Wo bleibt der Hirt? © Walter Ludin
Walter Ludin

Wenn die Herde zu Hirten wird

Jesus, der Gute Hirte. Dieses ausdrucksstarke Bild steht im Zentrum des heutigen Evangeliums. Es löst in uns die Frage aus: Wo begegnen wir heute Hirten? Da sind sicher weihnachtliche Krippenspiele zu nennen. Doch Hirten sind dort wohl kaum mehr als Dekoration.
Im Alltag sind Hirten eher eine Ausnahmeerscheinung. An manchen Orten im Mittelland gibt es zwar die Wanderhirten, die begleitet von Hirtenhunden ihre recht grossen Schafherden von Weide zu Weide führen.
Und früher, als wir Kapuziner noch Heiligenbilder verteilten, die bei den Kindern so beliebten Helgeli, waren darauf vielfach Hirten zu sehen: etwa solche, die in blühender Landschaft ihre Lämmchen auf den Schultern trugen. Es waren Bilder einer heilen Welt, auf der nichts zu sehen war von der Realität, wie Jesus sie beschreibt, etwa wenn er von gefährlichen wilden Tieren spricht, vor denen der Hirte seine Herde schützen muss.
Nein, wenn Jesus von Hirten spricht und dabei sich selbst meint, ist dies keine gemütliche, harmlose Sache. Er betont: Der gute Hirte setzt sein Leben ein für seine Herde. Er selbst hat es getan, bis zum Tod am Kreuz. Und während seiner öffentlichen Tätigkeit hat er Strapazen auf sich genommen, um unermüdlich sich um die Menschen zu kümmern, die wie eine Herde ohne Hirten waren.
Und bis heute verstehen sich die Bischöfe als Nachfolger des guten Hirten Jesus. Darauf weist ihr Hirtenstab hin. Aber nicht nur sie, auch alle Seelsorgenden, ob Priester oder Laien, haben den Auftrag, als Hirten im Dienste ihrer Herde zu stehen. Für sie nennt Jesus im heutigen Evangelium drei Kriterien:

            1. Das Leben hinzugeben; d. h. ihre Berufung ernst zu nehmen und nicht gemütlich einen Job zu verwalten.
            2. Als gute Hirten kennen sie ihre Schafe beim Namen. Dies wird beim heutigen Mangel an Priestern und an Seelsorgenden immer schwieriger.
            3. Oft wird vergessen, was Jesus sagte: «Ich habe noch andere Schafe, die nicht in diesem Stall sind. Auch sie muss ich führen.» Die Kirche darf sich nicht nur um ihre eigenen Leute kümmern, sondern auch um Fernstehende. Auch sie haben das Recht, das Evangelium zu vernehmen.  Darum ist es Unsinn zu sagen: «Es ist nicht schlimm, dass es immer weniger Priester gibt. Schliesslich gibt es auch immer weniger Gläubige.» Diese Sicht vergisst, dass der gute Hirte sich auch um die verlorenen Schafe zu kümmern hat.
Jetzt werde ich zum Schluss endlich noch etwas konkreter: Nicht nur, weil es in der Kirche einen Hirtenmangel gibt; auch weil Jesus uns einlädt, füreinander Sorge zu tragen, sind wir alle eingeladen, füreinander gute Hirten zu sein. Was könnte dies bedeuten?
-Es kann heissen, einander zu trösten, einander die Ängste nehmen und einander ermutigen.
-Es kann heissen, barmherzig zu sein, uns der Nöte der andern annehmen, auch jener Menschen, die vor Kriegen und vor dem Elend zu uns geflüchtet sind.
-Gute Hirten zu sein, kann bedeuten, miteinander den Glauben und die Hoffnung zu teilen; und dabei so zu leben, dass wir nach dem Grund unseres Glaubens und unserer Hoffnung gefragt werden.
Ja, liebe Gläubige, seien wir füreinander gute Hirten/gute Hirtinnen.

Predigt 21. Apr. 2024 Frauenkloster Muotathal

Wo bleibt der Hirt? © Walter Ludin
26. April 2024 | 09:26
von Walter Ludin
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