Heinz Angehrn

Desillusionierung

Auf sehr hartem Boden von Tatsachen angekommen sehen sich zurzeit viele, die sich vor religiös-theologischem Hintergrund für Pazifismus bzw. Gewaltlosigkeit engagiert haben. Hohn und Spott sind ihnen seitens ihrer ideologischen Gegenseite gewiss, das ist sicher zunächst mal einfach unfair. Denn unter pazifistisch eingestellten Menschen (etwa den Dienstverweigerern, denen ich im Verlauf meines Studiums begegnete) gab und gibt es viele mit einem hohen Ethos und auch dem dazu nötigen gelieferten Tatbeweis. Es ist nicht zu zweifeln am individuellen Gewissensentscheid. Jedoch:

Es hat sich eben gar nicht so viel verändert, seit ich als 18jähriger Gymnasiast die mehrseitige Begründung für meinen Antrag auf Einteilung in den waffenlosen Dienst der Schweizer Armee geschrieben hatte und mich auf die Suche nach Referenzen machte – ein übrigens sehr spannender und lehrreicher Abschluss der Pubertät, der mich dann (nebst anderem, das heute nicht Thema sein soll) direkt ins Studium der Theologie führte. Dienstverweigerung war für mich als Kind von Aktivdienst-Eltern nie eine Option.

Nicht so viel verändert hat sich, weil nach dem Ende des sogenannten «Kalten Krieges» fast sofort die brutalen Jugoslawien-Kriege mit ihren Genoziden und Vertreibungen folgten. Die Illusion einer Generation von Europäern, dass mit dem Zusammenwachsen der alten Feinde nun dauerhafter Friede möglich sei, wurde damals durch nichts so deutlich konterkariert wie durch die Tatsache, dass es mit Joschka Fischer exakt ein Aussenminister einer pazifistischen Partei war, der die Intervention auf dem Balkan unterstützte. (Und eine wesentliche Wurzel dieser Kriege waren religiöse, ja sogar konfessionelle Gräben – man vergesse dies nie!)

Nur Blinde und Verblendete konnten und können einem Pazifismus pur das Wort reden. Jesus von Nazareth spricht ja nur vom individuell begründeten und verantworteten Entscheid des einzelnen Menschen, auf Gewalt nicht mit Gegengewalt zu antworten. Als Maxime, Schwache und Bedrängte vor Gewalt zu schützen, taugen seine Worte nicht. Ich hatte als junger Mensch die Sache wohl schon richtig erfasst, als ich schrieb, dass ich nicht auf Befehl eines Vorgesetzten eine Waffe gebrauchen, sondern selber entscheiden wolle, ob Waffengewalt in einer konkreten Situation nötig sei.

Und der Tyrannenmord war in der gesamten christlichen Soziallehre immer eine blutige Option, wie Menschenrechte und -Würde auch christlich verteidigt werden konnten. Wo finden sich heute 2022 die Stauffenbergs?

Ich ziehe Conclusiones
– nie mehr eine allgemeine Wehrpflicht, aber die Verpflichtung für alle jungen Männer und Frauen, einen längeren sozialen Einsatz für unser Land zu leisten, so dass keine/r sich mehr um Solidarität drücken kann
– eine starke Armee, die auch imstande ist, die Schwachen wirksam zu schützen (dazu gehören nun wohl oder übel auch einige blitzschnelle Kampf-Flugzeuge)
– maximale juristische Macht für internationale Gerichtshöfe
– und (nie nie mehr) Verzicht unseres Schweizer demokratischen Gemeinwesens auf irgendwelche Komplizenschaft mit Tätern und Aggressoren


Bildquellen

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5. März 2022 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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5 Gedanken zu „Desillusionierung

  • Michael Bamberger sagt:

    Heinz Angehrn: “Jesus von Nazareth spricht ja nur vom individuell begründeten und verantworteten Entscheid des einzelnen Menschen, auf Gewalt nicht mit Gegengewalt zu antworten.”

    Wieso verwendet dann dieser Jesus eine Geissel aus Stricken im Vorhof eines Tempels gegen Händler und Geldwechsler, die noch dazu keinem Menschen Gewalt angetan haben? Siehe Joh 2,13–22.

