Heinz Angehrn

Eine neue Sozialform von Kirche

Covid19 und der lange Alp-Aufenthalt bringen mich zum Sinnieren. Immer noch habe ich unsere SKZ-Grossauflage 06/2020 zum Thema «Macht in Frage» im Hinterkopf, immer wieder bewegen mich Artikel über neueste Macht-Streitereien auch hier auf den Seiten von kath.ch.

Ich will ganz sicher nichts verwedeln oder schönreden, aber mir scheint je länger je mehr dieser ständige Fokus auf die Frage, wer denn in dieser Kirche wie viel Macht habe/haben darf/haben soll, als zwar intellektuell interessant und tagespolitisch aufregend, aber irgendwie auch als ein blosses Rückzugsgefecht, das verkennt, dass die Transformation, die bereits in vollem Gang ist, uns alle vor weitaus grössere Herausforderungen stellt.

Covid19-bedingt möchte ich darum hier in den Ostertagen an folgenden Themen arbeiten und erwarte gespannt allfällige Reaktionen:

  1. Warum reagieren wir so langsam und so schlecht auf das offensichtliche Ende bzw. Absterben der Gross-und Volkskirche in unseren Breitengraden? Warum wird viel mehr Untergang verwaltet als Übergang gestaltet (P.M.Zulehner)? Warum ist die Lust an der Aufgabe der Neu-Evangelisation so klein?

  2. Warum stellen wir uns nur mit grosser Mühe der Frage, was denn passieren könnte oder auch muss, wenn diese Kirche wieder «ad fontes» gehen, d.h. nach Abwurf der vielen Akzidenzien, die sich seit der Konstantinischen Wende um sie gerankt haben, sich wieder der eigentlichen Substanz zuwenden muss? Ich werde über das noch genauer sinnieren, aber mir steht das Bild vor Augen, das wir alle wieder Paulus auf dem Areopag sein müssten.

  3. Warum stellen wir uns so ungern der radikalen Konfrontation mit dem Urchristentum, mit der «Sache Jesu» (W.Marxsen), mit dem Ethos, das diese kleine religiöse Bewegung so überzeugend gemacht hat. Manchmal scheint mir, dass wir zwar recht Freude an Papa Francesco (nomen est omen) haben, ihm aber zurufen möchten «Bitte nicht so radikal».

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7. April 2020 | 15:39
von Heinz Angehrn
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Ein Gedanke zu „Eine neue Sozialform von Kirche

  • karl stadler sagt:

    Sie werden, Herr Angehrn, wahrscheinlich den nachfolgenden Überlegungen überhaupt nicht beipflichten wollen, weil Sie einer theologischen Sichtweise folgen. Wo ich Ihnen zustimme: Auch mir will scheinen, dass sich die Kirche, als religiöse Institution, zu sehr beschäftgt, wie Sie sagen mit “Akzidentien”, und zwar nicht selten mit rechtlichen Statusfragen, mit Zuständigkeiten, mit Kompetenzabgrenzungen oder mit normativen Fragen der persönlichen Lebensgestaltung. Das zeichnet zwar nicht einzig die Kirche aus. Das trifft man auch in anderen Religionen an, wie z.B. im Judentum oder im Islam.
    Sie postulieren ein sich Zurückbesinnen auf die Quellen, eine Umkehr “ad fontes”, zum Urchristentum, zur Praxis der vorkonstantinischen Kirche. Aber ereigneten sich nicht bereits damals, also um ca. 100 n.Chr., harte Konflikte ähnlichen Inhalts zwischen einzelnen Richtungen. Man denke nur an den ersten Clemensbrief an die Korinther.
    Sie werden nicht zustimmen. Aber gerade jetzt in der Zeit der Karwoche stellen sich Erinnerungen aus der Kindheit und Jugendzeit ein: Die Logik, den Sinn des “Erlösungstodes” Christi, mit dem Auferstehungsgedanken, vermochte ich nie richtig zu verstehen. Ich vermochte nie einen nachvollziehbaren Sinn aus dem diesem Todesereignis, aus diesem Narrativ zu verinnerlichen. Was sich jedoch einprägte, war jeweils am Karfreitag die Passionsgeschichte, die in dieser Liturgie vorgelesen wurde: Die Rolle des Judas, der ihn für wenig Geld an seine Feinde auslieferte, die wütende Masse, die “kreuzige ihn” schrie, oder die Rolle der Hohepriester als eigentliche Drahtzieher der Tragödie, während der mächtige römische Statthalter lediglich als Vollzugsorgan der Juden wirkte. Solche Schriftstellen haben sich eingeprägt, dass man sie noch nach Jahrzehnten auswendig zitieren könnte. Das Verstehen der fundamentalen theologischen Sinnhaftigkeit dieses Narrativs entzieht sich mir bis heute. Auch zentrale Texte wie Feld- und Bergpredigt erweisen sich, gemessen an der zumeist komplexen historischen Wirklichkeit, nicht leicht verständlich.
    Sind es vielleicht nicht gerade solche Momente, welche stetige Machtkämpfe, wie sie mehr oder weniger über weite Strecken die Kirchengeschichte begleiten, hervorrufen? Verstellen solche normativen – und verurteilenden Imperative, wie sie aus deratigen Schriftstellen hervorgehen, nicht gerade das, was das Substanzielle einer religiösen Inspiration, die Sehnsucht nach Transzendenz, vielleicht ausmachen könnte? Mir ist schon bewusst, dass solche Überlegungen den Kern, welcher das Christliche charakterisiert, entstellt oder ihn entfremdet.

