Heinz Angehrn

Zwischenbericht III

(Vorbemerkung: Ich bremse mein Tempo beim Erstellen der Einträge. Es sollte doch nicht sein, dass von den jeweils fünf auf der kath.ch-Titelseite speziell angezeigten Texten mehr als einer vom selben von uns Bloggern stammt. Gleichzeitig rufe ich meinen Kollegen/innen zu: Schreibt doch etwas häufiger.)

Nun sind neun Monate seit meinem Abschied aus dem Dekanat St.Gallen, der Seelsorgeeineit St.Gallen West-Gaiserwald und den Tätigkeiten, die ich in ihnen während exakt 37 Jahren wahrgenommen habe, vergangen. Einige wenige Menschen konnte ich direkt informieren, wie es mir so geht, andere sind wohl auf Mutmassungen angewiesen. St.Gallen sehe ich zurzeit noch für die Sitzungen des Stiftungsrates der Pensionskasse, doch wegen der Alters-Guillotine geht die Tätigkeit auch dort dem Ende entgegen. Was bleiben wird, ist mein Engagement für die SKZ, das mir viel Freude macht und mich regelmässig nach Luzern und Zürich führt. Doch ich merke, dass ich mich wohl Ende 2019 für immer von meiner Heimatstadt verabschieden werde. Das ist irgendwie speziell (im Italienischem gibt es ein passenderes Adjektiv: particolare), hätte ich bspw. die Renovation des Theaters und seine Wiedereröffnung schon noch gerne erlebt. Auf das Klima und die vielen Schneefälle hingegen kann ich gut verzichten…

Die nebst dem Erleben des Wachstums unsres Hundes Miro vom kleinen hilflosen Welpen zum muskulös-starken Alpenhirtenhund und meiner deutlichen Gewichtsabnahme infolge mehr Aktivität im Freien stärkste Veränderung war eine emotional-geistige, die für Aufmerksame hier im Blog wohl auch mit meinen Beiträgen zur Neuauflage von Eugen Drewermanns Buch «Kleriker» dokumentiert wurde. Eigentlich hatte ich das Buch ja «nur» in meiner Funktion als SKZ-Redaktionskommissionspräsident als Belegexemplar erhalten und zumindest das aktuelle Vorwort lesen wollen. Doch dann blieb ich am damaligen Text hängen, und die Thesen Drewermanns verfolgen mich bis heute in die Träume hinein, weil ich im Rückblick auf mein langes aktives Kirchenleben nicht darum herum komme, ihm in vielem Wesentlichen recht zu geben. Und das tut weh und erschreckt.

Dies sei nun noch im Detail ausgeführt. Drewermann – aufgrund vieler therapeutischer Gespräche mit Mitbrüdern und Klosterfrauen, aber natürlich auch aufgrund der Ablehnung, die er als vielseitig interessierter und hoch gescheiter Theologe erfahren musste – entwickelt eine Theorie zum klassischen Persönlichkeitsmuster des/der Kirchenmanns/frau. Sie besagt, dass schon beim Entscheid für einen kirchlichen Dienst bei vielen Betroffenen ein wenig entwickeltes Selbstbewusstsein vorlag, auch wenig Liebe zu sich selbst, Strukturen, die ideal dafür geschaffen waren, das bisherige Ich durch ein künstliches Kirchen-Über-Ich zu ersetzen, dass den Betroffenen zweierlei suggerierte: Dass sie etwas ganz speziell Berufenes darstellten und damit Mutter Kirche zu absolutem Gehorsam verpflichtet seien (das übrigens meinte Bischof Ivo mit dem Terminus «genug doktrinär sein» – ich erkenne es mit Schrecken) und dass sie sich als Auserwählte von allzu direktem Kontakt, vor allem körperlich-sexuellem, mit Menschen fernhalten sollten.

Drewermann spricht vom kleinen verängstigten Kinder-Ich, das noch in den Betroffenen, die ansonsten häufig gebildet und kultiviert und keine Monster waren, übrig geblieben ist, und dass sie aufgrund des Triebdrucks gar nicht anders konnten (zumal Gleichalterige, und schon gar Frauen, das Gefährliche überhaupt darstellen) als bei Kindern, bevorzugt Buben vor der Entwicklung, körperlichen Kontakt zu suchen. Nach seiner Theorie handelt es sich bei vielen Klerikern so nicht um klassische Pädophilie, sondern um ein hilfloses Druck-Ablassen, von starken Schuldgefühlen begleitet und zudem dem Wissen, dass ihnen niemand dabei helfen könne. Es gebe nichts Schwierigeres als einen Kleriker zu therapieren, dessen Ich schon fast nicht mehr vorhanden sei – so der Autor.

