Kirche braucht Streitkultur

«Seid ganz eines Sinnes und einer Meinung» schreibt Paulus im Lesungstext dieses Sonntags an die Gemeinde in Korinth. «Ausgerechnet der», müssen sich beim Verlesen des Briefes einige gedacht haben, die ihn kannten. Schliesslich berichtet Paulus nicht ohne Stolz davon*, wie er Petrus, dem unbestrittenen Anführer der Apostel, «ins Angesicht widerstanden» hatte, als der mit seiner Meinung grob daneben lag – jedenfalls ganz woanders als Paulus.

Konflikte gibt es heute genug in der Kirche. Wer wie ich im Bistum Chur wohnt, weiss nach spätestens einigen Jahren, wo sie steht, wer ihre Verbündeten sind und wer Gegenpositionen vertritt. Nur offenen Streit, Widerstand von Angesicht zu Angesicht – das habe ich noch selten erlebt. Wieso eigentlich?

Da gibt es diejenigen, die einfach nichts mehr mit Leuten zu tun haben wollen, die ganz anders denken. Jahrzehntelanger Frust, Verletzungen, endloses gegen-die-Wand laufen – geronnen zu enttäuschter Resignation. Verständlich. Nur, wie Beziehungs-Erfahrene wissen (also eigentlich alle): Mit Vermeidung lösen sich keine Probleme, im Gegenteil.

Anders diejenigen, die am liebsten ganz viel zusammen machen möchten. Zum Beispiel Beten, das geht doch wunderbar, egal, wie wir ansonsten denken. Und über unsere Differenzen reden wir einfach nicht, das ist jetzt nicht Thema. Dafür lässt sich sogar das obige Paulus-Zitat als glänzendes Argument verwenden. Nur: Wie gesagt taugt Paulus schon aus charakterlichen Gründen rein gar nicht als Schutzheiliger der Harmoniebedürftigen. Da wäre es ratsam, sich die Weekend-Planung mancher Pub-freudiger Angelsachsen zu Herzen zu nehmen, etwas abgewandelt – statt «first we drink, then we fight!» vielleicht «first we pray, then we fight!». Oder umgekehrt.

Uns fehlt eine kirchliche Debattierkultur, wo Meinungen aufeinandertreffen und gestritten wird, ohne Diskussionsverbote, aber mit grundlegendem Respekt der Teilnehmenden voreinander, in der gemeinsamen Überzeugung, dass alle Beteiligten versuchen, als ChristInnen zu leben. Da könnte die «eine Meinung» liegen, auf die Paulus Wert legte.

Und was meinen Sie? Die Debatte ist eröffnet, die Kommentarfunktion auch.

*Galaterbrief, Kap. 2

Karin Reinmüller

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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