Maria mit dem Jesuskind © Walter Ludin
Walter Ludin

Maria und die «Strukturen der Sünde»

Vom heutigen Fest «Mariae Unbefleckte Empfängnis» steht nichts in der Bibel. Das damit Gemeinte aber wurde schon während Jahrhunderten geglaubt. Es wurde jedoch erst am 8. Dezember 1854 von Papst Pius IX. zum Dogma erklärt. Erlauben Sie mir, den Wortlaut vorzutragen, auch wenn er in einer eher schwierigen Sprache verfasst ist:

«Die Lehre, dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch ein einzigartiges Gnadenprivileg des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erretters des Menschengeschlechtes, von jedem Schaden der Erbsünde unversehrt bewahrt wurde, ist von Gott offenbart und darum von allen Gläubigen fest und beständig zu glauben.»

Nicht gerade einfach ausgedrückt ….

Seit dem letzten Konzil wird das Fest «Erwählung Mariens» genannt. Im Hinblick auf ihre aussergewöhnliche Aufgabe, zu der sie erwählt wurde, hat Gott Maria von jeder Sünde bewahrt.

Auf den ersten Blick feiern wir heute ein Privileg, das einzig Maria aus Nazareth betrifft. Aber als Getaufte sind auch wir Erwählte. In der heutigen ersten Lesung heisst es ja:

  • «Gott hat uns erwählt, damit wir heilig und untadelig leben vor ihm.
  • Er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne/Töchter zu werden durch Jesus Christus.
  • Wir sind zum Lob seiner Herrlichkeit bestimmt

Mit andern Worten: Gott hat nicht nur mit Maria, er hat auch mit uns seinen Plan. Auch dieser ist individuell, persönlich. Wir dürfen eine ganz bestimmte, für uns vorgesehene Rolle im Leben spielen. Ein jüdischer Rabbi hat darum zu einem Mann namens Susja gesagt: «Wenn du vor den Richterstuhl Gottes kommst, wird er dich nicht fragen, warum du nicht Mose oder Abraham gewesen bist. Er wird fragen: ›Warum bist du nicht Susja gewesen?’» Wir sind also dazu berufen, uns selber zu sein.

Jetzt noch etwas zum Begriff «Erbsünde», der ja im Dogma des heutigen Festes vorkommt. Immer mehr erkennt man, dass dies ein problematisches Wort ist. Was viele nicht wissen: Es gibt den Begriff Erbsünde nur auf Deutsch. In andern Sprachen steht dafür zum Beispiel peccato originale, etwa mit Ursünde zu übersetzen.

Seit fast 50 Jahren hat sich das Wort «strukturelle Sünde» verbreitet. Es stammt aus der lateinamerikanischen Befreiungstheologie und wurde von Papst Johannes Paul II. aufgenommen, obwohl er mit dieser Theologie nicht viel am Hut hatte.

Damit gemeint ist eine auch weltweite Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die nicht in allem gut ist. Wir alle sind darin verwoben. Dies sollen zwei Beispiele zeigen:

Wenn wir ein billiges T-Shirt oder Hemd kaufen, wurde dieses wohl in asiatischen Ländern von Frauen hergestellt, die für einen stressigen 12-Stunden-Tag kaum mehr als einen Franken verdienen, was buchstäblich ein Hungerlohn ist.

  • Ein anderes Beispiel: Nach wie vor stammt einiges an unserem Strom aus Atomkraftwerken. Diese sind nicht ungefährlich, wie Tschernobyl und Fukushima zeigen. Überdies bleibt der atomare Abfall bis zu einem Million Jahren gefährlich. Nun: Wenn wir den Lichtschalter drehen, profitieren wir von diesem Strom. Und machen uns mitschuldig an den genannten Gefahren, ob wir es wollen oder nicht.

Ich wiederhole: Wir sind mit den «Strukturen der Sünde» verwoben, mit ihnen verstrickt. Aber vergessen wir nicht: Als Berufene Gottes sollen und können wir Gegensteuer geben. Um bei den Beispielen zu bleiben: Wir können fair produzierte Waren kaufen. Wir können achtsam sein und Strom sparen.

Denn: Gott, der uns berufen und erwählt hat, gibt uns Kraft zu einem anderen, alternativen, gerechteren Handeln.

Predigt im Kapuzinerkloster Schwyz, 8. Dezember 23

Maria mit dem Jesuskind © Walter Ludin
8. Dezember 2023 | 06:33
von Walter Ludin
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Ein Gedanke zu „Maria und die “Strukturen der Sünde”

  • Hansjoerg sagt:

    Die Vorstellung, dass sich ein kleines, frisch geborenes Baby bereits eine Sünde, nämlich die Erbsünde, aufgeladen haben soll, gehört für mich in den Bereich des Irrsinns.

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