Heinz Angehrn

Schweigen hilft wohl nichts I: «Serientäter»

In der NZZ vom 28.September schrieb Benedict Neff auf S.17 (Meinung und Debatte) zum Thema Missbrauch und Missbrauchs-Studie. Und in diesem Artikel fällt der fatale Satz: «So bildete die Kirche Täter zu Serientätern aus, die ihren kriminellen Trieben nachgehen konnten, bis sie mit einem schönen Nekrolog aus Amt und Leben entlassen wurden».

Das kommt nun aber gerade recht hart und happig daher, haben sicher manche gedacht. Der Terminus «ausbilden» ist die Crux. Er unterstellt nämlich im exakten Wortsinn, dass die Kirche bewusst und quasi lehrbuchmässig instruiert habe. Das ist gottseidank Unfug und nicht der Sinn des Textes von Neff. Aber, und das macht die Sache nicht viel besser, er meint, dass durch das jahrzehntelange Wechselspiel von Zitieren, Ausfragen, Ermahnen, Drohen seitens der Bischöfe und Ordinariate und dann dem folgenden Versetzen die Täter motiviert wurden, weiter zu machen, weil ja doch nicht wirklich «etwas geschah».

Sie/Ihr meinen/meint wohl, ich übertreibe? Das glaube ich nicht. In meinem Blog habe ich hier lange vor der Präsentation der Studie (23.06.2022) einen Fall aus meinem Bistum referiert, der genauso abgelaufen ist. Der betroffene Kollege wurde zitiert, befragt, ermahnt und dann ins Bistum Chur versetzt. Was dort dann geschah, ging uns ja nichts mehr an. Wohlverstanden: Ich kannte den Kollegen, er war eine arme Sau und erbarmungswürdig. Aber er war ein Täter. Und wenn ein Täter keine Hilfe in Form von Suspendierung und Therapie erhält, dann macht er eben weiter, er muss ja, seine psychischen-sexuellen Probleme sind nicht gelöst.

Wenn die Täter, die eigentlich Opfer des Systems und seiner Ideologie sind, so zu Serientätern werden, sind sie auch Serienopfer. Und es gibt dahinter Serien-Verantwortliche. Das meint B.Neff.

Als Exempel diene nun ein Fall aus Deutschland. Im Nachlass seines Onkels Edmund Dillinger (1935-2022) fand sein Neffe über 700 Filmstreifen mit Dias von nackten Kindern und Minderjährigen, in eindeutiger Pose aufgenommen, weisse und schwarze Jungs. Herr Dillinger, Priester, Religionslehrer, Entwicklungshelfer, mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, flog eigentlich schon 1971 auf. Ein junger Kollege rapportierte zu Recht ans Bistum (Trier), dass er sich auf einer Rom-Reise ungebührlich verhalten hatte. Die Folge war die Versetzung ins Bistum Köln mit gleichen Aufgabenbereichen. Und er machte weiter, fotografierte weiter und fand in Afrika noch manipulierbarere Opfer. Das alles hätte verhindert werden können, hätte man ihn 1971 suspendiert und in eine Therapie verwiesen.

Niemand sage mir, dass es in unseren Schweizer Bistümern nicht auch solche Fälle gab. What a shame!

Bildquellen

  • : pixabay.com
14. Oktober 2023 | 15:28
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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5 Gedanken zu „Schweigen hilft wohl nichts I: “Serientäter”

  • stadler karl sagt:

