Predigt über 4 Arten von Liebe

Böse Zungen behaupten: Wenn einem Prediger nichts mehr einfällt, spricht er über die Liebe. Allerdings ist es fast unmöglich, darüber etwas Neues, Interessantes zu sagen.

Nun, wenn ich heute über die Liebe predige, nicht deshalb, weil mir kein anderes Thema eingefallen wäre. Sondern weil es sich vom Evangelium her aufdrängt. Dort wird Jesus von einem Schriftgelehrten gefragt, welches das wichtigste Gebot sein. Die Gottes- und Nächstenliebe, ist die klare Antwort.

Befassen wir uns kurz mit der Gottesliebe. Ob ich Gott liebe, wurde ich kürzlich gefragt. Ich war etwas perplex und sagte schliesslich: «Ja, ich hoffe es.» Der Grund für mein Zögern: Ich wage nicht zu behaupten, dass ich Gott – wie es im Gebot heisst – liebe aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, mit dem ganzen Denken. Vielleicht geht es Ihnen ja ebenso: Eine so radikale Gottesliebe hat kaum jemand.

Und doch: Wir haben die Möglichkeit, unsere Liebe zu Gott klar und deutlich auszudrücken. Nämlich, im Gottesdienst und im persönlichen Gebet. Ein Ausdruck unserer Liebe ist es, wenn wir Gott danken für all das Schöne und Gute, das er uns Tag für Tag schenkt.

Und nun zum ebenso wichtigen Gebot, unsere Nächsten zu lieben. Was dies bedeuten könnte, zeigt Jesus im Gleichnis vom Samariter und dem Mann, der unter die Räuber gefallen ist. Dieser, das bedeutet, ein Mensch, der Hilfe braucht, ist unser Nächster.

Wir haben es im Alltag wohl nie mit solch drastischen Fällen zu tun. Doch immer wieder kommt es vor, dass in unserer Umgebung jemand Hilfe braucht; oder dass jemand wartet, dass wir ihm Zeit schenken und ein gutes Wort. Oft kommen solche Hilfesuchende zu uns, wenn wir Ruhe brauchen oder mit Anderweitigem beschäftigt sind. Wenn wir dann unsere Herzen, Ohren und Augen für ihn öffnen, erfüllen wir dieses Gebot.

Und noch etwas Erstaunliches: Das zweite Hauptgebot heisst ja im Wortlaut: «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.» Zählen wir doch einmal: 1. Gott lieben, 2. den Nächsten und dann 3. uns selbst. Dann kommen wir auf drei Hauptgebote. Gerade das dritte wird oft vergessen. Darum hat ein Freund von mir, der Basler Theologe Xaver Pfister, darüber ein Buch geschrieben und ihm den Titel gegeben: «Der vergessene Dreiklang.» Er zeigt, dass dieser dritte Klang Voraussetzung ist für die beiden anderen Klänge.

Selbstliebe hat mit Egoismus nichts zu tun. Psychologen und andere Menschenkenner betonen es: Wer sich nicht lieben kann, kann auch andere nicht lieben. Und: Wer sich nicht annehmen kann, kann andere nicht akzeptieren. Ähnliches wurde uns im Noviziat, im Einführungsjahr ins Klosterleben, schon vor über 50 Jahren beigebracht. Nämlich: Wer nicht geniessen kann, ist ungeniessbar. Vielleicht haben Sie auch schon diese Erfahrung gemacht …

Zum Schluss noch ganz kurz zu einer vierten Art von Liebe, die Jesus an anderer Stelle des Evangeliums von uns verlangt: die Feindesliebe. Nicht wenige haben damit Mühe. Für sie ist Liebe ein Gefühl und Gefühle kann man nicht befehlen. Einen Ausweg zeigt der jüdische Gelehrte Pinchas Lapide. Er formuliert das Gebot der Feindesliebe neu als Entfeindungsliebe: «Behandle deinen Feind, deinen Gegner so, dass er nicht dein Feind, dein Gegner bleibt.»

Mein Vorschlag: Versuchen wir es doch! Es könnte sich lohnen.

Predigt Kapuzinerkloster Schwyz, 29. Oktober 23

Walter Ludin

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.blogs-kath.ch/predigt-ueber-4-arten-von-liebe/