Alles korrekt, oder was?

In meinen letzten beiden Blog-Einträgen habe ich mich zu etwa 50% wieder mit der elenden Covid-Politik unserer Regierung und ihren gravierenden Einschränkungen von Menschenrechten und Menschenwürde beschäftigen müssen. Ebenso war ich gezwungen, beide Male den Grossmeister der Erkenntnistheorie und der Ethik, Immanuel Kant, zu bemühen. Doch nun – auch weil ich seit heute glücklich doppelt Geimpfter und in Kombination mit meinem Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht in die Freiheit der glücklichen Kinder Gottes entlassen bin – möchte ich mich der noch weit wichtigeren Grundfrage zuwenden:

Wieweit ist es eigentlich ethisch korrekt, im Rahmen einer weltanschaulich postulierten Korrektheit allen möglichen Minderheiten bzw. einst oder jetzt in ihren Rechten beeinträchtigten sozialen Gruppen gegenüber die (intellektuelle und ästhetische) Freiheit des Individuums, Sprache, Literatur, Kunst, ja sogar Denken überhaupt betreffend einzuschränken, also auch zu verbieten bzw. zu reglementieren, wie gesprochen, wie gelesen, wie geschrieben, wie gedichtet etc. etc. werden darf

Meine Antwort: Das ist ethisch nicht nur unkorrekt sondern eine gesellschaftlich-moralische, ja schlimmer noch staatlich-moralische, Einschränkung der Grundrechte des Individuums. Und allen, die sich verschämt oder schweigend in die Ecke der so geistig Unterdrückten drängen lassen, gilt eben das Diktum von der Selbstverschuldung auch im 21.Jahrhundert.

Ergo:
Die Verwendung sogenannt verpönter Termini (aus der pseudoaufgeklärten Sicht unserer Zeit) in alter Literatur und Philosophie, alten Comics und Kinderbüchern, in den heiligen Schriften etc. zu zensurieren, ist ein Verstoss gegen das Menschenrecht, selber denken zu können und zu dürfen. Man/frau überlasse es doch dem Konsumenten bzw. Verwendenden, sich sein eigenes Bild zu machen, sein eigenes Urteil zu bilden.
Wer nach solcher Zensur ruft bzw. sie nicht hindert, bahnt der Gedankenpolizei, öffnet dem Orwell’schen Überwachungsstaat Tor und Tür.
(Ausgenommen von all dem natürlich neu und ganz bewusst – etwa in Songs von Neonazi-Gruppen – benutzte Verwendungen von Termini, die jetzt allgemeingesellschaftlich als diskriminierend empfunden werden.)

Da man nicht lang und heftig in fremden Gärten graben soll, nun noch zwei Anwendungen, in denen der Schreiberling sich Wissen zutraut:

a) Ich lese gerade Golo Manns «Deutsche Geschichte des 19. und 20.Jahrhunderts», veröffentlicht 1958. (Konkret befinde ich mich gerade in der Zeit Wilhelms II. nach Bismarcks Entlassung.) G.Mann baut äusserst kunstvoll in sein Monumentalwerk Einzelbiographien von prägnanter Kürze und Würze ein (etwa von: Kant, Hegel, Nietzsche, Marx, Görres, Lassalle etc.), um einem plumpen reinen Erzählen der historischen Ereignisse vorzubeugen. Aber aber (aus «korrekter» Sicht): Es sind nur Männer-Porträts, die er einbaut. Frage: Sollten wir das «böse» Buch nicht verbieten, da es der Forderung der Geschlechtergerechtigkeit widerspricht. Dürfen wir es Studierenden noch zu lesen geben?

b) Die Geschichte der Schwulenbewegung (wenn wir schon bei der Familie Mann und ihren speziellen Männern sind) zeigt eindrücklich, dass es gerade auch Angehörigen einer einst diskriminierten (im dritten Reich gar einer Art «Geschlechter-Genozid» ausgesetzten) Gruppe gelungen ist, kreativ, frech und nachhaltig Sprechen, Lesen und Denken zu ändern und gerade nicht etwa die Eliminierung eines Terminus aus der Sprache zu fordern, sondern ihn selbstbewusst zu neuem Glanz zu bringen.

Heinz Angehrn

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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