Hauterive
Daniel Kosch

Welthaltiges Gebet und tatkräftiger Glaube

Diese Woche habe ich an der Klausurtagung einer kirchlichen Kommission im Kloster Hauterive teilgenommen. Zwei Erfahrungen klingen noch nach.

Wohnen im Wort und in der Stille

Nur 10 Autominuten von Freiburg entfernt leben die knapp zwanzig Zisterziensermönche ein Leben, das sich stark vom Alltag der meisten Menschen unterscheidet. Sieben Mal täglich versammeln sie sich zum Stundengebet. Dafür unterbrechen sie die Arbeit etwa alle drei Stunden und einmal zu nächtlicher Stunde den Schlaf. «Hauptnahrungsmittel» ihres Gebetes sind die 150 Psalmen. Einmal wöchentlich beten oder singen sie jeden Psalm. Ihr Alltag und ihr Lebensrhythmus ist vom Dialog mit den biblischen Texten und mit Gott bestimmt – und daneben vom Schweigen, das ihr Leben ausserhalb der Gebetszeiten prägt. Die Mönche wohnen also nicht nur hinter Klostermauern – sie wohnen auch im biblischen Wort und in der Stille.

Weltfremdes Klosterleben?

Viele werden denken, dass ein solches Klosterleben weltfremd macht und die Probleme, Anforderungen und Nöte unseres Alltags auf Distanz hält. Aber obwohl der Medienkonsum der Mönche gering ist, sind sie darüber informiert, was in der Welt geschieht und «nehmen die Welt ins Gebet». Hinzu kommt, dass auch die Psalmen sehr «welthaltig» sind. Mit Gesundheit und Krankheit, Depression und Freude an Gottes Schöpfung, Feindschaft zwischen Menschen, Hunger nach Brot und Sehnsucht nach Frieden kommt die ganze Palette menschlicher Grundbefindlichkeiten zur Sprache.

Das Urteil, «tiefgläubig aber weltfremd» erweist sich bei näherem Zusehen als Vor-Urteil. Dies nicht nur bezüglich «Weltfremdheit», sondern auch bezüglich «Tiefgläubigkeit», sofern man darunter eine unerschütterliche Gottesgewissheit versteht. Denn auch kontemplative Menschen berichten von Phasen der Dunkelheit, der Weglosigkeit, des Schweigens Gottes und der radikalen Infragestellung ihres Glaubens.

Spirituell defizitäre kirchliche Jugendarbeit?

Die zweite Erfahrung war eine Diskussion über die kirchliche Jugendarbeit in den Verbänden, vor allem Jungwacht und Blauring. Diesen wurde von manchen Kirchenvertretern recht pauschal eine echte Verwurzelung im christlichen Glauben und in der katholischen Kirche abgesprochen. «Bewiesen» wurde diese Sichtweise mit Sommerlagern ohne Gottesdienst und mit dem Fehlen des expliziten Bezugs zu Jesus Christus. Es war deutlich spürbar, dass jene, die so reden, diese Art von Jugendarbeit als «spirituell defizitär» beurteilen.

Geteiltes Brot und Lieder von einer friedlicheren Welt

Dieser Einschätzung ist entgegenzuhalten, dass ich etliche Verantwortliche in den Jugendverbänden kenne, die ihren Glauben sehr bewusst leben und ihn überzeugend ins Wort fassen. Zudem werden in diesen Verbänden immer wieder Gelegenheiten geschaffen, damit die Kinder und Jugendliche mit der eigenen Lebensmitte, mit dem Geheimnis des Lebens und darin mit Gott in Kontakt kommen können. Christliche Grundsymbole wie das geteilte Brot, das reinigende Wasser und das Licht, das die Nacht erleuchtet, haben einen hohen Stellenwert. Von grösster Bedeutung sind schliesslich die Grundwerte des Evangeliums: Gerechtigkeit und Versöhnung, Rücksicht auf die Schwachen und Solidarität über Grenzen hinweg. Um dies wahrzunehmen, reicht es schon, auf die Lieder zu hören, die sie singen.

Wer bin ich, dass ich urteile?

Noch wichtiger als dieser Hinweis auf den gelebten und gefeierten Glauben, der in diesen Jugendverbänden (und nicht nur in den sogenannten «Bewegungen» und in der Weltjugendtags-Jugend) lebt, ist mir etwas anderes: Es gibt sie tatsächlich, die Hemmungen gegenüber explizit religiöser Sprache, die fehlenden Formen für Gebet und gottesdienstliche Feier, die Fremdheit gegenüber Liturgie und biblischem Erbe. Aber wir dürfen uns kein Urteil über den Glauben der Menschen und der Jugendgruppen anmassen. Auch für sie gilt, was Papst Franziskus bei verschiedenen Gelegenheiten wiederholt hat: «Wer bin ich, über sie zu urteilen?»

Gott dort entdecken, wo er sich finden lässt

Hilfreicher scheint mir die Grundhaltung, die Antonio Spadaro auf der Basis eines Interviews mit dem scheidenden General des Jesuitenordens, Adolfo Nicolás, so formuliert:

«Auch heute, in einer Welt, die nicht mehr weiss, was sie glauben soll, ist Gott immer noch aktiv und am Werk. Aber wie sollen wir von ihm sprechen? Für unsere Sendung brauchen wir eine Sprache der Weisheit, die aus einem offenen, unabgeschlossenen Denken hervorgeht, und eine Sprache des Glaubens, die den Herrn dort zu entdecken vermag, wo er sich finden lässt – und nicht dort, wo wir ihn gewohnheitsmässig suchen.»

Mönchen, die wöchentlich die ganze Welt der Psalmen vor Gott bringen, mag ich keine Weltfremdheit unterstellen. Ebenso wenig mag ich Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in ihrer Freizeit wöchentlich andere Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg in ein eigenständiges und solidarisches Leben begleiten, einen defizitären christlichen Glauben unterstellen.

Hauterive | © Daniel.Kosch
17. September 2016 | 12:47
von Daniel Kosch
Lesezeit: ca. 3 Min.
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