  • stadler karl sagt:

    Nein, Hohn und Spott gegenüber Friedensbewegten wäre nicht nur völlig fehl am Platz, sondern irgendwie auch ein Frevel gegenüber der Menschenwürde, obwohl man manchmal auch seitens von Friedensbewegten herablassend belächelt wurde. Man muss in keinster Weise ein Militarist, ein “Militärgrind”, wie man bei uns früher allzu Militärbegeisterte zu nennen pflegte, sein, um für eine starke militärische Landesverteidigung einzutreten. Ich habe persönlich in der zweiten Hälfte der siebziger und auch in den achziger Jahren eine ganze Reihe von Militärdienstverweigerern vor verschiedenen Divisionsgerichten verteidigt. Es ging in der Regel immer um die gleiche Frage, die Glaubhaftmachung schwerer Gewissensnot, ein Tatbestandelement, dessen schlüssige Begründung eigentlich bei genauem Hinsehen gar nicht möglich ist. Aber ab und zu gelang es dennoch, die Divisionsrichter zu überzeugen und man erhielt den privilegierten Tatbestand zugesprochen, was sich auf das Strafmass auswirkte. Persönlich aber wurde ich immer, auch als Jugendlicher, von der Überzeugung getragen, dass der Mensch – wir alle eingeschlossen – in keiner Weise ein ausschiesslich friedliches Wesen ist, ja, dass es nicht nur ratsam, sondern auch der Verantwortung geschuldet ist, nicht nur mit der Bibel durchs Leben zu gehen, sondern immer auch mit einer griffbereiten Waffe, um es einmal metaphorisch auszudrücken. Ich verbrachte ca. ein Jahr im Militär, zweimal gar in scharfem Arrest, übrigens völlig zurecht, wenn für das damalige Verhalten militärische Normen angelegt werden. Ich stimme Ihnen völlig zu: Um postpubertäre Flausen etwas zurückzustutzen, dazu eignete sich das MIlitär gar nicht so schlecht. Natürlich wurde im Militär auch Zeit manchmal in etwas stupider Weise verbracht. Aber ich erinnere mich auch an viele schöne Erlebnisse, gerade was menschliche Begegnungen anbelangt. Das Militiär bestand nicht ausschliesslich aus stupidem Drill. Aber, und diesbezügich ist den Friedensbewegten nicht zu widersprechen: Das Militär ist letztlich ein Übel, wenn auch ein notwendiges. Eine Institution, wo menschliche Energie, Intelligenz und Kreativität eingesetzt wird, die ohne jeden Zweifel für viel wertvollere Zwecke verwendet werden könnte.
    Aber, so abstrus es auch tönt, Tatsache ist und bleibt auch der Umstand, dass das humanste rechtsstaatliche System letztlich mit Gewalt abgesichert wird, wenn es hart auf hart geht gar mit Waffengewalt. Das gesamte Vollzugsrecht, z.B. die Polizeigesetze, kommen um Regelungen der Gewaltanwendung nicht herum. Das alles ist unserer menschlichen Natur geschuldet, die uns allen eigen ist.

  • Und wie stehs mitt dem geradezu überwältigend grossen “Erfolg” der “Friedens”einsätze in Afghanistin, im Irak usw.???? Müsste man nicht hier von Desillusionierung des Prinzips “Frieden schaffen MIT Waffen” sprechen?

  • stadler karl sagt:

    Herr Angehrn, was ich anzuführen vergass: Mit dem Eintreten für eine starke Landesverteidigung soll natürlich unter keinen Umständen gemeint sein, der Hauptbeitrag für die Sicherheit und die Friedenssicherung sei damit geleistet. Ich bin überzeugt, dass allen, die für eine starke Landesverteidigung eintreten, sehr wohl klar ist, dass Frieden ein viel komplexerer Prozess darstellt und viel mehr abverlangt als das Bereitstellen einer militärischen Verteidigung. Von den Pflichten, die uns allen obliegen, das Bemühen um ein umweltverträgliches Verhalten im privaten wie im wirtschaftlich-staatlichen Bereich, die Wertschätzung anderer Kulturen oder das Eintreten für globale Bedingungen, die möglichst vielen Menschen ein materiell lebenswertes Leben eröffnen, bilden selbstverständlich ebenso wichtige Felder, auf denen für Sicherheit und Frieden Einsatz geleistet werden muss.

