Karin Reinmüller

Kirche braucht Streitkultur

«Seid ganz eines Sinnes und einer Meinung» schreibt Paulus im Lesungstext dieses Sonntags an die Gemeinde in Korinth. «Ausgerechnet der», müssen sich beim Verlesen des Briefes einige gedacht haben, die ihn kannten. Schliesslich berichtet Paulus nicht ohne Stolz davon*, wie er Petrus, dem unbestrittenen Anführer der Apostel, «ins Angesicht widerstanden» hatte, als der mit seiner Meinung grob daneben lag – jedenfalls ganz woanders als Paulus.

Konflikte gibt es heute genug in der Kirche. Wer wie ich im Bistum Chur wohnt, weiss nach spätestens einigen Jahren, wo sie steht, wer ihre Verbündeten sind und wer Gegenpositionen vertritt. Nur offenen Streit, Widerstand von Angesicht zu Angesicht – das habe ich noch selten erlebt. Wieso eigentlich?

Da gibt es diejenigen, die einfach nichts mehr mit Leuten zu tun haben wollen, die ganz anders denken. Jahrzehntelanger Frust, Verletzungen, endloses gegen-die-Wand laufen – geronnen zu enttäuschter Resignation. Verständlich. Nur, wie Beziehungs-Erfahrene wissen (also eigentlich alle): Mit Vermeidung lösen sich keine Probleme, im Gegenteil.

Anders diejenigen, die am liebsten ganz viel zusammen machen möchten. Zum Beispiel Beten, das geht doch wunderbar, egal, wie wir ansonsten denken. Und über unsere Differenzen reden wir einfach nicht, das ist jetzt nicht Thema. Dafür lässt sich sogar das obige Paulus-Zitat als glänzendes Argument verwenden. Nur: Wie gesagt taugt Paulus schon aus charakterlichen Gründen rein gar nicht als Schutzheiliger der Harmoniebedürftigen. Da wäre es ratsam, sich die Weekend-Planung mancher Pub-freudiger Angelsachsen zu Herzen zu nehmen, etwas abgewandelt – statt «first we drink, then we fight!» vielleicht «first we pray, then we fight!». Oder umgekehrt.

Uns fehlt eine kirchliche Debattierkultur, wo Meinungen aufeinandertreffen und gestritten wird, ohne Diskussionsverbote, aber mit grundlegendem Respekt der Teilnehmenden voreinander, in der gemeinsamen Überzeugung, dass alle Beteiligten versuchen, als ChristInnen zu leben. Da könnte die «eine Meinung» liegen, auf die Paulus Wert legte.

Und was meinen Sie? Die Debatte ist eröffnet, die Kommentarfunktion auch.

*Galaterbrief, Kap. 2

Ein heutiger Paulus bei der Erstellung der Message an die Galater Bild: Christian Buehner/unsplash
25. Januar 2020 | 12:57
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 1 Min.
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3 Gedanken zu „Kirche braucht Streitkultur

  • karl stadler sagt:

    Da ist Ihnen vollkommen zuzustimmen. Das wäre wahrscheinlich gar keine schlechte Losung: “Zuerst beten, dann streiten.” Das wussten warscheinlich bereits unsere Vorfahren. Bevor sie jeweils mit der Landsgemeinde richtig begannen, – und da gab es ja nicht selten ganz heftige Rede und Gegenrede, es wurde also ganz massiv gestritten – riefen sie den heiligen Geist an, dass er sie erleuchten möge.
    Im Grunde wäre es ja wirklich erstaunlich, wenn das kirchliche Leben sich ohne massivsten Streit ereignen würde. Schliesslich ist die Kirche ja keine Insel der Seligen, abgeschieden von der übrigen gesellschaftlichen Entwicklung. Darum kann ich auch nicht richtig verstehen, dass die Kirche sich heute in einer besonderen Krise befinden soll, wie immer wieder darzulegen versucht wird. Trotz mancher schwierigen Themen, die heftig diskutiert werden: ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt doch, dass bereits um das Jahr 100 n.Chr. auf heftige Weise gestritten und sich gegenseitig die Legitimation abgesprochen wurde. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an den ersten Clemensbrief. Und was die Austrittszahlen anbetrifft, so scheint es m.E. nicht so sicher zu sein, ob es in früheren Zeiten proportional mehr überzeugte Mitglieder gab als heute. Immerhin herrscht heute nicht mehr der Grundsatz, “eius regio, cuius religio”. Zum Glück darf man sich hierzulande des Prinzips der Religionsfeiheit erfreuen.

    • Karin Reinmüller sagt:

      So ein kirchliches Äquivalent zur Landsgemeinde würde mir gefallen. Denn mein Problem ist ja nicht zu viel, sondern zu wenig direkte Auseinandersetzung zwischen Menschen, die unterschiedliche Positionen vertreten. Wobei das natürlich schwierig ist, wenn man sich gegenseitig mit Kirchenausschluss bzw. – austritt (be-)droht, deswegen ist mir der (paulinische?) Grundkonsens wichtig.

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