    Es liegt mir gewiss fern, die Institution “Kirche” zu verteidigen! Natürlich haben Sie ohne Zweifel Recht: die Priester, die Sie anführen, hätten stante pede aus ihrer beruflichen Tätigkeit gezogen werden müssen und nie mehr in ihrer beruflichen Funktion auf junge Menschen losgelassen werden dürfen. Keine Frage! Aber die Kirche war doch nie eine Insel der Seligen, weder in ihrer Urgeschichte, in der Neuzeit noch in der Gegenwart. Und sie wird es gewiss auch nie sein. Das kann man sich schlichtweg abschminken! Sie war doch immer in die im gesellschaftlichen Umfeld vorherrschenden Denknhaltungen verstrickt. Die Besipiele von den Ermahnungen, Drohungen, Versetzungen durch vorgestzte kirchliche Stellen etc., die Sie erwähnen , zeigen letztlich nur, wie es im übrigen gesellschgaftlichen Umfeld damals eben auch gelaufen ist. Solche Denkhaltungen herrschten keineswegs nur in der Kirche vor. Bezogen auf die CH lässt sich das in analoger Weise ansatzmässig sehen an der Fortentwicklung des strafrechtlichen Massnahmerechts. Nicht einmal im Jahre 2007, als der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches nach einer Gesamtrevision neu in Kraft trat, standen die gesetzlichen Grundlagen zur Verfügung, dass ein Gericht einem Missbrauchstäter hätte die berufliche oder ausserberufliche künftige einschlägige Tätigkeit auf beschränkte oder unbeschränkte Zeit im Umfeld von Minderjährigen einfach so verbieten können, was so viel bedeutete, dass er, wenn er seine Strafe verbüsst hatte oder auch bei einem bedingten Vollzug er im Grunde z.B. in einem Verein mit Jugendlichen weiterhin hätte tätig sein können. Es gab höchstens so halbwegs verbindliche Auflagen seitens eines Gerichtes oder vielleicht einer Schutzaufsicht. Das ist im Grunde eine sehr ähnliche Situation, wie wenn in der Kirche ein Priester, statt laisiert zu werden, ermahnt, vielleicht gebüsst und in der Folge einfach anderswohin versetzt wurde. Die Denkhaltungen waren damals einfach andere. Man war über weiteste Strecken schlichtwegs blauäugig, keineswegs nur in der Kirche. Mit bedingten, allenfalls unbedingten Freiheitsstrafen, Ermahnungen seitens eines Gerichtes, ambulanten Therapien, Schutzaufsichten und ähnlichem war es eben in manchen Fällen bei weitem nicht getan. Das einschlägige strafrechtliche Massnahmenrecht wie Kontaktverbote, beschränkte oder unbeschränkte situationsbezogene Tätigkeitsverbote im beruflichen wie ausserberuflichen Bereich, entsprechendes Einholen von Strafregisterauszügen etc. trat in der CH erst zwischen 2015 und 2019 in Kraft. Das Problembewusstsein begann sich im Grunde erst zu ändern, als Psychiatrie und Psychologie nachwiesen, dass manche Prädispositionen von Straftätern sich allein durch ambulante Therapien oder Strafen nicht signifikant kontrollileren liessen, bzw. dass potentielle Opfer dadurch keinen verlässlichen Schutz erhalten konnten. Das Strafmassnahmenrecht wurde im Übrigen nicht wegen der Vorfälle innerhalb der Kirche erweitert. Das Problem stellte sich ebenso akut auch ausserhalb der Kirche. Ratzinger hatte übrigens schon einige hundert Priester laisiert, bevor bei uns dieses veschärfte Massnahmenrecht in Kraft trat.
    Es soll jetzt aber niemand kommen und mir vorwerfen, ich würde alles “beschönigen” oder gar relativieren. Aber es ist ein Beispiel dafür, dass die Kirche letztlich immer in einem weiteren geistigen und gesellschaftspolitischen Umfeld verhaftet war und bleibt und von diesem sich über weite Strecken auch lenken lässt.

    • Hansjoerg sagt:

      Sehr geehrter Herr Stadler
      Sie schreiben: “Aber es ist ein Beispiel dafür, dass die Kirche letztlich immer in einem weiteren geistigen und gesellschaftspolitischen Umfeld verhaftet war und bleibt und von diesem sich über weite Strecken auch lenken lässt.”
      Aber, die Kirche muss selbst lenken, und sich nicht von ihrem Umfeld lenken lassen. Dazu müsste die kath. Kirche aber zuerst ihre Lenker, die alten bis uralten Männer in Rom ersetzen. Z.B. mit 50% Frauen in Leitungs- und Führungspositionen. Konkret, jüngere Frauen als Bischöfinnen und Kardinalinnen einsetzen.

