Heinz Angehrn

Beachtliches Zitat zur Zeit

Nur zitiert, nichts vom Schreibenden hinzugefügt, aus dem NZZ-Interview von René Scheu mit dem Philosophen Markus Gabriel (27.10., S.30f):

«Das ist das Selbstverständnis des Menschen im neuen Hygienismus, der sich ja ebenfalls anlässt wie eine grosse Realsatire. Wehe, Sie niesen oder husten im Zug! Sie werden wie ein Aussätziger behandelt. Die Menschen treffen sich heute, um zu zeigen, dass sie eineinhalb Meter Abstand wahren können. Man marschiert mit der Maske an seinen Tisch, und dann verbringt man ein paar Stunden ohne Maske. Man sitzt im Restaurant, und die erste Stunde des Dinners besteht in der Diskussion darüber, wie gefährlich es ist, in geschlossenen Räumen beieinander zu sein, wie moralisch man aber zugleich ist, weil man ja alle Regeln beachtet und selbst die Corona-App installiert hat. Wir können gegenwärtig mannigfache Verhaltensanomalien dieser Art beobachten. Ich halte es hier ebenfalls mit dem Schweizer Uhrmacher, der sich weiterhin als freies, verantwortliches, vernunftbegabtes Wesen versteht. Er muss jetzt nicht in den schwitzigen Klub, er trägt eine Maske, er kann auch einmal von zu Hause arbeiten, aber er hat nicht gleich Todesangst. Er hört nicht auf, ein Mensch zu sein, sondern verhält sich vorsichtig angesichts der Gefahren der Pandemie.»

Applaus!
(Apropos: Wir waren gestern golfen im wunderschönen, hoch ob dem Lago di Lugano gelegenen 9-Loch-Platz von Lanzo d’Intelvi. Da gab es so unselbständige, von Panik getriebene Menschen, die trugen die Maske vom Auto bis zum Abschlag von Loch 1, obwohl sie unter sich waren. Da gab es den selbständigen, allein sitzenden Mann an der Bar ohne Maske. Ich trug sie übrigens quer hoch über dem Kopf.)

Bildquellen

  • DSCN0231: Bildrechte beim Autor
Royal Talair, Scotland, Hole 13
29. Oktober 2020 | 11:04
von Heinz Angehrn
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3 Gedanken zu „Beachtliches Zitat zur Zeit

  • Selbstverständlich ist nicht jeder, der hustet, gefährlich. Aber: Als ich auf Kreta kürzlich in einem Touristenbus sass, hat ein Mann hinter mir alle fünf Minuten stark gehustet. Es gab kein Ausweichen, weil alle Plätze besetzt waren. Wenn der Herr wenigstens eine Maske getragen hätte.

  • stadler karl sagt:

    Aber Herr Angehrn, was will dieser Philosoph letztlich sagen? Dass wir alle verängstigt überreagieren und in Panik machen? Persönlich kenne ich jedenfalls keine Person, die sich moralisch erhöht fühlte, weil sie sich an die vom BR angeordneten Regeln hält, oder die Todesängste ausstehen würde oder aufhören würde, ein Mensch zu sein? Sicher, es hat ein wenig mit Eigenverantwortung zu tun, geht es doch nicht allein um sich selbst als vielmehr um die ganze Gesellschaft. Wenn es um Latenzzeiten, Inkubationszeiten, Infektiosität, Reproduktionsraten, Positivraten, serielle Intervalle, Aerosole und dergleichen geht, und die Frage, mit welchen Massnahmen und welchem Verhalten allenfalls ein Teil dieser Faktoren – gewiss nicht alle – ein wenig gesteuert werden können, dann halte ich mich an Virologen und Epidemiologen und nicht an die Philosophen. In einem gut besetzten Zug, wo rund um mich herum gehustet und geniest würde, ich gebe es zu, würde ich mich derzeit keineswegs wohl fühlen. Leidet man deswegen unter einer Verhaltensanomalie, wie der Philosoph halbwegs meint oder ist es eine nachvollziehbare Angst, die einen in solchen Zeiten ein wenig umtreibt? Muss dieser Markus Gabriel seinerseits mit dem Zug pendeln, wenn er an die Arbeit geht? Ich war gerade diese Woche sehr froh, dass ich einer Verpflichtung, die ich hätte in der Strafanstalt Pöchswies wahrnehmen müssen, auf anderweitige Weise nachkommen konnte und nicht ausgerechnet im Pendelverkehr reisen musste.
    Mit den angeordneten Einschränkungen müssen wir vorderhand wohl oder übel Vorlieb nehmen. Handelt es sich dabei wirklich um unverhältnismässige Grundrechtseinschränkungen, wie mancherorts beklagt wird? Die Einsiedler Mönche werden in der kommenden Woche auch auf ein liturgisches Gross-Event verzichten müssen. Dieser Aussenminister des Vatikans, Herr Parolin, wird wahrscheinlich eine stille Messe lesen, vielleicht an einem der vielen Seitenaltäre, und die Gläubigen werden zuhause still und zurückgezogen den Rosenkranz hervornehmen. Auf die manchmal etwas lärmigen Therapieen in den Bierrunden am Stammtisch sollte man vorzugsweise derzeit leider auch eher verzichten, eine nicht unerhebliche Einschränkung der sozialen Entfaltung! Oder sehen Sie dies anders?

  • Heinz Angehrn sagt:

    Aus dem Net für Herrn Stadler:
    Die Philosophen Catharine Diehl und Tobias Rosefeldt kommen 2015 bei der Untersuchung von Gabriels neuem oder neutralem Realismus zu dem Schluss, „dass die meisten von Gabriels Thesen verschiedene Lesarten zulassen, von denen die einen akzeptabel aber philosophisch wenig originell, die anderen dagegen unplausibel und schlecht begründet sind“.
    So tönt ja auch das Interview, da haben Sie recht.

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