Heinz Angehrn

Zum zweiten Mal

verweise ich am heutigen Tag, an dem die historische Pilotstudie präsentiert wird, auf mein kleines Büchlein mit dem Titel «Unheilige Mütter», das ich im letzten Herbst hier schon vorgestellt habe. Ich lasse diesen Reminder-Text auch nur kurz stehen und kehre dann zum Blog zu den Wahlen zurück.
Das Büchlein kann weiterhin bezogen werden beim katholischen Pfarramt Engelburg in der Seelsorgeeineit St.Gallen West – Gaiserwald (sekretariat@pfarrei-engelburg.ch).

Die Pilotstudie wird aufzeigen, wie in den vergangenen Jahrzehnten auch in unseren Bistümern mit Priestern umgegangen wurde, die sich in unverantwortlicher Weise an ihnen Anempfohlenen vergangen haben. Sie wird aufzeigen, dass Ordinariate und Bischöfe immer wieder Kenntnis erhielten und die Täter dann intern verwarnten und versetzten. Sie wird wohl auch aufzeigen, dass ein strukturelles Problem (emotionale Notlage der Täter aufgrund der theologisch-spirituellen Konstrukte rings um Ordination, Pflichtzölibat und Priestertum) nicht angegangen und so die Betroffenen – beide Seiten – schändlich alleingelassen wurden.

Ich vertrete hier eine grosse Gruppe der vom strukturellen Problem Betroffenen, konkret die gleichgeschlechtlich fühlenden Priester, deren Anteil um die 30% geschätzt wird. Ich hatte mein Büchlein geschrieben um aufzuzeigen, wie es geschehen kann, dass Menschen, die mit Begeisterung und Hoffnung in einen der schönsten Berufe, verbunden mit dem Mysterium der Berufung, eingestiegen sind, an den Rand des ethisch Akzeptablen und juristisch Erlaubten gelangen können. Nicht zufällig kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Suiziden von Priestern, nicht zufällig ist Alkohol vielen ein ständiger Begleiter. Wir können nicht von Einzelfällen oder Zufällen sprechen, wir sprechen von einem – ich wiederhole es – strukturellen Problem. Nicolas Betticher, der zurzeit in aller Munde ist, hat das in seinem Buch «trotz allem» ausführlich dargelegt; Wolfgang F. Rothe hat in seinem Buch «Missbrauchte Kirche» die emotionale Notlage drastisch geschildert.

Dass ich physisch und psychisch überlebt habe, dass ich nicht zum Täter geworden bin, verdanke ich nebst einer ethisch eingebauten Notbremse, die immer zwischen «touchable» und «untouchable» unterschieden hat, einem dieser Bischöfe, die jetzt gerade alle miteinander in den gleichen Topf geworfen werden. Ivo Fürer wusste um das strukturelle Problem, er wusste um die Notlagen, und er war anständig und fair. «Es ist mir lieber, wenn ich weiss, mit wem meine Priester liiert sind, als wenn ich nicht weiss, wie sie leben.» RiP

18. September 2023 | 17:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 1 Min.
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10 Gedanken zu „Zum zweiten Mal

  • Heinz Angehrn sagt:

    “Markus Büchel .. gewährt dem Gremium erstmals Einblicke in die Personalakt des Beschuldigten. Darin findet sich ein Brief aus den 1970er-Jahren. Der Priester hatte sich damals an den Bischof gewandt und diesen um Hilfe gebeten, wegen sexueller Fantasien, «die im Rahmen des strafrechtlich Relevanten liegen würden».”
    Sic!
    All meine Aussagen bestätigen sich:
    – Selbst der Betroffene litt und formulierte das Problem.
    – Er muss darum als Opfer und als Täter gesehen werden.
    – Die Hauptschuld liegt bei der Struktur und ihrer dogmatischen Ideologie.

  • Michael Bamberger sagt:

    Nachdem was heute ans Licht gekommen ist – und das ist nota bene nur die Spitze des Eisbergs! – frage ich mich, was Sie davon abhält, dieser Verbrecherorganisation endlich den Rücken zu kehren.

  • Heinz Angehrn sagt:

    Und den Direktor des Iddaheims in Lütisburg in der Zeitspanne 1978 bis 1988 kannten wir doch alle gut: “Schwerste Formen von sexuellem Missbrauch” (Pilotprojektstudie S.70, zitiert wird das Archiv des diözesanen Fachgremiums). In meinem Pastoralkurs 80/81 präsentierte er uns stolz das Heim und seine Erziehungsmethoden!
    Zum Dank durfte er am Endes des Lebens segensvolle Jahre an der Kathedrale verbringen.
    Es fasse es, wer es will, Herr Bamberger, ich frage mich, ob Sie nicht recht haben.

  • Michael Bamberger sagt:

    Schon 60 Jahre vor der Französischen Revolution prangerte der Priester und Aufklärer Jean Meslier (1664 – 1729) in seinem Mémoire des pensées et sentimens: “Die Irrtümer der Lehre und Moral der christlichen Religionen” an. Und weiter schrieb er: “Die christliche Religion duldet die Missbräuche und Tyrannei der grossen Herren“. Die Aktualität dieser Worte bestätigt sich heute erneut.

    Es braucht viel mehr Leute wie Jean Meslier oder Nicolas Betticher. Wäre das nicht was für Sie, Herr Angehrn?

  • Heinz Angehrn sagt:

    Dieses Stillschweigen bedrückt und ist bezeichnend. Weder die ultrakonservative noch die liberale Fraktion will sich die Finger verbrennen… Und so schweigen wir uns in den Untergang. Hut-Ab aber vor meinen ehemaligen Kollegen/innen in St.Gallen.

