Karin Reinmüller

Von sexuellem Missbrauch Betroffenen gerecht werden

Der Missbrauchsskandal nimmt kein Ende, ebensowenig die Beteuerungen, man möchte den Opfern zuhören und ihnen gerecht werden. Am Ende wird dann meistens doch weitgehend über Täter geredet, über Aufklärung, Weiterbildung, Prävention. Alles gute Themen.

Ich möchte versuchen, hier ein paar Überlegungen anzustellen, wie wir als Kirche Menschen gerecht werden können, die sexuelle Ausbeutung erfahren haben. Ich rede da in erster Linie für mich und aus eigener Erfahrung (die ich völlig ausserhalb eines kirchlichen Kontextes gemacht habe). In einer Gesellschaft, in der jede vierte Frau sexuelle Ausbeutung erlebt, gibt es sicher viele andere, die noch ganz Anderes dazu beitragen können.

Und das wäre gleich meine erste Anregung: Viel zu oft wird über Betroffene (meist ausschliesslich «Opfer» genannt, ein klein-machender Begriff, mit dem viele von uns sich nicht identifizieren mögen) geredet, als wären sie Menschen in einem anderen Land. So werden aufgrund von gesehenen Filmen und gelesenen Artikeln Annahmen gemacht und Überlegungen angestellt, nicht schlecht, aber – man kann in jeder zehnköpfigen Gruppe getrost davon ausgehen, dass mindestens eine(r) dabei ist, die als Expertin aus Erfahrung berichten könnte. Sicher, nicht jede von uns kann in jeder Gruppe offen reden, nicht anders als bei anderen persönlichen Themen auch, aber es wäre schon viel gewonnen, wenn in kirchlichen Veranstaltungen und Gruppen signalisiert würde «Wir anerkennen, dass ihr hier seid und sind froh, wenn ihr uns an eurem Wissen teilhaben lasst».

Ein zweites: Rücksichtnahme auf Bedürfnisse und Grenzen. Die können sehr unterschiedlich sein, eine kleine Erfahrung von mir: Zu einer Zeit, als mir Symptome meiner Traumatisierung recht präsent waren, besuchte ich einen Gottesdienst, in dem der Zelebrant aus (gefühlt) heiterem Himmel dazu aufrief, wir mögen uns doch alle zum Vaterunser an den Händen fassen. Neben mir ein mir völlig unbekannter Mann, der natürlich nichts dafür konnte, dass ich am liebsten weggelaufen wäre. Liebe Gottesdienst-VorsteherInnen: Bitte formulieren Sie Aufforderungen zu Nähe-stiftendem Verhalten doch als Einladung so, dass Menschen, die aus gutem Grund Schwierigkeiten mit Nähe haben, sich nicht dazu gezwungen fühlen, mitzumachen. Eine solche Rücksicht auf unterschiedliche Menschen ist überhaupt eine gute Idee in einer Kirche, in der sich so viele aus verschiedenen Kulturen und mit ganz verschiedenen Hintergründen treffen.

Und als drittes: Keine Diskriminierung von Betroffenen. Die erklärte Solidarität mit Opfern sexueller Ausbeutung ist gross und das ist gut so. Deutlich schwerer haben es Menschen, die noch viele Jahre später offensichtlich unter den Folgen leiden, je nachdem mit der Diagnose einer psychischen Krankheit leben müssen. Eine PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) hat da noch die geringsten negativen Folgen, bei anderen Erkrankungen, die ebenfalls Traumahintergrund haben können ist die Stigmatisierung auch in kirchlichen Kreisen gross. Da wird schnell mangelnde Belastbarkeit unterstellt (die manchmal, aber beileibe nicht immer, gegeben ist) und werden etwa Betroffenen keine verantwortungsvollen Aufgaben zugetraut. Auch hier gilt: Miteinander reden, anstatt Annahmen über andere zu treffen. Überlebende (so nennen sich viele Betroffene selbst, als Ausdruck ihrer inneren Stärke) sexueller Ausbeutung sind viel mehr als bedauernswerte Opfer, auch wenn sie lebenslang unter den Folgen der Taten der Täter leiden.

Die Osterkerze ist noch etwas früh dran Bild: Karin Reinmüller
8. April 2019 | 17:14
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst diese HTML-Tags und -Attribute verwenden:

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.