Interreligiöse Begegnung in Luzern. © Walter Ludin
Walter Ludin

Wie können wir Fremde akzeptieren?

«Wir müssen dem Anderen sein Anders-Sein verzeihen»: So habe ich in etlichen Hochzeitspredigten gesagt. Denn: Nur wenn wir die anderen als Menschen annehmen, so wie sie sind, können wir mit ihnen friedlich zusammenleben. Auch wenn sie nicht so sind wie wir, müssen sie nicht unsere Feinde sein.

Wenn der «Jude» kein Jude ist
Aber sind die Anderen wirklich so anders? Projizieren wir vielleicht in sie etwas hinein? Max Frisch hat 1961 in «Andorra», einem seiner bekanntesten Theaterstücke sich mit solchen Fragen befasst. Nur kurz: Andri, die Hauptperson, gilt als jüdischer Pflegesohn des Dorfschullehrers. Ein Jude sieht doch anders als wir! Und man bemerkt ohne Zweifel: Andri sieht aus wie ein Jude, spricht wie ein Jude, benimmt sich wie wir. Doch eines Tages stellt sich heraus: Andri ist nicht der Pflegesohn, sondern der uneheliche Sohn des Lehrers, also «einer von uns» …

Bei näherem Zusehen zeigt sich, dass auch Menschen, die völlig anders aussehen, mit uns das meiste gemeinsam haben. Drastische Beispiele bot in den 1980er Jahren die Plakat-Kampagne von Benetton, dem italienischen Produzenten von Konfektionsmode. Ein Plakat bleibt mir sehr gut in Erinnerung. Es zeigt die Haut eines weissen und eines schwarzen Menschen. Schnitt: Wenige Millimeter unter der Oberfläche ist kein Unterschied mehr zu sehen …

Feindbilder
Wer als Politiker Mühe hat, Andere (Ausländer, Flüchtlinge …) zu akzeptieren, baut Fremdbilder auf; so viele, dass ich den Spruch schrieb: «Überall Feindbilder. Wo bleiben die Freundbilder?»

Wie entstehen Feindbilder? Eine bewährte Mode ist das Schaffen von Sündenböcken. Da suggeriert eine Partei in ihrem Abstimmungsplakat, alle Asylsuchenden aus einem süd-ost-europäischen Land seien Messerstecher mit grimmigen Köpfen.

Wer Sündenböcke schafft, um die Akzeptanz Fremder zu verhindern, nimmt es offensichtlich mit der Wahrheit nicht immer ganz genau. Selbstverständlich sind hier nicht nur die Schweizer Meister ihres Faches. Ich erinnere mich: Als ich in der spanischen Hauptstadt Madrid zum Sprachstudium war, las ich in der katholischen (!) Tageszeitung auf der ersten Seite: «Afrikaner überfällt Bank.» Die ganze Wahrheit war erst im Innern des Blattes, etwa auf Seite 25 zu lesen: «Zwei Spanier und ein Afrikaner haben Bank überfallen.»

Was tun?
Wir alle können zwar kleine, aber nicht unwirksame Beiträge dazu leisten, dass Fremde sich besser akzeptiert fühlen. Da ist vor allem das Gespräch mit ihnen, um sie kennenzulernen. Und wir können jemanden, der wieder einmal über die «faulen Flüchtlinge» schimpft, fragen: «Wann hast du zum letzten Mal mit einem von ihnen gesprochen, um seine Situation zu verstehen?» Meistens Fehlanzeige! Und es ist ja Tatsache, dass Kantone ohne viele Ausländer viel fremdenfeindlicher sind als jene mit hohen oder überhohem Ausländeranteil (vgl. etwa Appenzell/AI und Genf).

Nur noch eine Möglichkeit: Ein leider inzwischen verstorbener Freund von mir setzte sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln neben einem Dunkelhäutigen, der allein dasass. Während bekanntlich viele einen möglichst grossen Abstand zu solchen Menschen suchen …

Was sagt die Bibel?
Es wirkt hoffentlich nicht bloss als frommes Anhängsel, wenn ich hier zum Schluss auf wesentliche biblische Aussagen hinweise. Zuerst die Hebräische Bibel, gewöhnlich Altes Testament genannt: Recht oft erinnern die Profeten daran, dass das Volk Israel lange Zeit als Fremdling in Ägypten gelebt hat. Darum: Weil ihr Fremdlinge wart, nehmt die Fremden unter euch gastfreundlich, mitmenschlich auf!

Es fragt sich, ob wir Schweizer und Schweizerinnen oft Mühe mit Fremden haben – etwa vom Krieg Betroffenen! – weil wir nie in der Fremde leben und keine Kriege durchleben mussten …

Und ein Blick ins Neue Testament: In der sogenannten Gerichtsrede bei Matthäus 25 sagt der Richter (Jesus): «Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen.» Oder eben: «Ich war fremd und ihr habt mich abgewiesen.» Sollte uns dies nicht zu denken geben?

PS. Wie «relativ» das Wort Fremde ist, zeigt Karl Valentin: «Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.»

Erstmals erschienen im Steinhofblatt 1/2024

Interreligiöse Begegnung in Luzern. © Walter Ludin
16. April 2024 | 15:30
von Walter Ludin
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