    • Michael Bamberger sagt:

      Lieber Karl Stadler

      Waren und sind die flächendeckenden, belegten kirchlichen Aktenvernichtungen betreffend “Sünden gegen das 6. Gebot” bis in unsere Tage auch “letztlich immer in einem weiteren geistigen und gesellschaftspolitischen Umfeld verhaftet”?

      • stadler karl sagt:

        Ich kenne mich in den diesbezüglichen canonischen Vorschriften zu wenig aus. Die interessanten Akten für die Vorstudie waren offenbar ja jene, die in den Diözesen unter der Rubrik “Geheimarchiv” archiviert wurden und werden, wo auch die Personbaldossiers archiviert sind. Meines Wissens müssen gemäss kirchlichem Recht solche Dossiers nach einer bestimmten Frist entsorgt werden, allerdings mit der normativen Einschränkung, sofern sich darin kirchliche Strafakten befinden, dass der Inhalt dieser Akten ganz summarisch zusammenzufassen und weiterhin aufzubewahren ist. Ob gegen diese Vorschrift flächendeckend systematisch verstossen wurde, weiss ich nicht. Jedenfalls habe ich nichts solches gelesen, selbst wenn da und dort vermutlich schon rechtswidrig keine Zusammenfassungen erstellt wurden. Aber diese Vorschrift ist meines Wissens keineswegs ausschliesslich für Sittlichkeitsdelikte vorgesehen, sondern betrifft Strafverfahren ganz allegemein, auch wenn Sittlichkeitsdelikte in diesem Zuammenhang wohl eine sehr bedeutende Rolle spielen. Übrigens werden auch in staatlichen Archiven längstens nicht alle Strafdossiers der Gerichte archiviert, sondern nach bestimmten Kriterien ausgelesen, um später ein repräsentatives Bild der gesellschaftlichen Entwicklung historisch rekonstruieren zu können.

        Was aber nicht zu leugnen ist, und diesen Aspekt sollte man einfach nicht unterschätzen: In der CH wie auch anderswo hat die eigentliche Opferperspektive in Strafverfahren relativ sehr spät eine bedeutende Rolle zu spielen begonnen. Die erste Fassung des OHG in der Schweiz ist erst um die dreissig Jahre alt. Die prozessuale Stellung von Opfern, gerade auch von Opfern von Sexualdelikten, in Strafverfahren war früher viel weniger ausgebaut. In diesen Belangen war man früher, auch ausserhalb der Kirche, viel weniger sensibilisiert. Übrigens zeigt sich der Wandel dieses Denkens ausserhalb der Kirche auch im Bereich der “administrativen Versorgungen”, ein Bereich, der gerade auch im Kontext von Missbrauchshandlungen in halbwegs geschlossenen Institutionen zweifelsohne auch eine grosse Bedeutung aufwies. Behaften Sie mich jetzt nicht: Aber ich meine, dass die diesbezüglichen ersten Gesetzesrevisionen, unter dem Einfluss der EMRK in der CH erst anfangs der achtziger Jahre in Kraft traten, dahingehend, dass eine Fürsorgerische Freiheitsentziehung ohne die Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung nicht mehr statthaft sein sollte. Man stelle sich das einmal vor! Und zum Ausbau des strafrechtlichen Massnahmrechts in Bezug auf (Sexual)straftäter äussere ich mich jetzt nicht mehr. Die sind vor nicht einmal zehn Jahren in Kraft getreten. Ich perönlich bin überzeugt, dass wenn diesbezüglich nicht ausserhalb der Kirche, und zwar in der westlichen Welt international, ein riesiger Umbruch im Denken stattgefunden hätte, würde das Missbrauchsthema innerehalb der Kirche immer noch randständig behandelt. Im kirchlichen Bereich wird nachvollzogen, was im säkularen Umfeld vor einiger Zeit im Denken sich zu verändern begonnen hat, obwohl die Ausmasse des Missbrauchs immer noch riesige Dimenstionen aufweist. Man werfe diesbezüglich nur einen Blick in deutsche Kriminalstatistiken.

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