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Daniel Kosch

Religiöse Argumente in der Politik: Wo sind sie (nicht) zulässig?

In den Samstags-Ausgaben der Neuen Zürcher Zeitung vom 8. und vom 15. Oktober haben die Partei-Präsidenten der CVP und der SP grosse Interviews zur Debatte um christliche Werte, Islamismus und Religionspolitik gegeben.

Zugespitzte Aussagen

Beide Interviews enthalten sehr pointierte Aussagen. So sagt der Christdemokrat Gerhard Pfister «Die Muslime müssen bereit sein, ihre Kultusfreiheit einschränken zu lassen». Und er hält fest, die öffentliche Anerkennung islamischer Gemeinschaften sei «keine Option». Der (ebenfalls katholische) Sozialdemokrat Christian Levrat kontert, er «finde es erschreckend, dass es in der Schweiz politische Kräfte gibt, die sich auf eine Religion berufen müssen, um die Werte unserer Gesellschaft zu rechtfertigen. Gerhard Pfister übernimmt damit die Logik der Islamisten. … Das was er macht ist christlicher Totalitarismus.»

Eine notwendige Differenzierung

Die rhetorische Schärfung dient wohl auch der parteipolitischen Profilschärfung und dem Ziel medialer Aufmerksamkeit. Trotzdem regt sie zum Nachdenken darüber an, wo und wie das explizit religiöse Argument oder die religiös geprägte Wertvorstellung in der Politik und im Staat ihren Platz hat – und wo nicht.

In der Schweiz und ihren Nachbarländern gibt es politische Parteien, die sich schon in der Namensgebung als «christlich» (CVP, CDU, CSU, CPÖ) oder «evangelisch» (EVP) deklarieren. Und im laizistischen Frankreich gibt es eine Partei, die sich als «Union des démocrates musulmans français» bezeichnet. Schon das zeigt: In der gesellschaftlichen und parteipolitischen Debatte dürfen religiöse Überzeugungen eine Rolle spielen und können der Begründung oder Ablehnung von Positionen und Regelungen dienen.

Anders ist es im Bereich der staatlichen Politik und der Gesetzgebung. Hier gilt das Prinzip der religiösen Neutralität. Der Staat darf sich nicht auf eine «heilige Schrift» berufen, um eine gesetzliche Norm zu setzen. Ihre Geltung kann nicht mit einer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung begründet werden, sonst könnte die Norm von Rechtsunterworfenen, die die Überzeugung nicht teilen, zurückgewiesen werden.

Übersetzung in nicht-religiöse Sprache

Im parlamentarischen Prozess der Entscheidungsfindung, überschneiden sich diese beiden Bereiche. Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen und Überzeugungen haben den Auftrag, Gesetze zu machen und Entscheidungen zu fällen, die religiös neutral sind. Da diese Entscheidungen Ergebnis eines Ringens um die beste Lösung und folglich um die tragfähigsten Argumente sein sollen, müssen auch religiöse Politiker ihre politischen Stellungnahmen unabhängig von ihren religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen begründen, bzw. ihre Überzeugungen in eine nicht-religiöse Sprache übersetzen. Denn im liberalen Staat zählen nur säkulare Gründe. So muss zum Beispiel die biblische Rede von der «Gottebenbildlichkeit» des Menschen mit «Menschenwürde» oder der Respekt vor der «göttlichen Schöpfung» mit «ökologische Nachhaltigkeit» übersetzt werden, damit sie auch von nichtreligiösen Menschen als bedeutsame Werte anerkannt werden und somit politische Wirkung entfalten können.

Was für christliche Politiker und Politikerinnen zunächst als Zumutung erscheint, ist eine zwar anspruchsvolle, aber nicht unlösbare Herausforderung. Denn es ist Teil der christlichen Überzeugung, dass Gott vom Menschen nichts Unvernünftiges verlangt. Die «Vernünftigkeit» der eigenen Position auszuweisen, ist somit kein Verzicht auf eigene Werte und keine Konzession an den religiösen Pluralismus. Vielmehr ist es eine Form, die eigenen Überzeugungen so zur Sprache zu bringen, dass sie die Chance haben, in die Politik und Gesetzgebung des religiös neutralen Staates einzufliessen.

Nicht religiösen Bürgern und Bürgerinnen hingegen ist zuzumuten, dass in der vom Pluralismus geprägten allgemeinen politischen Debatte auch religiöse Argumente und Werte zur Sprache kommen. Das allein verstösst nicht gegen die religiöse Neutralität des Staates.

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18. Oktober 2016 | 15:53
von Daniel Kosch
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