    Aber gerade jetzt, ansichts eines weltumspannenden Ereignisses wie die Corona-Krise, zeigt sich, wie trotz einer hoch entwickelten wissenschaftlich-technischen Zivilisation, wie sie die Geschichte noch nie gesehen hat, dass innert kürzester Zeit tragende institutionelle Einrichtungen wie beispielsweise die Wirtschaft und alle damit vernetzten sozialen, politischen und gesellschaftlichen Phänomene und Institutionen gewaltig ins Wanken geraten, dass zig-Millionen Existenzen aus der Bahn geworfen werden, dass über Nacht und alle Grenzen hinweg, Freund und Feind, von den mächtigsten Entscheidungsträgern bis hinunter zu den Schwachen und Ausgegrenzten in ihrer Gesundheit tödlich gefährdet sein können, derart, dass das Bewusstsein um die alles durchdringende Kontingenz menschlichen Daseins uns im Alltag unausweichbar einholt. Ist denn die Sehnsucht nach etwas Transzendentem – was auch immer darunter zu verstehen sein mag – nicht das, was den Kern einer religiösen Erfahrung ausmacht? Und sollte vorerst nicht alles Normative, alles Politische, alle Werte, im Erfahren einer solchen vielleicht möglichen Sehnsucht ausgespart bleiben, angesichts der zufälligen und niemnals gänzlich vorzubeugenden Zerbrechlichkeit, die jeden Menschen durch sein Leben begleitet? Natürlich nicht in dem Sinne, dass Werte und Normen die Gestaltung menschlicen Lebens nicht auch wesentlich mitbetimmen sollen. Aber hält man sich dieses ursprünglichste Ereignis vor Augen, das Bewusstsein um diese allen Menschen gegenüber aufscheinende Kontingenz, und vielleicht die bei manchen Menschen daraus entspringende Sehnsucht nach Transzendenz, dann stehen doch Normen und Werte in einem ersten Blick nicht im Fokus. Das Wissen, dass wir letztlich alle dieser Zufälligkeit überantwortet sind, ruft erst in der Folge mit Notwendigkeit nach Werten und Normen, deren Geltungsbegründung vielleicht eher losgelöst von religiöser Erfahrung ausgestaltet werden sollte. Es sei eingestanden, dass ein solches Religionsverständnis sich weniger identitäts- oder kulturstiftend auswirken könnte, ja dass es auch der offenbarungsbezogenen christlichen Soziallehre nicht genügen würde. Wäre ein solches Verständnis aber vielleicht nicht etwas weniger dogmatisch ausgerichtet, und dadurch vielleicht weniger konfliktträchtig?

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