Karin Reinmüller

Rätselhaftes aus dem Paradies

Wollte Gott uns als kluge Tiere? So sieht es aus, wenn man die Geschichte um den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse (der manchmal mit dem Baum des Lebens zu verschmelzen scheint) im Buch Genesis, Kapitel 2 und 3 liest – Ausschnitte davon sind diesen Sonntag vorgesehen.

Da verbietet Gott Adam und Eva im Paradies, vom Baum der «Erkenntnis von Gut und Böse» zu essen – was sie, inspiriert von der berühmtesten aller Schlangen, prompt tun. Kein Wunder, denn sie können offensichtlich noch gar nicht wissen, dass es «böse» ist, gegen Gottes Willen zu handeln. Das zu erkennen ist ihnen erst hinterher möglich – und dann ist es zu spät. Allenfalls könnte man den ersten Menschen vorwerfen, dass sie nicht besonders klug gehandelt haben, aber was will man machen, wenn Gott einem anderen Geschöpf einen höheren IQ zugedacht hat? (Die Schlange verhält sich nebenbei ganz so, als hätte sie selbst schon vorher vom Baum genascht.)

Ganz folgerichtig ist in dieser Geschichte, so bekannt sie als «Sündenfall» ist, nicht von Sünde die Rede. Die lässt sich erst nach dem Essen vom Baum der Erkenntnis begehen. Und die Frage ist: Hat Gott das tatsächlich nicht gewollt? Ist das Ideal des Menschen ein Wesen, das nicht weiss, ob es gut oder böse handelt, mit anderen Worten, ein kluges Tier? Ganz zu schweigen von den zahlreichen TierliebhaberInnen, die darauf bestehen, dass ihr Hund ein schlechtes Gewissen habe, wenn er etwas Verbotenes getan hat (was man ihn leider nicht fragen kann).

Wenn Gott unsere Entscheidung für das Gute will (wovon ich ausgehe), dann muss er auch wollen, dass wir wissen können, was gut ist. Was das Leben nicht einfacher macht – und vielleicht liegt darin die Wurzel der Vorstellung vom verbotenen Baum: In der Sehnsucht von Menschen nach einem Leben ohne Verantwortung, nicht in einem Verbot Gottes. Wir sind gewollt als Wesen, die sich schämen und schuldig werden können, das macht uns so sehr aus, dass wir vielleicht genau dann wirklich zu Menschen geworden sind, als unsere Vorfahren, die noch gar nicht «homo sapiens» hiessen, anfingen, vom Baum der Erkenntnis zu essen.

Le Paradis Perdu, Paul Gaugin. Bild: Wikimedia Commons
29. Februar 2020 | 07:16
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 1 Min.
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