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Meinrad Furrer

Eine verquere Antwort auf eine queere Frage

Die queere Frage oder vielmehr ein Zweifel war:  «Hat die Kirche die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen?»
Und die verquere Antwort lautet: «Nein»

Leider ist die Begründungslage ziemlich dürftig. Es wird argumentiert, dass es nicht mit den in der Schöpfung eingeschriebenen Plänen Gottes vereinbar sei und auch nicht mit dem, was von Christus, dem Herrn vollständig offenbart ist. Glauben die Verfasser dieser Antwort tatsächlich, was sie schreiben? Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich will mir nicht vorstellen, dass sie nicht wissen, dass Christus, der Herr, sich gar nicht zu gleichgeschlechtlicher Liebe geäussert hat. Ich will mir nicht vorstellen, dass sie ignorieren, dass die wenigen Verse der Bibel über gleichgeschlechtliche Sexualität in ihrem historischen Kontext gedeutet werden müssen und die Realität heutiger Menschen nicht beschreiben können. Ich will nicht glauben, dass sie nicht wissen, dass ihre Aussagen über die Schöpfung einer theologischen und wissenschaftlichen Betrachtung nicht standhalten. Als gebildete Theologen, die die Texte des II. Vatikanischen Konzils und die daraus entwickelte Theologie kennen, müssen sie darüber im Bild sein.
Das Problem scheint anderswo zu liegen. Es geht um den Erhalt einer patriarchalen Macht. Schon immer ging es in von Männern dominierten Machtstrukturen darum, Sexualität und damit die Frauen und alle Anderssexuellen zu kontrollieren. Das Ausmass der mehr und mehr aufgedeckten Missbrauchsfälle in der Kirche und der langjährige Versuch, das System und die Täter zu decken anstatt den Opfern Gehör zu schenken, spricht Bände.

Aber damit scheint es jetzt irgendwie vorbei zu sein. Diese «Antwort auf einen Zweifel» hat im deutschsprachigen Raum eine Welle von Widerspruch ausgelöst, die in meiner Wahrnehmung so neu ist. Mir scheint, da hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, den ich sehr begrüsse. Wer Menschengruppen pauschal als sündig bezeichnet, ihnen den Segen verweigert und sie dadurch von der Liebe Gottes ausschliesst, weil sie Formen von Sexualität praktizieren, die nicht auf die Fortpflanzung bezogen sind, schliesst einen Grossteil der Menschen aus. Und er schliesst sich aus von der Möglichkeit, im Leben der Menschen eine bedeutende Rolle zu spielen.
Die Zeiten, in denen Menschen von der Kirche pastoral begleitet werden möchten in einem Leiden, das durch die Kirche mitverursacht wurde, sind vorbei. Auch die Zeiten, in denen Menschen sich ihre Sexualität in engen Grenzen vorschreiben lassen, sind vorbei. Ebenso die Zeiten, in denen Menschen ein unwürdiges Doppelleben führen wollen.

Ich bin deshalb dankbar über den heftigen Widerspruch so vieler, die deklarieren, dass sie es (weiterhin) anders machen werden. Ich finde es nämlich jammerschade, dass die Kirche den Menschen in ihrer konkreten Situation keine Unterstützung sein kann, weil nicht sein darf, was der jahrhundertealten Norm widerspricht. Es ist verständlich, dass die Religionen versucht haben, Sexualität zu reglementieren, denn sie ist eine unbändige Kraft. Es ist nicht einfach alles ok, was in der Sexualität geschieht. Es gibt Verletzung, Suchtpotential, Verleugnung der eigenen Grenzen, Sprachlosigkeit und unerfüllte Sehnsüchte zuhauf. Erfüllte sexuelle Beziehung aufzubauen und nach der Verliebtheit zu pflegen ist alles andere als leicht und scheitert oft an der fehlenden Sprache und Offenheit.

Will die katholische Kirche in der Begleitung von Menschen in ihren Beziehungen eine Rolle spielen, muss sie einiges lernen.
Zuerst muss sie ihre Schuld eingestehen, dass sie das Leben von sehr vielen Menschen belastet hat, die ihr Leben ausserhalb der normativen Zugänge der Kirche leben. Sie hat viele in die Sprachlosigkeit, ins Versteck und in massive innere Konflikte getrieben. Sie muss auch verstehen, dass diese Ablehnung und Verurteilung noch tief in unserer Kultur verankert ist und unbewusst weiterwirkt. Sie muss helfen, diese Zusammenhänge aufzudecken.

