Papsttreue für Erwachsene

«Frustrierter Papst» überschrieb eine Sonntagszeitung ihren Bericht über die Weihnachtsansprache von Papst Franziskus und über die ins Stocken geratenen Reformen der Kurie – auch, aber nicht nur im Bereich der Vatikanfinanzen. Natürlich lieferte Franziskus mit dem einleitenden Bonmot «In Rom Reformen durchzuführen heisst gleichsam die Sphinx von Ägypten mit einer Zahnbürste zu putzen» einen Steilpass für diesen Titel. Auch seine Kritik an der «verwerflichen Mentalität von Verschwörungen oder kleinen Zirkeln», die ein «Krebsgeschwür» darstellen und zum Verlust «die Freude des Evangeliums» führen, war unmissverständlich. Ebenso seine Haltung gegenüber Personen, die sich «von Ambitionen und Eitelkeiten korrumpieren lassen und sich selbst, wenn sie dann sanft entfernt werden, fälschlicherweise zu Märtyrern des Systems erklären, des ‘nicht informierten Papstes’, der ‘alten Garde’ … anstatt ihr ‘Mea culpa’ zu sprechen».

Offene Thematisierung laufender Auseinandersetzungen

Als einer, der nach wie vor darauf hofft, dass es Papst Franziskus gelingt, seine Reformen so im Gefüge der Kirche und der Kurie zu verankern, dass sie seine Amtszeit überdauern, habe ich bei diesen Sätzen aufgehorcht. Offen wie keiner der letzten Päpste, thematisiert Franziskus die laufenden Auseinandersetzungen und die Härte des Konflikts. Und es gibt nicht nur in Rom, sondern auch anderswo Anzeichen dafür, dass es um die Papsttreue nicht zum besten bestellt ist. Da kritisieren die Bischöfe von Kasachstan die Aussagen des Papstes zu den wiederverheirateten Geschiedenen ganz offen, obwohl formell festgehalten wurde, dass es sich um «authentisches Lehramt» der Kirche handelt. Und ein apostolischer Nuntius, diplomatischer Vertreter des Heiligen Stuhls in einem weniger fernen Land verbreitet mit grösster Selbstverständlichkeit die Twitternachricht, diese Bischöfe seien «sicher nicht allein mit dieser Sorge». Natürlich kann man fragen, ob es «psychologisch klug» ist, ausgerechnet die Weihnachtsansprache für die eigenen Mitarbeitenden zu nutzen, um ein so schwieriges Thema anzusprechen. Aber wäre ihnen und der Kirche mehr gedient, mit einer Rede, die die Probleme mit einer dicken Schicht pseudoweihnachtlicher Harmonie überdeckt?

Kindlicher Gehorsam – pubertäre Rebellion – erwachsenes Zuhören und Abwägen

Zugleich habe ich mich gefragt, was denn «Papsttreue» angesichts dieser Auseinandersetzung heissen könnte. Meine vorläufige Antwort lautet: Erstens, aufmerksam wahrnehmen und aufnehmen, was der Papst sagt – und wichtige Texte vollständig lesen. Zweitens, bei Äusserungen, die sich nicht mit meiner Auffassung decken, genauer lesen und länger nach ihrer Absicht fragen, als bei jenen, die mir entsprechen. Drittens, weder in «kindlichem Gehorsam» alles gut finden wollen, noch in «pubertärem Ungehorsam» rebellieren, sondern «erwachsen» zuhören, abwägen, eine faire Diskussion auf Augenhöhe führen. Viertens, nicht nur jene «Reformelemente» begrüssen, die mir passen, sondern auch jene, die mich und die Kirche hierzulande herausfordern – namentlich seine Kritik an einer selbstbezüglichen Kirche, seine prophetische Warnungen zur Ökologie und zur Weltwirtschaft und seine Plädoyers für eine gerechtere und solidarischere Welt.

Ein Glaube, der uns nicht in Krisen führt, ist in Krise

Ein erstes Ergebnis dieser Überlegungen zur Papsttreue ist, dass ich die ganze Ansprache an die Kurie gelesen habe – und feststellen konnte, dass sie insgesamt wesentlich sachlicher und konstruktiver ist, als die medial verbreiteten Auszüge. Und ein zweites Ergebnis ist, dass ich mir ein Wort aus der Schlusspassage notiert habe, das auf gute Art zu denken gibt:

Weihnachten erinnert uns daran,dass
ein Glaube, der uns nicht in eine Krise führt,
ein Glaube in Krise ist;
ein Glaube, der uns nicht wachsen lässt,
ist ein Glaube, der wachsen muss;
ein Glaube, der nicht Fragen aufwirft,
ist ein Glaube, über den wir uns Fragen stellen müssen;
ein Glaube, der uns nicht belebt,
ist ein Glaube, der belebt werden muss;
ein Glaube, der uns nicht erschüttert,
ist ein Glaube, der erschüttert werden muss.

Daniel Kosch

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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