  • Heinz Angehrn sagt:

    Noch bis am Montag um 06.00 lasse ich diesen Beitrag stehen. Und ein letztes Mal äussere ich mich selber dazu. Die jetzt zehn Tage, die seit der Präsentation der Studie verstrichen sind, haben mich Folgendes gelehrt:
    1. Die Hilflosigkeit, mit der die Bistümer reagiert haben, obwohl sie seit Monaten vorgewarnt waren, hat mich erschreckt. Struktureller Suizid?
    2. Die Heftigkeit, mit der RR nun über ein neues Organ seinen Kreuzzug gegen Bischof Felix führt, ist unangebracht. Rache über alles?
    3. Auch nicht angebracht ist der Vorwurf, dass die Seelsorgenden mit ihren Protestaktionen heuchlerisch vorgingen. Viele sind zu jung, um Dreck am Stecken zu haben!
    4. Das Beste und Präziseste, das vorgetragen wurde, war das Wort des Abts von Mariastein, dass die Vorstellung, dass Geweihte unfehlbar sind, viel erklärt. Da hat er recht.

  • Bischof Ivo Fürer, vielgepriesener Weltkirchenbischof, hat in der Missbrauchsangelegenheit auf ganzer Linie kläglich versagt! Auch seinem Nachfolger müssen schwere Vorwürfe gemacht werden! Hat u.a. einem Priester, der jahrzehntelang (!) Buben und männliche Jugendliche missbrauchte
    den Deal angeboten: Wenn du nicht mehr öffentlich Messen feierst, wie vom Bischof verlangt, sehen wir von einer Meldung nach Rom ab!

    KB, Missbrauchsopfer

  • stadler Karl sagt:

    Dass geweihte Personen früher, also vor etwa sechzig Jahren, in katholischen Landen gesellschaftlich in der Regel sehr geachtete Personen waren, das trifft sicher zu. Dass sie jedoch in der breiten Bevölkerung als “unfehlbar” galten, in welche man in jeder Lebenslage alles Vertrauen gesetzt hätte, das war schlicht nicht der Fall, wissenschaftliche Vorstudie zum Missbrauch hin oder her! Das mag vielleicht in einzelnen Fällen zutreffen. Jedoch sicher nicht beim erdrückencen Teil der damaligen Gläubihrn, insbesondere nicht bei den Jugendlichen. Eine solche historische Lesart würde empirischen Unterschungen, hätten damals solche stattgefunden, mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht standhalten. Im Gegenteil! Geistliche, die sich allzu sehr in das private Leben einmischen wollten, wurden zum Teil auch auf massivste Weise kritisiert. Geistlichen Lehrpersonen, die sich mit ihren religiösen Vorstellungen der Schülerschaft allzu sehr aufdrängen wollten, unterzog man sich, aber gewiss nur so weit, als es der Schulbetrieb, in den man eingebunden war, disziplinarisch verlangte. Nichts von spiritueller Eingebundenheit! Vielmehr konnte es im Religionsunterricht vorkommen, und zwar bereits im Untergymnasium, dass ein geweihter Religionslehrer mitten in der Stunde völlig entnervt und ausser Fassung das Klassenzimmer verliess und ausrief, dass man “heilige Dinge nicht Schweinen vorlegen sollte” oder es konnten anderweitige heftigste verbale Auseinandersetzungen stattfinden. Am meisten Autorität genoss ein Pater, der zwar einer konservativen Denkungsart verhaftet war, also ein Mönch alter Schule, jedoch getragen von tief reichender humanistischer Bildung und begleitet von einem breiten Wissen, der jedoch bestens wusste, dass wir in vielem anders tickten und für manche von ihm vorgetragenen Werte und Vorstellungen damals kaum empfänglich waren. Dennoch versuchte dieser nie, sei es subtil oder offen, einen an den Rand zu drängen.
    Die grösste Fehlleistung der Institution “Kirche” war, dass sie versuchte, den Menschen moralische Leitplanken für ihre Lebenformen zu vermitteln und damit teilweise zu einem verhängnisvollen, einengenden gesellschaftlichen Klima beitrug. Und von diesem sehr stark defizitären Religionsverständnis rücken auch heute die progressiven Kräfte innerhalb der Kirche zumeist keineswegs ab. In der Regel beharren sie zwar darauf, die Moral, insbesondere die Sexualmoral, müsse reformiert, jedoch weiterhin den Menschen vermittelt werden. Damit werden sie, bei der heute stark veränderten intellektuellen Befindlichkeit der Menschen, kaum mehr Einfluss haben.

  • Michael Herr Bamberger sagt:

    Dass der abgehobene Klerikalismus zur DNA dieser Religion gehört, erklärt sich unter anderem aus der Ideologie des neutestamentarischen Protagonisten, so wie z.B. im egozentrisch überheblichen Missionsbefehl illustriert, oder in der schwarz/weiss Maxime “Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich,..” aus der z.B. diese Geistesrichtung stammt: „Dann wird er sich auch an die auf der linken Seite wenden und zu ihnen sagen: Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!“ (Mt 25,41)

    Die Jesuanische Lehre gipfelt schliesslich in typisch sektenhafter Predigerart in folgender Abscheulichkeit:

    „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht nicht seinen Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben, dann kann er nicht mein Jünger sein.” (Lk 14,26-27)

    Solange eine solche Weltsicht das Fundament dieser Religion bildet, wird der abgehobene Klerikalismus kaum zu bremsen sein.

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