Ein grauenhaftes Muster taucht vor unseren Augen auf: Opfer, die zu Tätern werden, und dies genau unter denen, die die Auserwählten und Berufenen sein sollten und wollten. Wenn diese Theorie nur im Ansatz stimmt, dann haben all jene recht, die in letzter Zeit formulierten: Es darf in dieser Kirche nichts bleiben, wie es bisher war.

 

 

Miro ganz jung. Jetzt wiegt er schon 17 kg!
11. Mai 2019 | 06:00
von Heinz Angehrn
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2 Gedanken zu „Zwischenbericht III

  • Karl Stadler sagt:

    Zu Ihrer Vorbemerkung: Sie schreiben keineswegs zu viele Beiträge, im Gegensatz zu mir, der als Aussenstehender eigentlich besser schweigen und sich enthalten sollte. Es gäbe sehr viele andere Kommentatorinnen und Kommentoren, die viel mehr und Wesentlicheres beizutragen hätten. Ich gelobte mir gegenüber schon oft, zu schweigen. Aber da kommt der Heinz Angehrn oder Walter Ludin, kitzeln einen mit einem Beitrag, man beginnt nachzuhirnen und prompt kann man es nicht lassen, in die Tasten zu hauen. Vermutlich, weil man in der Kindheit selber in diesem Unfeld sozialisiert wurde.
    Aber dieser Hund Miro, man schaue sich das Bild nur an: Kein Wunder, verleiht dieser Ihnen immer wieder Impulse, sich auch aus den ambrosianischen Gefilden heraus weiterhin geistig einzumischen und zu interessieren, was im garstigen Norden so abläuft.
    Und Sie berühren noch einmal indirekt das Thema Missbrauch. Ja, das Psychogramm, wie Sie es darlegen, das anscheinend Drewermann aufgrund seiner psychotherapeutischen Interventionen zeichnet, scheint hoch interessant zu sein und wahrscheinlich auch einiges für sich haben. Ich kann da nicht mitreden, ausser festzustellen, dass sexueller Kindesmissbrauch bei weitem kein ausschliesslich krichenspezifisches Phänomen ist.
    Umso mehr aber kann das neue motu proprio von Bergoglio “vos estis lux mundi” bezüglich des Meldeverfahrens bei Ereignissen in diesem Bereich nicht in allen Teilen nachvollzogen werden. Niemand wendet wohl etwas dagegen ein, dass dieses Meldeverfahren gestrafft, genauer normiert und effizienter ausgestaltet wurde. Aber es kann auch niemand ernsthaf bestreiten, dass sich dieses Verfahren, so wie es jetzt ausgestaltet ist, zu einem eigentlichen Vorverfahren oder einer eigentlichen Voruntersuchung für weitere kirchliche Verfahren des kanonischen Rechts, so auch Strafverfahren, ausgestaltet wurde. Es spielt nämlich keine Rolle, dass diesem Meldeverfahren kein eigentlich formaler strafprozessualer Charakter zukommt. Entscheidend ist, dass in einem solchen Verfahren, analog zu ähnlichen Vorverfahren im zivilen Rechtsbereich, über weiteste Strecken die Weichen für den Verlauf allfällig weiterer nachfolgender Verfahren gestellt werden. Dass es in diesem Zusammenhang in den Entscheidungsspielraum von einigen Prälaten in Rom, die in irgendeinem kanonischen Dikasterium Einsitz nehmen, gelegt sein soll (Art. 12 § 8 vos estis lux mundi), wie weit ein “Angeschuldigter” informiert und in dieses Vorverfahren miteinbezogen werden soll, ist schlichtweg ein Rückfall in inquisitorische Denkmuster des tiefsten MIttelalters. Das soll keineswegs ein Votum für die Ermöglichung beweisrechtlicher Kollusionsgefahen sein. Aber dieses Regelwerk hätte sich so ausgestalten lassen, dass Kollusionsgefahren möglichst minimiert worden wären bei gleichzeitiger Garantie für die Wahrnehmung von effizienten Verteidungsrechten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt.
    Dieses Normenwerk schüttet das Kind mit dem Bade aus und es ist wahrscheinlich eine Folge davon, dass es derzeit im öffenentlichen Diskurs, wenn die Kirche zur Debatte steht, schlichtwegs kein anderes Thema gibt als sexueller Missbrauch, derweil über weiteste Strecken ausgeblendet wird, dass es in der zivilen Gesellschaft, zumindest in unseren kulturellen Landschaften, diesbezüglich nicht besser bestellt ist. Ich will ja weisst Gott die Kirche oder antiquierte Strukturen nicht verteidigen. Aber solche Vorgänge stören einfach.

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