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Daniel Kosch

Kirche und Politik: «Wir können nicht vermeiden, konkret zu sein»

Wieder einmal werden in der Schweiz das Thema «Kirche und Politik» und das Verhältnis zwischen christlichen Werten und konkreter Tagespolitik intensiv diskutiert. Die Gemengelage ist komplex.

Tagespolitische Abstinenz der kirchlichen Hierarchie?

Der Churer Generalvikar Martin Grichting plädiert für eine weitgehende tagespolitische Abstinenz der kirchlichen Hierarchie, und singt in diesem Bereich das hohe Lied der Freiheit und Eigenverantwortung der Laien, obwohl er diese im eigenen kirchlichen Zuständigkeitsbereich eher geringschätzt, insbesondere wenn diese Mitverantwortung von staatskirchenrechtlichen Behörden wahrgenommen wird. Der kirchliche Lebensschutz wird strikte auf den Anfang und das Ende des Lebens limitiert – zu lebensbedrohlichen Problemen und Missständen «mitten im Leben» herrscht Schweigen.

Reden aus einer anderen Perspektive?

Der Basler Bischof Felix Gmür betont: «Die Kirche macht keine Politik. … Jeder Mensch und jeder Christ ist frei, die Partei zu wählen, die er für richtig hält. … Die Kirche hat mit vielen Parteien gemeinsame Ansichten und mit vielen divergierende. Das ist kein Problem. … Es ist nicht die Aufgabe der Kirche, das politische Geschehen zu gestalten. Die Kirche redet aus einer anderen Perspektive, die nicht Tagespolitik ist. Das ist eine prophetische Aufgabe.» Das ist diplomatisch gesagt. Allerdings spricht Bischof Gmür dann doch von Waffenexporten und von der Flüchtlingspolitik. Und als Präsident von Fastenopfer engagiert er sich für ein auch entwicklungspolitisch klar positioniertes Hilfswerk.

Der Rechtsstaat als einzige Norm christlich geprägter Politik?

Der CVP-Präsident Gerhard Pfister betont die Bedeutung der christlichen Werte und des C in der Politik, und sagt gleichzeitig: «Der Glaube und die christdemokratische Politik sind für mich verschiedene Welten. … Von Frömmelei jeder Art in der Politik halte ich hingegen nichts. … Die Norm, in der man sich politisch bewegen soll, ist einzig und allein der Rechtsstaat.»

Authentischer Glaube schliesst den tiefen Wunsch ein, die Welt zu verändern

Andere Töne kommen aus Rom, von Bischof Franziskus. Er sagt klipp und klar: «Die Lehren der Kirche zu den säkularen Angelegenheiten (sprich: zu sozialen und politischen Fragen) … mögen Diskussionsgegenstand sein; wir können jedoch nicht vermeiden, konkret zu sein … damit die grossen sozialen Grundsätze nicht bloss allgemeine Hinweise bleiben, die niemanden unmittelbar angehen. Man muss die praktischen Konsequenzen aus ihnen ziehen, damit sie auch die komplexen aktuellen Situationen wirksam beeinflussen können. … Wir wissen, dass Gott das Glück seiner Kinder … auch auf dieser Erde wünscht … Ein authentischer Glaube – der niemals bequem und individualistisch ist – schliesst immer den tiefen Wunsch ein, die Welt zu verändern, … Alle Christen, auch die Hirten, sind berufen, sich um den Aufbau einer besseren Welt zu kümmern.» (Evangelii Gaudium [EG] 182f.)

Glaube, der die Erde liebt, ist ohne Einmischung nicht zu haben

Ich mache kein Geheimnis daraus, dass die Haltung von Papst Franziskus mich am meisten überzeugt. Dies aus zwei Gründen:

1. In der biblischen Rede von Gott, im Leben und in der Botschaft Jesu sind Gott und Gerechtigkeit, das Reich Gottes und die Armen, Liebe und Solidarität so eng und so konkret miteinander verknüpft, dass man sie nicht voneinander trennen kann, ohne damit sowohl die Gerechtigkeit, die Armen und die Solidarität als auch Gott, sein Reich und die Liebe zu beschädigen. Ein Glaube, der die Erde liebt und ein starkes biblisches Fundament hat, ist ohne Parteinahme und ohne Einmischung nicht zu haben.

2. Schweigen und diplomatisches Abseitsstehen sind alles andere als unpolitisch: Sie dienen letztlich den Mächtigen, den Reichen und Einflussreichen. Denn sie vermeiden es, sich die Hände an der Realität und ihren Widersprüchlichkeiten schmutzig zu machen und gehen nicht das Risiko derer ein, die sich aussetzen und sich verwundbar machen. Ich teile die Vorliebe von Papst Franziskus für eine «verbeult(e) Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Strassen hinausgegangen ist» (EG 49).