Sie muss neu lernen anzuerkennen, dass in Beziehungen, die sie früher nicht positiv bewertet hat, viel Freude, Erfüllung, Verbundenheit und auch Gemeinschaftssinn gelebt wird. Überhaupt sollte der Fokus weg von der Problematisierung hin zu einem Wertschätzen der Biographien der Menschen in ihrer ganzen Fülle, denn «es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände».

Ich begrüsse deshalb auch ausdrücklich die neue pastorale Orientierung, die sich bewusst ist, dass mit dem Beziehungsleben von Menschen «heiliger Boden» betreten wird.

Und in diesem achtsamen und hörenden Betreten des Raumes der Vielfalt von menschlichen Beziehungen lernt auch die Kirche vielleicht neu eine Sprache für gelingende Beziehungen, für verantwortungsvoll und lustvoll ausgelebte Körperlichkeit – und sie lernt vielleicht ganz neu zu unterscheiden, was dem Leben dient und was nicht, was die Liebe Gottes sichtbar macht und was nicht. Menschen und Beziehungen vom Segen Gottes auszuschliessen macht aus meiner Sicht jedenfalls die Liebe Gottes nicht erfahrbar.

Ob dies der Kirche gelingt, ist fraglich. Das ist für mich aber auch nicht der entscheidende Punkt. Ich bin überzeugt, dass es einzelnen Menschen gelingt, die dadurch Räume öffnen, in denen erfülltes Leben sich entfalten kann. Deshalb ist meine Motivation für diese Zeilen auch nicht primär der Widerspruch oder gar ein Protest, sondern das beherzte Eintreten für ein gutes Leben in Vielfalt.

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31. März 2021 | 17:20
von Meinrad Furrer
Lesezeit: ca. 3 Min.
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2 Gedanken zu „Eine verquere Antwort auf eine queere Frage

  • Josef I. Fischer sagt:

    Wenn ich den Artikel im “L’Osservatore Romano” (deutsche Ausgabe Nr. 11 vom 19.3.2021) zu diesem Thema lese, kommt die Geschichte schon etwas differenzierter herüber. Im öffentlichen Raum können wir in einer Demokratie mittels “Wahrheitsfindung durch Mehrheitsbeschluss” (Abstimmungen) alles verfügen was gerade politisch en vogue ist. Die Glaubenskongregation hat es hier viel schwerer. Es gibt nun einmal das klar definierte Sakrament der Ehe und es ist daher sicher legitim, wenn die Glaubenskongregation die Segnung gleichgeschlechtlicher Verbindungen (nicht Personen) ablehnt, mit der Begründung (nebst anderen), dass die Gefahr besteht, dass die Segnung gleichgeschlechtlicher Verbindungen dem Sakrament der Ehe gleichgestellt wird. In der öffentlichen Wahrnehmung wird ja auch so argumentiert, die “Ehe für alle” ist das eigentliche Thema!

    • Meinrad Furrer sagt:

      Herzlichen Dank für ihr Weiterdenken und Nachfragen.
      Ich hatte mich entschieden bei meinem Kommentar auf dieses Argument zu verzichten.
      Aber gerne gehe ich kurz darauf ein.
      Die Glaubenskongregation argumentiert aus meiner Sicht auch in diesem Punkt nicht schlüssig. Wie Sie sagen, gibt es das klar definierte Sakrament der Ehe. Dieses schliesst nicht nur gleichgeschlechtliche Paare aus, sondern auch Paare, die explizit keine Kinder zeugen wollen, Menschen, die geschieden sind von einem früheren Partner und übrigens auch Paare, die sich für die Trauung explizit einen nichtgeweihten Seelsorger wünschen.
      Ich war als Pastoralassistent öfters mit diesen Fragen konfroniert. Für mich war es klar, dass ich in der Bezeichung von dem, was ich anbieten kann, transparent bin, zum Bsp. eben eine Segensfeier nicht als Ehesakrament zu “verkaufen”. Aber einen Segen zu verweigern, das kam mir einfach nicht in den Sinn.
      Und die Frage stellt sich doch auch, warum die Angst der Verwechslung so gross ist. Die Meschen werden dies nicht mehr unterscheiden können oder wollen, wenn sie die Unterschiede nicht mehr nachvollziehen können. Und bei der Schwäche der Argumente der Glaubenskongreation ist das mehr als verständlich.

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