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Daniel Kosch

Worauf richte ich den Fokus?

Auf meinen ersten Blogbeitrag «Mystik und Management» habe ich viele Rückmeldungen erhalten, auf facebook wurde er von vielen geteilt. Beim zweiten Text zu «Realität und Relevanz» blieben Reaktionen aus. Wahrscheinlich war der Titel weniger ansprechend, der Text weniger griffig. Und Erstlinge finden mehr Aufmerksamkeit als Zweitlinge. Trotzdem greife ich das Thema nochmals auf – aus aktuellem Anlass und weil ich es theologisch brisant finde.

Burkaverbot oder Waffenausfuhrverbot?

Seit rund zwei Wochen sind die Medien voll mit Beiträgen zum Burkaverbot, Chefredaktoren und auch prominente Kirchenleute melden sich zu Wort. Höchste Werte seien in Gefahr: Menschenwürde, Individualität, Demokratie. Anders sieht es Nationalrätin Barbara Schmid-Federer in einem Blogbeitrag . Sie bezeichnet die Debatte als Zeitverschwendung, die von den echten Problemen ablenkt. Sie fragt: «Warum kümmert uns das Massengrab Mittelmeer so wenig?», während wir ein Problem diskutieren, das nur wenige betrifft. Wäre nicht ein Stopp von Waffenausfuhren wichtiger, um Flüchtlingsströme, Not und Tod zu verringern?
Da ist sie wieder, die Frage: Welche Realität nehmen wir in den Blick? Was erachten wir in der Vielfalt der Themen als relevant? Was sehen und beachten wir? Was missachten und übersehen wir – vielleicht weil hinschauen zu unbequem wäre?

Der je eigene Blick auf die Wirklichkeit
Wie wichtig die Frage nach Realität und Relevanz nicht nur politisch, sondern auch theologisch und kirchlich ist, habe ich bei der Lektüre eines Artikels über die Theologie von Papst Franziskus realisiert. Er stellt ihn in die Reihe der Päpste seit dem Konzil:

  • Paul VI. versuchte, die Kirche behutsam in die liberale Staatenwelt einzuführen, trat für die Weiterentwicklung zu einem liberalen Sozialstaat ein.
  • Johannes-Paul II. lehnte den Kommunismus ab und kritisierte den westlichen Liberalismus und Hedonismus; seine Aufmerksamkeit galt der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens.
  • Benedikt XVI. betonte die Wahrheit und Schönheit des Glaubens im Kontrast zur Diktatur des Relativismus.
  • Und Franziskus betont die Freude am Evangelium der Barmherzigkeit und kritisiert eine Wirtschaft, die tötet und eine Wegwerfkultur fördert.

Der je eigene Blick auf die Realität beeinflusst die Rede von Gott und das Bild von der Kirche. Und das je eigene Gottesbild und Glaubensverständnis beeinflusst das Urteil darüber, was ich in meiner Lebenswelt als relevant erachte – und was ich ausblende. Die Frage beschäftigt mich – politisch wie kirchlich: Worauf richte ich, richtet unsere Gesellschaft, richtet die Kirche den Fokus?

glasses | © pixabay.com CCO
31. August 2016 | 19:25
von Daniel Kosch
Lesezeit: ca. 1 Min.
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