© wecker | pixabay.com
Daniel Kosch

Zeit aufzuwachen

In den Denktagebüchern der Philosophin Hannah Arendt stiess ich kürzlich auf folgendes Zitat: «Wir, deren Aufgabe das Wachsein selbst ist.» Das könnte ein adventliches Motto für die Kirche sein: Wachsein – aufmerksam sein – die Realität in den Blick nehmen – nicht verschlafen, was geschieht an Aufbrüchen, aber auch an Krisen – sich weder in Traumwelten flüchten noch in Albträumen verlieren.

Ähnlich schrieb Paulus an die Gemeinde in Rom: «Es ist Zeit, aus dem Schlaf aufzuwachen. Denn jetzt ist unsere Rettung näher als zu der Zeit, da wir zum Glauben kamen. Die Nacht ist vorgerückt, bald wird es Tag. Lasst uns also ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffen des Lichts!» Was für ein Weckruf, was für eine Verheissung, was für eine Herausforderung.

Vor Weihnachten prallt die Sehnsucht nach Licht, Gerechtigkeit und Frieden noch härter als sonst auf das Dunkel der Realität. Unerträglich der Kontrast zwischen der Weihnachtsstimmung und der Realität jener Kinder, die zwar auch in Ställen und zerstörten Häusern geboren werden, denen aber nicht Engel singen, sondern auf die Bomben fallen.

Wenn dunkle Realität und Sehnsucht nach Licht aufeinanderprallen

Auf diese Konfrontation von brutalem Dunkel und Sehnsucht nach menschlichem Licht reagieren viele mit Kitsch und Dekoration. So hatte ich kürzlich auf meinem Handy-Bildschirm gleichzeitig zwei Kurzmeldungen. Die eine lautete: «Nach Erdbeben in Indonesien: Zahl der Todesopfer auf über 90 gestiegen – noch viele Verschüttete». Die andere kam von einem digitalen Adventskalender: «Das Leben ist bezaubernd, man muss es nur durch die richtige Brille sehen.» Wie fragwürdig, so einen Satz zusammenhanglos in die Welt zu setzen! Was sollen die Erdbebenopfer davon halten?

Da ist mir der klare Blick des Paulus lieber: Wer wach ist, weiss, dass es beides braucht, damit sich in unserer Welt das wärmende Licht wenigstens da und dort durchsetzt: Das Geschenk des neuen Tages, der von der Geburt des messianischen Kindes erleuchtet ist, und wache Menschen, welche zu den «Waffen des Lichtes» greifen, Not lindern und für Frieden eintreten.

© wecker | pixabay.com
9. Dezember 2016 | 16:39
von Daniel Kosch
Lesezeit: ca. 1 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!