Ungewöhnlich, aber schön und verdient...

«Mama, ich liebe dich». Ein Sohn schaut auf das Gesicht seiner Mutter und erklärt ihr, warum er sie immer mehr liebt – ein öffentlicher Ausdruck der Liebe und Dankbarkeit vor rund dreissig Gästen. Ich war Zeuge einer Abfolge von Liebes- und Dankbarkeitsbezeugungen an der Geburtstagsfeier dieser Mutter. Ihr Ehemann umarmte und küsste sie, begleitend mit Worten der Liebe, um auszudrücken, wie sehr er sie liebte und wie tief er ihr dankbar war. Ein anderer Gast trat vor und las einen vierseitigen Reim

, der von ihrer Schwester für sie geschrieben wurde, und der alles erzählte, was in ihrem Leben geschehen war. Ein anderer las ein Gedicht vor und lobte alles, was sie anderen Gutes getan hatte. Eine weitere sang ein Lied, begleitet von einer Schweizerorgel. Und der Text handelt von ihr als «Königin» – the dancing queen.

Dies ist eine beglückende Kultur, in der die Liebe und der Dank ausgedrückt werden, anstatt sie im Herzen zurückzudrängen. Die Gefühle des Herzens anderen Menschen gegenüber zu zeigen, ist für mich nicht üblich. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Eltern mich umarmten oder ich sie umarmte. Ich habe nie gesehen, wie meine Freunde oder Verwandten bei einer Feier öffentlich sagten, dass sie jemanden liebten. Ich will sag

en, ein öffentlicher Ausdruck der Liebe ist in der indischen Kultur ungewöhnlich.

 

Der öffentliche Ausdruck der Liebe ist in Indien so etwas wie ein Verbrechen. Aber in Bollywood-Filmen kommen Küsse, Umarmungen und Liebesbekundungen häufig vor. Und dann, wenn es in der Familie geschieht, sind verschiedene Kommentare zu hören:  «Dont be filmy at home». Das bedeutet nicht, dass wir in Indien von Natur aus nicht warmherzig und zärtlich sind, aber es ist einfach so, dass wir uns unwohl fühlen, wenn wir unsere Gefühle in Worte und Gesten übersetzen.

 

Als ich diesmal die Tränen der Freude in den Augen der erwähnten Mutter sah, dachte ich, dass es nicht falsch sei, Liebe und Zuneigung, Dankbarkeit und Fürsorge anderen gegenüber auszudrücken. Es gibt keine zwingenden Gründe, dies nicht zu tun. Es ist eine Bestätigung für diejenigen, die es verdienen.

 

NB: Es ist für Inder in Ordnung, in der Öffentlichkeit zu «pinkeln», aber es gilt als unschicklich, sich in der Öffentlichkeit zu «küssen» und zu «umarmen».

George Francis Xavier

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