  • stadler karl sagt:

    Der mit Abstand grösste Teil an Todesopfern im Irak resultierte nicht aus der eigentlichen militärischen Invasion der USA, sondern aus den bürgerkriegsähnlichen Zuständen, nicht zuletzt zwischen Sunniten und Schiiten, also zwischen Religionen, im Gefolge dieser Invasion. Und es waren die USA und die Kurden, die den Schergen des IS in Syrien und im Irak mehr oder weniger den Garaus machten. Die Europäer wären nicht im Ansatz dazu in der Lage gewesen. Und bevor die Amerikaner auch nur einen Fuss in den Irak setzten, verursachte das iranische Mullah-Regime und der irakische Schlächter Saddam Hussein im ersten Golfkrieg bereits um 800’000 Todesopfer. Es war ein Krieg, als z.B. Achmedinejad, der nachmalige Präsident Irans, der bei jeder Gelegendheit zur Vernichtung des Staates Israel aufruft, Kinder und Jugendliche mit himmlischen Heilsversdprechen über die irakischen Minenfelder laufen liess, damit sie so den Weg frei machten für iranische Truppen. Und es war die Zeit, als Saddam Hussein im Norden Iraks, in den zivilen Kurdengebieten, Giftgas einsetzen liess, so dass die Menschen wie tote Fliegen herumlagen.
    In Afghanistan war das anfängliche militärische Ziel der USA nicht, dort eine Demokratie einzurichten, sondern die riesigen Ausbildungs- und Trainingslager der Al Kaida auszuschalten. Das ist den USA militärisch auch sehr gut gelungen, worauf die Anschläge in Europa und den USA drastisch zurückgingen. Auch dazu wären die Europäer schlicht nicht in der Lage gewesen. Mit durch und durch korrputen Leuten, wie es die afghanische Regierung in der Folge war, eine tragfähige Demokratie einzurichten und das Volk hinter sich zu bringen, ist allerdings schwierig. Vielleicht muss der Westen davon Abstand nehmen, sein Menschenrechtsverständnis in alle Ecken dieses Globus exportieren zu wollen. Aber immerhin: Während der militärischen Anwesenheit der USA in Afghanistan konnten sich die Frauen dort wenigstens ein wenig freier in der Öffentlichkeit bewegen, an den Bildungsangeboten teilnehmen, ein wenig Freiheit schnuppern. Das wird ganz eindrücklich in Schilderungen von afghanischen Frauen dargestellt. Das wird nun von den Taliban – wiederum Religionsbewegte – alles wieder zunichte gemacht.
    Und während des Balkankrieges in den neunziger Jahren war es die NATO, im Prinzip jedoch wieder die USA, weil die Europäer militärisch nicht in der Lage waren, welche die ethnische Säuberung des Kosovo mit Waffengewalt stoppten und den Kosovaren ermöglichten, ein eigenes Staatsgebilde zu gründen.
    Hätte im 2. Weltkrieg die rote Armee und die USA die Nazis nicht mit massivster Waffengewalt besiegt, die letzteren würden vielleicht heute noch hier in Europa wüten.
    Die Geschichte ist empirisch äusserst reich an Beispielen, wo tyrannische Regime mit Waffengewalt niedergerungen wurden oder wo friedliche Staaten mit Waffengewalt gerettet wurden, aber anderseits auch, wo Herrscher mit gut ausgerüsteten Armeen friedliche Länder unterjochten und ganze Kulturen zerstörten.
    Und wenn argumentiert wird, die Landesverteidigung sei nur schlimmes Übel, dann wäre es endlich an der Zeit, darüber zu reflektieren, wo denn die Religionen, nicht zuletzt auch das Christentum, den Menschen Frieden gebracht haben. Da würde man empirisch sehr schnell fündig, angefangen bei der Feldpredigt über die gesamte zweitausendjährige Geschichte!

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