De mortuis nihil nisi

Nun da der Sarkophag in den Vatikanischen Grotten ruht, nun da die erste mediale Aufregung abgeflacht ist, erlaube ich mir, auch Stellung zu beziehen.

Zum ersten ist es mir wichtig zu betonen, dass es bis heute ein Erschrecken, ja ein tiefes Mitleid ist, mit dem ich den Weg des Priesters Joseph Ratzinger bis hin zum höchsten Posten, den unsere Institution zu bieten hat, wahrgenommen habe. Da hat sich einer verbiegen, verhärten, verbrauchen lassen, bis er nicht mehr er selber war, sondern exakt das Kunstprodukt, das der Machterhaltung der Institution dient, aber nicht mehr ein eigenständiges, lebendiges Ich. Die Ehre Gottes aber ist der lebendige Mensch. Rote Schuhe, weisse Pelze – Kompensation.

Ich zitiere Biermann im Original:
«Du, lass dich nicht erschrecken
In dieser Schreckenszeit
Das woll’n sie doch bezwecken
Dass wir die Waffen strecken
Schon vor dem großen Streit
Schon vor dem großen Streit»

Doch Priester und Professor Joseph erschrak ob der emotionalen und auch leiblich-körperlichen Wucht, mit der 1967/68 seine Studenten an hergebrachten Macht- und Moralstrukturen rüttelten. Er hätte mit ihnen einige Bier trinken gehen können, hätte ihren wilden Reden lauschen, ja sich an ihnen berauschen können, und hätte erkannt: Da pocht das Leben auch an meine Tür, da ist die Chance da, mich selber besser kennen zu lernen.
Doch das Gegenteil geschah: Er floh, zunächst in die Beschaulichkeit der Oberpfalz, auch ins schöne Ritual, dann in die kalte Sicherheit der schon seit Jahrhunderten vorhandenen lehramtlichen Aussagen und rechtlichen Regelungen. Und dort stieg er auf, bis er dann selber definieren konnte und durfte, was wahre Lehre ist und was nicht, wer dazugehören durfte und wer nicht. Er machte sich so zum Handlanger eines Denkens, das Leben in Fülle ganz bewusst verhindern wollte und will. Und so fiel der Bannstrahl auf all diese Übeltäter: Boff, Drewermann, Halbfas, Ranke-Heinemann, Cardenal … ohne Zahl.

Ich gebe Urs Eigenmann (hier auf kath.ch en detail nachzulesen) recht in seiner These, dass Joseph Ratzinger als Papst Benedikt mit seiner Jesus-Trilogie unbewusst aufgrund seiner Urängste eine ganz eigenartige Sicht des Anfangs des Christentums zu glauben und zu verbreiten begann. Denn: Jesus von Nazareth, zunächst apokalyptischer Wanderprediger, verkündete ja als Grundbotschaft das Anbrechen des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit, das Erstarken einer Institution mit Regeln und Paragraphen wäre ihm fremd gewesen. Jesus von Nazareth forderte seinen Jüngerkreis zu radikaler Nachfolge auf, Schuhe und Kleider waren da ohne Bedeutung. Jesus von Nazareth wäre wohl selber ein 68er gewesen und hätte des Herrn Professors Beschaulichkeit mehr als nur gestört. Der fokussierte darum sehr schnell und wenig historisch auf den geglaubten Christus des Johannesevangeliums und der frühen Kirche, denn da war Sicherheit, da war Ordnung, da war Ruhe. Aber: Ohne den historischen Jesus kein Christus, kein Christentum. Wer dessen Grundbotschaft bagatellisiert, verfälscht (war das nicht der Vorwurf an die Übeltäter?).

(Ratzinger exegetisierte in dem Sinne auch die Erzählung von der Versuchung Jesu. Doch etwas anderes ist die wahre Versuchung der Jünger/innen Jesu bis heute: verhärtet, verbittert, verbraucht, erschreckt aus der bösen Welt zu fliehen und so das Reich Gottes abzuschreiben.)

De mortuis nihil nisi … doch verstehen Sie, doch versteht: Ich schreibe hier aus Mitgefühl und nicht im Zorn.

Heinz Angehrn

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.blogs-kath.ch/de-mortuis-nihil-nisi-bene/