Heinz Angehrn

Toleranz zum Zweiten

Nun ja, ich bin wirklich nicht so naiv – das direkt an Sie, Herr Stadler, gerichtet – zu glauben, dass nur durch philosophische Lektüre die Welt zum Besseren gewendet werden kann, das gestehe ich durchaus ein. Aber wenn die «key sentences» der drei von mir erwähnten Werke nur etwas mehr unsere Diskussionskultur, die letztendlich doch dann zu Entscheidungen – im juristischen, politischen und ökonomischen Sinn – führt, prägen würde, hätten wir etwas zumindest ethisch Sicheres in Händen (ich gestehe, dass ich noch Ludwig Wittgenstein als vierten Zeugen ins Feld führen möchte, ein Vertreter der diskriminierten sexuellen Minderheiten steht uns gut an…):

a) Es gibt philosophisch-logisch gesprochen nur mathematisch-statistisch absolute Wahrheiten. Alle anderen postulierten und eingeforderten Wahrheiten sind relativ. Das Einfordern einer «absoluten Wahrheit» im Geflecht dieser nicht beweisbaren Wahrheiten steht am Anfang von Intoleranz, Ausgrenzung, und Gewaltausübung.

b) Wenn Lessing darum formuliert, dass der rechte, der einzig wahre Ring, nicht «erweislich» ist, sondern dass sich erst in den «Früchten», den Resultaten einer gelebten Praxis irgendeiner Religion oder Ideologie, ihr konkreter praktisch-ethischer Nutzen für die Menschheitsfamilie und ihren Fortschritt erkennen bzw. gerade nicht erkennen lässt, hat eine nun über 200 Jahre alte Aussage immer noch den Nagel auf den Kopf getroffen.

c) Und wenn Popper dies nun noch im dem Sinn ergänzt, dass es immer die Verlierer von ökonomischen, demographischen bzw. ganz allgemein sozialen Entwicklungen waren, die sich irgendeinem Totalitarismus, einem zwar nicht begründbaren, aber der Looser-Mentalität zutiefst gut tuenden trotzigen Behaupten, dass es eben doch irgendwo – rassisch-völkisch, religiös, kulturell …. – absolute Wahrheit, spricht Übermenschen-Qualitäten gibt, dann erklärt uns das viel: Trump, Erdogan, Orban, die AfD etc.
(Und wenn Ihr nun wieder einmal sagt, dass ich schwarz male, dann hört Euch doch bitte bitte – auf Phönix dokumentiert – die Rede des «neuen Goebbels», des hochgescheiten AfD-Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio, zum Politischen Aschermittwoch an.)

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26. Februar 2020 | 17:53
von Heinz Angehrn
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Ein Gedanke zu „Toleranz zum Zweiten

  • karl stadler sagt:

    Lieber Herr Angehrn, ich habe mich im letzten Kommentar wahrscheinlich ein wenig missverständlich ausgedrückt. Unter keinen Unständen wollte ich sagen, dass Sie die Lektüre philosophischer Literatur, wie die von Ihnen erwähnten Werke, bereits als ein Allheilmittel erblicken. Ihre jeweiligen Beiträge zeigen es immer wieder, dass Sie nicht so leichtgläubig und vereinfachend sind. Und die von Ihnen erwähnten Autoren sind gewiss sehr lesenswert: Lessing, war er doch einer der führenden Aufklärer im Preussen des 18. Jahrhunderst und guter Freund von Moses Mendelssohn. Gerade an diesem Beispiel zeigte sich damals vielleicht ein wenig, was Sie in Ihrem heutigen Beitrag ansprechen, dass das Einfordern von “absoluten Wahrheiten” den Beginn von Intoleranz bedeuten kann. Die Auseinandersetzung zwischen Mendelssohn und dem berühmten Pfarrer in Zürich, Johann Kaspar Lavater, steht als Beispiel für derartige Überlegungen. Und sicher gilt auch Kant heute noch als ein Klassiker, nicht nur was seine theoretische Philosophie und deren Brückenschlag zwischen Rationalismus und Empirismus betrifft, sondern auch im Hinblick auf seine ethischen Schriften. Kant wäre ja wohl der letzte gewesen, der von sich zu behaupten gewagt hätte, im Besitze von unumstösslicher Wahrheit zu sein. Das hätte er wohl, angesichts seiner Überzeugungen in Bezug auf analytische und synthetische Urteile, oder angesichts seiner transzendentalen Methodenlehre in der KrV nur schwerlich glaubhaft tun können.
    Popper gilt für mich als ein überzeugender liberaler Geist. Aber seine Platon-Interpretationen werden nicht von allen Platon-Interpreten vollumfänglich geteilt. Aber gerade auch er spricht im Prinzip ein Problem an, das, so will es scheinen, von manchen Intellektuellen auch heute nicht gesehen werden will: der manchmal anzutreffende subtile Hang zum Elitären, ein wenig gar zum Angehobenen. So wie Popper Platons Politeia liest und interpretiert, erscheint es auch ihm als unheimlich, dass eine relativ kleine Schicht die geistige Führerschaft über eine Gesellschaft innehaben soll. Ähnlich äusserte er sich auch in anderen Zusammenhängen. Um auf den letzten Kommentar zurückzukommen: Dieses Denken, so empfinde ich persönlich es wenigsgens, trifft man gar nich so selten an, z.B. bei subtilen, herablassenden Urteilen über Leute, die einem politisch nicht in das Konzept passen oder die sich manchmal auch in einfacheren gesellschaftlichen Schichten bewegen. Dabei ist die Geschichte, auch die des 20. Jahrhunderts, gespickt mit Beispielen, wie äusserst angesehene und brillante Intellektuelle schwersten und folgenreichen politischen Irrtümern erlegen sind, und zwar unabhängig davon, wo sie politisch angesiedelt waren. Die Tendenz zu mörderischen absoluten Wahrheiten zeigt sich eben nicht nur in rassistisch-völkischer Gewaltpolitik, sondern nicht selten auch in säkularen Bewegungen, die, getragen von messianischen Visionen, die Welt hin zum Besseren entwickeln möchten. In der Geschichte, auch in der zeitgenössischen, mangelt es nicht an empirischen Beispielen.
    Gewiss, Wittgenstein fügen Sie heute zurecht noch bei! Ein grosser Geist! Ein sehr bescheidener Mensch! Ein grundehrlicher, wenn vielleicht auch ein schwieriger Charakter. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man beispielsweise das Tagebüchlein von David H. Pinsent “Eine Reise mit Wittgenstein in den Norden” liest. Dass Wittgenstein sich zu Männern hingezogen fühlte, dies vor hundert Jahren, in seiner frühen Jugend noch umgeben vom Geiste, der in der damaligen k.u.k. Monarchie herrschte, machte für ihn das Leben gewiss nicht leicht. Man denke nur an die tragischen Ereignisse, die seinen Brüdern Hans und Rudolf widerfuhren, wo die Ursache wahrscheinlich nicht ausschliesslich im autoritären Erziehungsstil von Vater Karl Wittgenstein zu suchen ist. Dass Ludwig Wittgenstein auch schwierig sein konnte, zeigte sich u.a. auch darin, dass er in der Hitze einer philosophischen Diskussion ausgerechnet gegen den doch eher liebenswürdigen Karl Popper mit einem Schürhaken fuchtelte – so will es zumindest eine Anekdote wissen – oder es klingen solche Schwierigkeiten auch in den Zeignissen seiner Volksschüler in den 20er Jahren an, die ihn als sehr umsorgenden, äusserst engagierten und interessanten, aber manchmal auch als sehr ungeduldigen Lehrer erlebten, derart, dass er heutzutage mit einem Verfahren rechnen müsste, weil ihm die Hand ausrutschen konnte.
    Aber Ludwig Wittensgtein war gewiss nicht jemand, Sie führen ihn sehr wohl als geeigneten Zeugen an, der sich jemals im Besitze der absoluten Wahrheit wähnte, nicht nur in theoretischer, sondern auch in praktischer Hinsicht, obwohl er kurz nach Abschluss des Traktats anfänglich glaubte, die wesentlichen Fragen der Philosophie gelöst zu haben. Man halte sich in diesem Zusammenhang nur die Ziffer 6.41 im Traktat oder die posthum erschienene Schrift “Über Gewissheit” vor Augen.

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