (= muss); was und wieviel es konsumieren soll und dergleichen mehr; eben: dass sie besser wissen, wie wir denken sollen. Umgekehrt weiss dieser Staats-Mainstream natürlich auch besser als das Individuum, was diesem schadet, und erlässt deshalb möglichst viele Regeln und Gesetze. Und leider gibt es sie, die von Ebner-Eschenbach zitierten «glücklichen Sklaven», Menschen, die geradezu froh sind, wenn sie nicht selber entscheiden müssen, die froh sind, wenn ihnen Staat und Wissenschaft das Denken abnehmen.

Einst trat die FDP mit dem Slogan an «Mehr Freiheit, weniger Staat». Damals geschah dies natürlich vor allem, um dem Raubtier-Kapitalismus möglichst wenig Fesseln anzulegen und der eigenen Klientel ihre Privilegien zu sichern. Da sich diese/r inzwischen in seiner/ihrer Untauglichkeit selber entlarvt hat, ist es an der Zeit, den Slogan wieder zu beleben: «Mehr Freiheit des Individuums, möglichst wenig staatliche Einschränkungen» (man vergleiche etwa das Doppelinterview der NZZ mit Laura Zimmermann und Nicolas Rimoldi am 13.04.). Ich fordere alle gesellschaftlichen Kräfte, die weiter an den Wert der Aufklärung glauben und nicht tief im Inneren auf eine Diktatur der Gleichgesinnten oder auf den Orwell’schen Überwachungsstaat hoffen, zum aktiven Widerstand auf. Der könnte etwa lauten:

1 Die Würde und Rechte des Individuums sind in jedem Fall höher zu gewichten als die Ansprüche der Gemeinschaft.
2 Ein freier Entscheid ist immer besser als ein aufgezwungenes Verhalten.
3 Wir sehen den/die Bürger/in als Erwachsenen, nicht als Kind, das am Gängelband gehalten werden muss.
4 Gedanken, anders als Taten, sind absolut frei. Jegliche Gedankenpolizei ist ethisch zutiefst verwerflich.
5 Wir leisten zivilen Ungehorsam, wo 1)-4) bedroht sind.

(Und kommen Sie/kommt mir nun nicht mit der klassischen Keule, ich hätte mich ja auch nicht immer so verhalten. Ich habe während 37 Oberstufen-Jahren meinen Schülern/innen immer den Satz mitgegeben: Man muss sich nicht an Regeln und Gesetze halten, weil es sie gibt, man muss sich an den Sinn, wofür sie stehen, halten. Ist dieser Sinn in einer konkreten Situation nicht gegeben, ist die Einhaltung obsolet.)

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  • : pixabay.com CC0
18. April 2021 | 07:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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3 Gedanken zu „Nein danke, ich kann selber denken

  • karl stadler sagt:

    Herr Angehrn, in keiner Weise möchte ich das Ideal, das Sie hier in Bezug auf Freiheit vertreten, in Frage stellen. Bloss, wir sind uns wahrscheinlich bezüglich Methoden und vielleicht manchmal bezüglich dessen Bewertung im Hinblick auf einzelne Sachverhaltsfeststellungen nicht immer einig. Persönlich glaube ich nicht, dass uniforme, erstickende Mainstream-Strömungen in erster Linie vom Staat initiiert und kontrolliert werden. Dieser wird über weiteste Strecken nur für die je eigenen interessenbezogenen Stossrichtungen instrumentalisiert. Es sind doch vielmehr zeitgenössische, gesellschaftliche Entwicklungen, nicht selten gefördert von irgendwelchen Meinungsmachern und Intellektuellen in Medien und gesellschafftlichen Institutionen oder auch von Vertretern der Wirtschaftsverbände, wenn es denn gerade den momentanen Interessen dienlich erscheint. Ist man nicht vernetzt, nicht eingebunden in irgendwelche wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder politischen Seilschaften, hat man in Grunde sehr wenig zu melden, wird zum Fussvolk gezählt, zu den Wasserträgern, und zwar völlig unabhängig davon, ob die je eigene Denkungsart eher auf konservativem oder progressivem Boden verwurzelt ist. Und mir will es scheinen, dass diese Mechanismen gerade auch innerhalb der Kirche auf ähnliche Art präsent sind und funktionieren, und zwar innerhalb wie ausserhalb der CIC-formalen Funktionsstrukturen.
    Die Aufklärung, Herr Angehrn, stellt gewiss eine dringend notwendige Zäsur der westlichen Geistesgeschichte dar. Einerseits eine riesige Errungenschaft! Aber die Aufkärung erweist sich in ihren Auswirkungen alles andere als eindeutig oder nur befreiend! Die Aufklärung gebar im Verlaufe ihrer Wirkungsgeschichte und im Namen des Fortschritts genauso missionarische, uniforme, unterdrückende und zum Teil tödliche Entwicklungen und Strömungen, wie sie es vor ihrem Erscheinen kaum in diesem Ausmass gegeben hat, nicht einmal zu Zeiten der Inquisition. Und auch heute ist weiss Gott nicht alles, was sich auf aufgeklärtes Denken beruft, a priori geistig befreiend und ermunterrnd zu kritischem Reflektieren.
    Wo sich vielleicht der momentane Dissens entzündet hat, beim Thema Pandemie, ich weiss nicht, aber dieses Thema ist nach meinem persönlichen Dafürhalten im Grunde gar nicht so geeignet, solche Grundsatzfragen, die Sie in Ihrem heutigen Blog aufwerfen, abzuhandeln. Wenn es so wäre, dass die Regierung die Pandemie lediglich als Vorwand benützen wollte, um ihre Macht auszuweiten, wie es zum Teil von Fahnen tragenden und Treichlen schwingenden freifheitsliebenden Zeitgenossen hier in Altdorf letzthin implizit vorgetragen wurde, ja, dann wäre ich sofort einverstanden. Dass Massnahmen immer ein Stück weit umstritten sein werden, dass sie vielleicht teilweise auch unter Interesseneinflüssen etwas akzentuiert wurden, von der Sache her vielleicht nicht in allen Details nachvollziehbar erscheinen mögen, ich glaube, da stimmen wahrscheinlich die allermeisten zu. Aber darf man das bereits mit einer Art Gedankenpolizei oder diktatorischen Tendenzen gleichsetzen? Und jene, die die Pandemie einfach verharmlosen, es besser wissen wollen als das Gros der Wissenschafter weltweit, die scheinen einem schon etwas wirr. Es zeigt hier ein ähnliches Phänomen, wie es eine Zeitlang bei Leugnern des Klimawandels zu beobachten war, ein Thema übrigens, von dem man derzeit wenig hört, obwohl es viel grundlegender ist. Ich meine, sowohl Popper als auch Kant wären keinesfalls unter diesen Demonstranten zu finden.
    Zu dem Thema “sich nicht an die Gesetze halten, weil es sie gibt…” das Sie am Schluss angetönt haben, das führt zu einer Diskussion ohne Ende. In der Juristenzunft verhält es sich nämlich so, dass oftmals jeder und jede einen andern Sinn hinein interpretiert, sodass die Richterin oder der Richter zurecht entnervt mit dem Hammer auf die Gerichtsschranken haut und das Verdikt zum Ausdruck bringt: “Solange ein Gesetz in Kraft ist, hat man sich daran zu halten. Punkt!” Man muss keineswegs ein blinder, obrigkeitsgläubiger Rechtspositivist sein, um nach diesem Prinzip Rechtskultur zu leben. Aber auf den demokratiepolitisch sehr wichtigen Begriff “ziviler Ungehorsam” sollte man sich auch nicht inflationär berufen, sonst wird es nämlich bald gefährlich.

  • Cäcilia Koller sagt:

    Sehr geehrter Herr Angehrn
    Ich lese Ihre Kolumne eigentlich regelmässig und mit grossem Interesse.
    Heute möchte ich nur ganz kurz anmerken, dass man sich nicht wundern muss, wenn Erwachsene so reagieren, wie sie eben nicht reagieren sollen, wenn man die Ansicht hat, man müsse die jungen Menschen am Gängelband führen. Wie wollen sie so zu vernünftigen Erwachsenen werden.
    Kinder gehören nicht ans Gängelband – man soll sie stets ernst nehmen und mit Liebe begleiten, sich keinesfalls alles gefallen lassen und ihnen vor allem Respekt beibringen vor dem Leben, sei das nun in Form von Pflanzen, Tieren oder Menschen. Aber alles mit Liebe und der Gewissheit, dass nicht alles von uns abhängt!
    Danke für Ihre inspirierenden Gedanken und frohe Grüsse
    Cäcilia Koller

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