Entschiedenheit, aber ohne Unfehlbarkeitsanspruch

Gleichzeitig finde ich es richtig, dass Bischöfe und die Kirche als Institution, aber auch christliche Organisationen dann, wenn sie sich einmischen, nicht den Anspruch erheben, über «die» richtige, «die» christliche oder «die» wahre Antwort zu verfügen. Sie müssen auf eine Art kommunizieren, dass spürbar wird, dass sie es respektieren, dass andere – auch Mitglieder ihrer eigenen Organisation – im konkreten Fall andere Auffassungen vertreten. Leidenschaftliches, konkretes und entschiedenes Engagement dürfen nicht mit Unfehlbarkeitsansprüchen, Arroganz und mangelndem Respekt gegenüber jenen einhergehen, die nach sorgfältiger Prüfung zu einem anderen Schluss kommen. Zudem gilt es in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Frage so wichtig und die eigene Position so klar und abgestützt ist, dass sie wirksam vertreten werden kann. Unter diesen  Gesichtspunkten ist eine gewisse Zurückhaltung bezüglich «politischer Einmischung» der Kirchen(leitungen) berechtigt – sie verliert an Gewicht, wenn sie zu häufig erfolgt und nicht spürbar wird, dass es darum geht,  sich aus der Mitte des Evangeliums heraus zu zentralen Fragen des Lebens und Zusammenlebens zu äussern.

Aber ein mutiger, realitätsbezogener und begründeter Positionsbezug, der im Evangelium und in der kirchlichen Tradition verankert ist, hat weder mit «Frömmelei», noch mit «klerikaler Bevormundung» zu tun.

Unvermeidliche Konflikte als Ausgangspunkt neuer Prozesse

Wenn der Papst, die Bischofskonferenzen und die Bischöfe, Kirchenleitungen anderer Konfessionen, aber auch kirchliche Verbände, Hilfswerke, Ordensgemeinschaften und Parteien mit christlichem Wertefundament sich auf diese Art einmischen und dabei – um nochmals Papst Franziskus zu zitieren – «nicht vermeiden, konkret zu sein», werden unterschiedliche Sichtweisen und Positionsbezüge unvermeidbar sein. Selbst der Wunsch, man möge wenigstens nach einer «harmonischen Vielstimmigkeit» streben und «Dissonanzen» vermeiden, ist nicht immer erfüllbar.

Auch diesbezüglich ist Franziskus klar: «Der Konflikt darf nicht ignoriert und beschönigt werden. Man muss sich ihm stellen.» Nötig ist aber die «Bereitschaft, den Konflikt zu erleiden, ihn zu lösen und ihn zum Ausgangspunkt eines neuen Prozesses zu machen. … Die Solidarität, verstanden in ihrem tiefsten und am meisten herausforderndsten Sinn, wird zu einer Weise, Geschichte in einem lebendigen Umfeld zu schreiben, wo die Konflikte, die Spannungen und die Gegensätze zu einer vielgestaltigen Einheit führen können, die neues Leben hervorbringt» (EG 226-228).

Together | © pixabay.com CCO
27. Mai 2018 | 12:08
von Daniel Kosch
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Ein Gedanke zu „Kirche und Politik: «Wir können nicht vermeiden, konkret zu sein»

  • Karl Stadler sagt:

