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Sarah Paciarelli

Von Pflicht und Privileg

Kirchen und Nichtregierungsorganisationen haben im letzten Abstimmungskampf bewiesen, dass auch sie die Kunst der politischen Kommunikation beherrschen. Das gefiel nicht allen. FDP-Ständerat Ruedi Noser befand, dass das spendenfinanzierte politische Engagement zu weit gehe und wollte gar den Geldhahn zudrehen.

Ausgleichende Gerechtigkeit

Kirchen und zahlreiche NGOs geniessen das Privileg der Steuerbefreiung aus Gründen der Gemeinnützigkeit. Dass sie sich unter der Nutzung von Spendengeldern gemäss ihrer Visionen politisch exponieren, veranlasste Noser dazu, «kritisch zu hinterfragen, ob eine solche Tätigkeit gemäss den geltenden Regeln im Allgemeininteresse liegt und für die Steuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit qualifiziert», wie er in seinem Vorschlag an das Parlament darlegt. Aber Kirchen und Nichtregierungsorganisationen haben eine Verpflichtung Menschen gegenüber, die ihre Stimme nicht erheben können oder nicht gehört werden. Wie jede Form des zivilgesellschaftlichen Engagements, machen sie ihren Einfluss dort geltend, wo der Staat die Wahrung von Menschenrechten, Umweltschutz oder Tierwohl nicht oder nicht ausreichend gewährleistet.

SKF-Vertreterinnen an der nationalen Klimademo am 28.09.2019 in Bern. ©Manuel Lopez/Flickr CC BY 2.0

Über den eigenen Tellerrand schauen

Ich bin Rosa Parks dankbar dafür, dass sie sich mit ihrer Weigerung, den Platz im Bus für weisse Menschen freizumachen, rassistischen Gesetzen widersetzte und damit die schwarze Bürgerrechtsbewegung auslöste. Ich bin den Initiant:innen der Wiedergutmachungsinitiative dankbar dafür, dass sie sich für die finanzielle Entschädigung von Verdingkindern und Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen in der Schweiz einsetzten. Ich bin LGBTQIA-Organisationen dankbar dafür, dass sie sich für die Ehe für alle stark machen. Dabei bin ich weder schwarz, noch ein Verdingkind noch frauenliebend. Zivilgesellschaft wirkt wie ein Korrektiv und ich schätze es sehr, dass es Menschen und Organisationen gibt, die für vermeintliche Partikularinteressen eintreten, wenn diese zu mehr Gerechtigkeit führen, denn Gerechtigkeit ist im Interesse aller.

Identität und Kommunikation

Eine gesunde Demokratie lebt von der Koexistenz verschiedener Meinungen und Perspektiven. Aus Sicht der Organisationskommunikation ist es wichtig, dass Kirchen und NGOs nicht darauf verzichten, die Verbreitung ihrer Botschaften an die Funktionsweise der Mediengesellschaft anzupassen. Im Ringen um Sichtbarkeit sind auch sie gezwungen, sich in die relevanten Diskurse einzubringen und Brücken zum aktuellen Weltgeschehen zu schlagen. Der Versuch die Steuerbefreiung zu torpedieren, hat den fahlen Beigeschmack einer missglückten Einflussnahme auf die Stellung im Meinungsbildungsprozess. «Die Frage danach, wie politisch Kirche sein darf, steht nicht erst seit der Konzernverantwortungsinitiative im Raum. Das kirchliche Engagement für diese Initiative zeugt davon, dass die Kirchen ihre Werte glaubwürdig leben und dass Christinnen und Christen ihre Überzeugungen authentisch als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger vertreten», befindet auch Simone Curau-Aepli, Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes, der selbst eine steuerbefreite NGO ist.

SKF-Präsidentin Simone Curau-Aepli

Interessen versus Eigennutz

Wenn wir vergessen, dass Gerechtigkeit im Sinne aller ist, löst sich der solidarische Kitt unserer Gesellschaft schneller in Luft auf, als Ruedi Noser den Namen des Wirtschaftsverbandes «Economiesuisse» buchstabieren kann, in dessen Vorstand er sitzt. Das politische Wirken von Kirchen und NGOs ist interessengebunden, aber im Gegensatz zu Lobbyorganisationen definitiv nicht eigennützig. Die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke darf sich politischer Mittel bedienen und das sieht glücklicherweise auch der Bundesrat so, der die Ablehnung von Nosers Motion beantragte. Die Schweizer Bischofskonferenz hätte aus einer Annahme der Konzernverantwortungsinitiative ebenso wenig einen Nutzen gezogen, wie der Schweizerische Katholische Frauenbund. Sowohl für die Kirche wie auch für die NGO hätte sie jedoch zu mehr Gerechtigkeit geführt dies kann doch nur im Allgemeininteresse sein.  

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5. Dezember 2020 | 18:04
von Sarah Paciarelli
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