Heinz Angehrn

Wovon der säkulare Rechtsstaat lebt

Kein Mangel herrscht an hervorragenden Artikeln, sprich Gedankenbeiträgen, zum Thema «Staat und Religion/en», seit Frau Laila Mirzo in der NZZ eine kleine Lawine losgetreten hat (hier schon dokumentiert und kommentiert in zwei Beiträgen, darüber immer wieder das gleiche Bild). Ich verweise auf die beiden neuesten Beiträge (14. und 20.August):

Professor (Santa Croce, Rom) Martin Rhonheimer (NZZ vom 20.August, «Zwischen säkularem Staat und Koran») nimmt Bezug auf den verstorbenen deutschen Verfassungsrechtler und Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde (engagierter Katholik und Mitglied der SPD) und dessen Vortrag «Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21.Jahrhundert» aus dem Jahr 2007. Der freiheitliche liberale Staat darf von seinen Bürgern/innen «Loyalität zur säkularen Rechtsordnung» erwarten, und dies nicht notwendig «aus innerer Gesinnung», sondern aus dem einfachen Prinzip heraus, dass die Gesetze und Regeln des freien demokratischen Staates zu achten sind (»Handle immer so, dass die Maxime Deines Willens als freie/r Bürger/in…»). Böckenförde betrachtet nun die Weltreligion Islam und ihr Auftreten auf der grossen Bühne der Geschichte und folgert «ernüchtert», dass sie nicht fähig ist, den säkularen Staat in seinem Freiheitsgehalt zu akzeptieren. Darum, und nun das brutale Fazit, müsse dieser säkulare Staat Massnahmen ergreifen, dass eine solch intolerante Religion nicht Mehrheit werden und dann den anderen Minderheiten ihre Intoleranz aufzwängen kann!
Das tönt hart, ist aber wohl logisch. Rhonheimer versucht Böckenförde wie folgt für das Hier und Jetzt auszudeuten: Die liberale Lösung «verlangt Besinnung auf die Grundlagen unserer freiheitlichen Kultur und eine entsprechend definierte Einwanderungspolitik».

Wenige Tage zuvor hatte schon der Churer Generalvikar Martin Grichting wieder einmal zur intellektuellen Feder gegriffen (NZZ vom 14.August, «Das Christentum hat es einfacher als der Islam»). Er führt in seiner Replik auf Frau Mirza weiter, was er in seinem (gar) knappen Buch «Im eigenem Namen, in eigener Verantwortung. Eine katholische Antwort auf den Pluralismus» (hier am 28.07.2018 rezensiert) angerissen hatte. Es gibt den «christlichen Staat» nicht (mehr!). Mit Beginn der Aufklärung wird philosophisch und historisch deutlich, dass es gerade die christlichen Grundlagen der westlichen Gesellschaft sind, die zum modernen freiheitlichen Rechtsstaat geführt haben. Grichting zitiert mit Genuss den frühen Aufklärer Pierre Bayle, verbindet seine Texte mit Lessings Ringparabel und kommt zum Schluss (s. nun oben bei Böckenförde), dass eine Gruppierung in der Mehrheitsposition, die die Minderheiten nicht tolerieren und «Gewissenszwang» ausüben würde, im freien Staat nicht toleriert werden kann. Nur der freie Wettbewerb der Religionen und Weltanschauungen kann das Ziel sein. Beachtlich, wenn man bedenkt, dass so gerade der Katholizismus vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit seinem «extra ecclesiam nulla salus» unter den Böckenförd/Bayleschen Bann gefallen wäre!

Neue Conclusiones:

a) Immer deutlicher wird, wie wichtig die berühmte Trias von Hans Küng für den Fortbestand der freien Welt und Gesellschaft und das Garantieren einer Friedensordnung ist. Die Katholiken Böckenförde und Grichting zeigen auf, dass «Grundlagenforschung» im Christentum geleistet wurde und wird und dass es sogar der «allein seligmachenden» Kirche möglich wurde, in die Moderne und damit in den «freien Wettbewerb» zu treten.

b) Zum wiederholten Mal hat sich nun Martin Grichting zum Fürsprecher eines engagierten Umsetzens der Konzilstexte (etwa «Lumen gentium», «Nostra aetate» und «Dignitatis humanae») gemacht und sich als Kämpfer für ein auf gesellschaftlich-politische Macht verzichtendes Christentum, das dafür die einzelnen Getauften zum Engagement befähigt, positioniert. Es scheint mir dringend geboten, ihn aus der Schmuddelecke der Ultrakonservativen (in die er als GV von Bischof Vitus geraten musste) herauszuholen, sein Engagement gegen staatskirchliche Strukturen aus anderer Motivation und ihm damit als Gesprächspartner auf Augenhöhe zu erkennen.

Dies alles schreibt einer, der keine einzige seiner liberalen Überzeugungen über Bord werfen will. Der aber dem Islam und seinen geistigen Führern mit gebotener Vorsicht begegnen will und wird.

 

 

22. August 2019 | 16:04
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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