Heinz Angehrn

Schweigen hilft wohl gar nichts IV: Sexualmoral

Wenn etwas mehr als offensichtlich aus allen hier in den vergangenen Wochen vorgelegten Gedanken (I-III) folgert, dann dies, dass die katholische Kirche ihre Sexualmoral sehr gründlich bedenken und überarbeiten muss.

(Das sollte übrigens niemanden ernsthaft erschrecken: Zur Grundsubstanz des Christentums, zu dem m.E. der Kanon der biblischen Bücher, das Apostolicum und die Dogmen des ersten Jahrtausends gehören, gehört eine kirchliche Sexualmoral sicher nicht. Es geht darum keine einzige Welt unter, wenn aufgrund neuer Erkenntnisse der Human- und Naturwissenschaften hier neu formuliert und gewertet wird, ja umgekehrt können zeitbezogene Peinlichkeiten der Epochen ab der Aufklärung und des naturwissenschaftlichen Fortschritts beseitigt werden.)

Es ist wohl von folgenden Fakten auszugehen:
a) Die klassische katholische Morallehre (leider bis hin zu JP II und Benedikt XVI.) hat sich nicht wesentlich von den antik-vorderorientalisch-patriarchalen Vorstellungen der Zeit der Entstehung unserer biblischen Schriften und des frühen Christentums wegbewegt.
b) Vor diesem Hintergrund blieb es bis ins jetzige Jahrhundert hinein bei einer grundsätzlichen Abwertung der Frau als kultisch unreines Wesen (aufgrund ihrer Fähigkeit zur Menstruation und der antiken Reinheitsgebote),
c) ebenso bei der Abwertung des sexuellen Aktes, der nur einem Zwecke, dem der Fortpflanzung, zu dienen hatte, weil er ansonsten quasi als Nachklang der Erbsünde die Reinheit des Geistes beeinträchtigte,
d) (dito folgert natürlich die Verurteilung der Selbstbefriedigung,)
e) und ergo bei einer prinzipiellen Ablehnung der Homosexualität, weil sie ja genau diesen Zweck nicht erfüllte und zudem im altorientalischen Denken als strafbar galt.

Ob man es glaubt oder nicht: So absurd solche Prämissen heute klingen, so quer sie zu allen Erkenntnissen der Neuzeit stehen, sie werden bis heute gelehrt und von den Forschenden eingefordert. Lange erhielt ja ein/e Moraltheologe/in keine kirchliche Zustimmung für eine Professur, wenn er/sie nicht exakt in diesen Punkten konform schrieb.

Es folgert daraus die von mir angemahnte radikale Neuausrichtung in der Moraltheologie, was die Bereiche von Beziehung und Sexualität betrifft. Auszugehen wäre dabei einmal von folgenden zentralen Aussagen der heiligen Schriften:

– Die Beurteilung des Schöpfergottes in Gen 1, dass alles, was er gemacht hat, «sehr gut» sei. Das bezieht sich natürlich nicht nur auf Pflanzen und Tiere, sondern auch auf den Menschen in seiner ganzen Vielfalt.
– Die Aussage des Paulus im Galaterbrief, dass es in Jesus Christus keine Unterschiede mehr gibt, gerade nicht den von Mann und Frau, sondern wie die «Gute Nachricht» 2018 formuliert: «Durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zu einem Menschen geworden»

sowie von einer grundsätzlichen Anerkennung der aus den Menschenrechten abgeleiteten «sexuellen Rechte» (International Planned Parenthood Federation, IPPF-Erklärung von 2008, Zitat): «Sexuelle Rechte sind Menschenrechte. Sie stehen Ihnen und allen anderen Menschen gleichermassen zu. Es sind Menschenrechte, die in Bezug auf den Lebensbereich der Sexualität konkretisiert sind. Sie sind wichtig, da die Sexualität ein zentraler Aspekt des Menschseins ist. Alle Menschen haben das Recht, ihre Sexualität lustvoll und frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt zu leben.»

Damit beendet der Schreibende seine lange dauernde Argumentation zum Themenkomplex Missbrauch – Vertuschung – implizite Homophobie – Ämtertheologie. Ich danke für alles Mitlesen und Mitdenken. Mein Mitleid sowohl mit den klerikalen Opfer-Tätern wie mit ihren Opfern ist hoffentlich spürbar geworden. Kein Mitleid empfinde ich für diejenigen unter meinen «Kleriker-Brüdern», die sich in der Hierarchie «hochgearbeitet» haben, dabei sowohl Vertuschung und Verklärung der alten Moral mitgetragen haben und nun die lange unter dem Deckel gehaltene Misere ausbaden müssen: Ihr wusstet, auf was Ihr Euch eingelassen habt und Ihr habt mitgespielt, weil es Euch attraktiv erschien. Lernt von Nicolas Betticher.

Bildquellen

  • : pixabay.com
16. November 2023 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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3 Gedanken zu „Schweigen hilft wohl gar nichts IV: Sexualmoral

  • Paula. Pfeifer sagt:

    Ein dreifaches Bravo und ein hundertfaches Danke für Ihre klaren Worte.
    Ich frage mich: lesen Ihre “Kleriker-Brüder” Ihre Artikel? Wohl eher nicht. Sie müssten sich ja Gedanken machen über ihre eigenen Ansichten.

    Herzlichen Dank für Ihre Artikel

  • Michael Bamberger sagt:

    In Deutschland war 1950 fast 97% der Bevölkerung christlich, nämlich zu 47% katholisch und zu 51% evangelisch. (Quelle: Wikipedia)

    73 Jahre später sieht es folgendermassen aus:
    43% konfessionslos
    25% katholisch
    23% evangelisch
    (Quelle: https://kmu.ekd.de/)

    Diese, sich für beide Kirchen – und auch in der Schweiz – rasant beschleunigende Entwicklung lässt erahnen, dass auch die radikalsten katholischen Neuausrichtungen (die übrigens bei den Protestanten schon längst umgesetzt sind), keine Trendwende ermöglichen werden.

    Fazit: Much ado about nothing…

  • Franz Enderli sagt:

    Lieber Studienkollege Heinz

    “Kirchliches” ist derzeit meist ungeniessbar, so unsäglich, so abgründig, so…..
    Ja, wirklich: “Schweigen hilft wohl gar nichts”. Mit deinen Kommentaren brichst du dieses Schweigen. Dafür kann ich dir nur ein herzliches Danke sagen.

    Liebe Grüsse
    Franz Enderli

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