Markus Baumgartner

Stimmenwechsel von der Staatsoper auf die Kirchenkanzel

Nach dem Verlust ihrer Stimme wurde die Opernsängerin Gudrun Sidonie Otto als Quereinsteigerin auch zur Pfarrerin. Ein Konzert und ein Gottesdienst haben für sie viel gemeinsam: Was Singen mit Predigen verbindet.

Gudrun Sidonie Otto, 43, ist Sopranistin und Pfarrerin. «Wenn ich auf die Bühne gehe, ist es wie ein Schweben über dem Publikum. Dann schwebe ich über den Gesichtern, die Leid erlebt haben, die vielleicht auch Freude haben. Wenn ich eine Predigt halten darf, dann geht es nicht um mich, es geht um die Menschen», sagt sie auf Radio SRF. Gudrun Sidonie Otto ist in der DDR in einem humanistisch geprägten Elternhaus aufgewachsen. Als sie zehn Jahre alt war, erlebte sie den erlebte sie den Berliner Mauerfall. Bereits als Kind wollte sie «Opernschauspielerin» werden, wie sie es damals nannte: «Ich habe es geliebt zu singen, und ich habe es geliebt zu spielen.» Mit vier Jahren begann sie Klavier, mit sechs Jahren Geige zu spielen. Mit vier Jahren begann sie mit Klavier, mit sechs Jahren mit Geige spielen. Ab dem zehnten Lebensjahr nahm sie Gesangsunterricht, wurde Teil eines Orchesters und später Dirigentin. Da der Beruf der Opernschauspielerin nicht existierte, wurde sie «nur» Opernsängerin. «Ich bin stets meinem inneren Feuer gefolgt. Die Musik hat mich am meisten erfüllt», sagt Gudrun Sidonie Otto. 

Singen bis zum Wendepunkt

2007 gewann sie den 1. Preis beim Internationalen Gesangswettbewerb der Kammeroper Schloss Rheinsberg. 2004 war sie Stipendiatin an der Komischen Oper Berlin und bis 2008 als Solistin an den Landesbühnen Sachsen engagiert. Gastspiele folgten u.a. an der Staatsoper Hannover, dem Theatre de Picardie, der Grand Opera Luxembourg und zu vielen renommierten Festivals und Konzerthäusern im In- und Ausland, schreibt das Gärtnerplatztheater in München. Als Sängerin stand sie auf Konzertbühnen in Amerika, Asien und Australien – bis zur Geburt ihres ersten Kindes. Aufgrund von schweren Komplikationen verlor sie durch eine Notintubation kurzzeitig ihre Stimme. Ein Wendepunkt: Sie hatte ein Kind auf dem Arm, konnte nicht sprechen, nicht singen. Das war ein existenzieller Moment mit vielen Fragen: Wie geht es weiter? Was, wenn die Stimme nicht wiederkommt? «Die Stimme kam wieder, doch die Fragen nach dem Sinn blieben», erklärt sie rückblickend in einem Beitrag von SRF

Gebete aufschreiben

Religion war in der sozialistischen Gesellschaft kaum ein Thema. Doch Gudrun Sidonie Otto entschied sich 2015 drei Jahre nach jenem Stimmverlust und neben ihrer wieder aufgenommenen internationalen Karriere als Konzertsängerin für ein Theologiestudium. Sie gehörte zum ersten Jahrgang des neuen Studiengangs für Quereinsteiger der Universitäten Zürich und Basel. Theologie hat sie schon immer interessiert: Nach dem Mauerfall fuhr ihre Familie einmal nach Bayern. Die katholischen Kirchenbauten zogen sie in ihren Bann. Ein Gebetsbuch für Kinder hat sie dabei so stark berührt, dass sie selbst anfing, Gebete aufzuschreiben. Später trat sie in ihrem Heimatort der evangelischen Jugend bei und liess sich im Alter von 14 Jahren taufen.

Matthäuspassion wie Matthäusevangelium

2019 schloss sie neben ihrer aktiven solistischen Tätigkeit ein Studium an der Theologischen Fakultät Basel mit dem Master of Theologie ab. Heute arbeitet sie in der Baselbieter Kirchgemeinde Binningen-Bottmingen. «Zu hören, zu dienen, zu begleiten und von dem zu berichten, was zwischen Himmel und Erde, zwischen Menschen und Gott an Wundern, an Liebe und Friede möglich sein kann – dafür da zu sein finde ich wunderbar.» Sie singt an jedem ihrer Gottesdienste solistisch. «Das war meine Anstellungsbedingung.»  Predigen und singen – das gehört für sie zusammen. Sie hatte das Evangelium auch als Sängerin schon lange verkündet, bevor sie Pfarrerin wurde. «Wenn ich die Matthäuspassion singe, ist das praktisch dasselbe, wie wenn ich über das Matthäusevangelium predige.» Und wenn es ihre Zeit erlaubt, steht die Pfarrerin auch weiterhin als Sopranistin auf der Bühne, sei es Anfang Oktober mit einer Brecht-Matinée in der Binninger Margarethenkirche, dann mit Gudaidulina, Nono und Dvoraks Biblischen Liedern im Freiburger und Basler Münster, mit Haydns Schöpfung in Schopfheim oder zu CD-Aufnahmen im Theater Danzig und der Philharmonie Sofia. So kombiniert sie weiterhin erfolgreich Kultus und Kultur und möchte damit auch anderen Mut machen, ganz bewusst Kultur mit gelebter Spiritualität zu verbinden.

Bild Quelle zVg
19. September 2023 | 06:14
von Markus Baumgartner
Lesezeit: ca. 3 Min.
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2 Gedanken zu „Stimmenwechsel von der Staatsoper auf die Kirchenkanzel

  • Carmen Siegrist sagt:

    Singend verkünden. Das berührt die Herzen der Zuhörenden, nicht lediglich den Kopf.
    Ja, die Musik und der Gesang sind so wichtig für jede Lebenslage des Menschen.
    Danke für diesen wohltuenden Bericht.

  • Hansjoerg sagt:

    Das ist wohl das schöne an der evangelisch reformierten Kirche. Da sind Frauen gleichberechtigt und gleichwertig. In der kath. Kirche sind Frauen immer noch Menschen zweiter Klasse.

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