    Ein sehr interessanter, lesenswerter, jedoch in seiner letzten Konsequenz etwas provozierender Beitrag, Herr Kosch. Denn immer wieder werden einem da Nadelstiche ausgeteilt, obwohl man gerne in Ruhe gelassen und sich lieber gegen noch mehr innere Verunsichereung abschirmen würde!
    Mit der “Kirche” ist es so eine Sache: Bis heute vermag ich mir nicht genau vorzustellen, was eigentlich mit diesem Begriff genau gemeint sein darf: Irgendein ein theologisches Begriffskonzept, das alle einschliesst, die jemals die Taufe empfangen haben; oder die durch den CIC festgelegte Ämterhierarchie; oder in der CH die staatskrichenrechtlichen Behördenstrukturen oder vielleicht die gewöhnlichen Leute an den Stammtischen bei ihrer Alltagsbewältigung? Die letzte Version wohl weniger, nachdem sich teilweise die Politik, intellektuelle Kreise und Kulturszene manchmal etwas herablassend über dieses Menschensegment neigen.
    Wenn Sie schreiben, dass “authentischer Glaube vom Wunsch beseelt sei, die Welt zum Besseren zu verändern”, so bildet der Glaube hierfür wahrscheinlicch keine zwingende Prämisse. Oder verhält es sich umgekehrt, dass der Veränderungswunsch für den rechten Glauben unabdinglich ist? Doch auch Sie kennen wahrscheinlich niemanden, der diesen Wunsch nicht teilen würde. Gibt es überhaupt eine Ideologie, eine Kultur, einen Menschen, die letztlich nicht vom Bestreben getragen werden, die Verhältnisse in der Welt “besser” einzurichten? Zumindest ständen auch nicht-christiche Denkrichtungen, Gestalten wie Sokrates, Platon oder Aristoteles in ihrem Bemühen um Wissen, das sie als Voraussetzung für die Erreichung des Guten hielten, auch in dieser Tradition. Die Welt nicht nur zu “verstehen”, zu interpretieren, sondern gar zum Besseren zu wenden, wer möchte das nicht? Bloss: Wie viele Bewegungen haben dies bereits versucht, auch unter dem Titel der “Gerechtigkeit” , und im Zuge ihrer Bemühungen unsägliches Leid, mit zig-Millionen von Toten und Entrechteten, angerichtet. Empirisch liessen sich da leicht religiöse wie säkulare Beispiele finden. Wenn Franziskus in “Evangelii Gaudium” schreibt, sich um den Aufbau einer besseren Welt zu kümmern, rennt er da im Grunde nicht über weite Strecken offene Türen ein ? Wer wagte zu bestreiten, dass die wissenschaftlich-technologische Entwicklung immer wieder gewaltige Möglichkeiten eröffnet, das Leben angenehmer, menschen- und umweltfreundlicher zu gestalten, viele bedrückende Übel in den Griff zu bekommen. Und doch eröffenen sich wohl gerade auch im Zuge solcher Geschehnisse wieder neue Gefahren, Ungerechtigkeiten und Übel!
    Sie werden einwenden, dass Wisschenschaft und Technologie bloss als Instrumentarien fungieren können, derart, dass die Pflicht, sich für mehr Gerechtigkeit einzusetzen, mit deren Entwicklng noch nicht annähernd erfüllt ist. Aber der Rekurs auf das christliche Gerechtigkeitsverständnis, auf das sich auch Franziskus beruft, mutet halt schon ein wenig menschenfremd an: Böses nicht mit Bösem, sondern mit Gutem vergelten, nicht sich dem Übel entgegenstellen, sondern den Übeltäter, den Feind gar lieben (Matth. V 38, 39, 44). Glaubt denn daran jemand im Ernst? Dieses Gerechtigkeitsverständnis liegt doch, empirisch betrachtet , weit jenseits dessen, was sich in den realen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen, weltweit und hierzulande, abspielt. Also weiss Gott nicht nur in unserer Kultur! Es handelt sich keineswegs um eine “neoliberale”, populistisch aufbereitete Verfälschung und Entfremdung, wie manche Sozialethiker behaupten.
    Diese Vorstellung von Liebe, die der Nazarener mit “Gerechtigkeit” gleich setzte, scheint doch, wenn man sich an den anthroplogischen Gegebenheiten kulturübergreifend zu orientieren sucht, direkt der menschlichen Natur zu widersprechen. Vielleicht nicht zuletzt auch deswegen, weil Jesus , wenn es darum ging, Substanzielles zur “Verbesserung” auf dieser Welt beizutragen, das, was unter menschlicher Liebe schlechthin verstanden wird, z.B. Mann/Frau; Mann/Mann; Frau/Frau;Eltern/Kinder; Freunde und Bekannte, zusammengefasst einfach alles, was im gesamten näheren sozialen Umfeld uns trägt und uns teuer ist, im Grunde ablehnt, zumindest in seiner normativen Handlungslogik als zweitrangig einstuft. Wer ihm nachfolgen wil, das Reich Gottes hier verwirklichen will, muss all diese Bedürfnisse ökonomischer und gesellschaftlicher Art, die persönlichsten, aber auch die Interessen von Eltern, Geschwistern, Kindern, Geliebten, Freunden und Bekannten hintanstellen (Luk. XVIII 29, 30). Sicher, auch für einen Nicht-Theologen naheliegend, handelt es sich dabei ein Stück weit um eine metaphorische Sprechweise. Aber auf gut Deutsch scheint diese Haltung dennoch zu bedeuten: Das eigene Hemd sollte uns nicht am nächsten liegen! Darin mag gewiss etwas Prophetisches enthalten sein, wie es offenbar Felix Gmür als Perspektive sieht, vielleicht eine Sichtweise, welche die Tagesaktualität immer begleiten sollte. Ganz ähnlich scheint mir, dachte auch Emmanuel Lévinas, wenn auch mehr aus jüdischer Sichtweise, besonders in seiner Schrift “Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht”.
    Ich weiss nicht, Herr Kosch, gerade in der heutigen Zeit, angesichts der riesigen Herausforderungen, fühlt man sich manchen normativen Anforderungen, die von der Kirche vorgetragen werden, schlicht nicht gewachsen. Und in diesem Zusammenhang drängt sich auch der Eindruck auf, dass bei weitem nicht durch alle politischen Vorlagen zentrale grundrechtliche Anliegen berührt werden, owohl bei deren Vertretung durch Kirchenfunktionäre immer wieder sozialethische Begründungen angeführt werden. Anderseits, wenn die “Kirche” es als ihre ureigenste Aufgabe versteht, den Menschen im Kontext der rasenden Veränderungen von politischen, kulturellen, wissenschaftlichen und ökonomischen Verhältnissen, kurz der gesamten Lebensbedingungen, als verlässliche Orientierung zu dienen, dann sollte nicht untergehen, dass bei der Bewältigng der Kontingenz des Daseins manche Menschen vielleicht auch Erwartungen hegen, die ausserhalb des politischen Diskurses verwurzelt sind.
    Manchmal will einem scheinen, dass die Stoa, der das Christentum ja auch einiges zu verdanken hat, trotz ihrer Strenge, dennoch um vieles näher bei den anthroplogischen Gegebenheiten liegt.

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