Karin Reinmüller

Mäh! Eine Exerzitien-Glosse

Weil ich klimafreundlich mit dem Zug anreise, habe ich viel Zeit, zwischen Zürich und Dresden darüber nachzudenken, ob die Exerzitien, zu denen ich unterwegs bin, wirklich eine gute Idee waren. Mit gemischtem Resultat. Als ich den Elbhang zum Haus hochsteige nehme ich mir vor, in der folgenden Woche nicht wieder runterzugehen, alle meine Spaziergänge will ich nach oben machen, im Wald am Hang und auf der Ebene oben. Weil der Kurs offene Enden hat, entfallen Vorstellungsrunden und ich bin sofort zusammen mit gut 20 Menschen, die schon länger da sind, «im Geschäft», das heisst, im Schweigen. Keine Bücher, kein Internet. Unsere einzigen Gesprächspartner sind die Begleiter, von denen jede einen zugeteilt bekommen hat, einmal täglich. Sogar die Leute, die auf Spaziergängen ihre Hunde für mich anleinen, scheinen zu wissen, dass wir nicht reden. Oder vielleicht sind sächsische Menschen einfach nicht so gesprächig.

Zum Haus gehört ein Park, die Wiese wird von vier Schafen gepflegt. Ich beobachte sie gerne. Meistens fressen sie, machmal liegen sie da und käuen wieder (sind Schafe eigentlich Wiederkäuer?), selten sagt eines «Mäh». Immer ignorieren sie mich. Ich würde gern ihr Interesse wecken, weil ich aber nicht reden kann geht das nicht. Blöd.

Ich meditiere schöne, trostreiche Bibelstellen. Das ist nett. Nach zwei Tagen habe ich genug davon und sage meinem Begleiter, es könne jetzt mal schwieriger werden. Er reagiert prompt und schneidet ein Thema an, das ich mit aller Gewalt vermeiden will, obwohl ich ahne, dass ich damit arbeiten muss. Das führt zu turbulenten Tagen. Bei den gemeinsamen, schweigenden Mahlzeiten versuche ich so zu tun, als hätte ich noch alle Tassen im Schrank. Den Augenringen einiger Mit-ExerzitantInnen nach zu urteilen schlafen die genauso schlecht wie ich. Um 4 Uhr 30 fangen die Vögel an zu singen. Ich weiss das, ich bin vorher schon wach.

Gäste, die mögen, können im Park mithelfen, Unkraut von den Wegen zu jäten. Ich versuche, mein inneres Chaos durch Ordnung-Schaffen auf dem mir zugeteilten Wegstück zu bekämpfen. Bald sehe ich überall Unkraut. Wenn ich im Wald unterwegs bin (inzwischen ist es kalt und regnerisch) würde ich am liebsten die Pflanzen jäten, die auf dem Trampelpfad wachsen.

Der Meditationsraum wird meine zweite Heimat. Betreten nur zur vollen und halben Stunde, Schuhe vor der Tür, drinnen akkurat ausgerichtete Matten. Solange ich eine Stunde mit geradem Rücken dasitzen kann und mein Mantra nicht vergesse wird das schon gutgehen, denke ich. Vor dem Fenster sagt ein Schaf dazu «Mäh».

Und dann verändert sich etwas. Unspektakulär, ohne kathartischen Moment. Irgendwie haben es einige der wild feuernden Neuronen in meinem Gehirn geschafft, die gewohnte Autobahn zu verlassen und einen neuen Pfad anzulegen. Am sechsten Tag erkläre ich meinem Begleiter, dass sich was getan hat, was ich für völlig unmöglich gehalten habe.

Der Rest ist Kür. Die Bibelstellen werden wieder einfacher. Das Wetter wird besser. Sogar die morgendlichen Gottesdienste handeln jetzt weniger vom Kreuz und mehr von Auferstehung. Ich stelle fest, dass die Schafe Löwenzahn lieben. Von jetzt ab wandert der nach dem Jäten nicht mehr auf den Kompost. Die Schafe fressen ihn mir aus der Hand und begrüssen mich mit freudigem «Mäh!», wenn sie mich sehen. Geht doch.

Am Morgen des letzten Tages, kurz vor der Abreise, erzählt mir mein Begleiter, was ich alles verpasst habe: Vitus Huonder sei zurückgetreten, Theresa May ebenso, und Österreich hätte auch keine Regierung mehr. Ich soll eine Zeitung kaufen und auf der Rückfahrt lesen. Wer weiss, wenn ich nochmal Exerzitien mache, tritt vielleicht Donald Trump zurück. Aber erstmal muss ich schlafen.

 

PS: Dass Gott in diesem Text nicht ausdrücklich erwähnt wird heisst nicht, dass er in den Exerzitien unwichtig ist – ganz im Gegenteil. Er will sich nur nicht veröffentlicht sehen.

 

Denen könnte man stundenlang zusehen... Bild: Haus HohenEichen
26. Mai 2019 | 14:48
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 2 Min.
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2 Gedanken zu „Mäh! Eine Exerzitien-Glosse

  • Ruth Meili sagt:

    herrliche Beschreiben eines Exerzitienweges. Vielen Dank. Ich leite selber EEX an, so kommt alles bei mir total warm an.

    • Karin Reinmüller sagt:

      Liebe Sr. Ruth, na das ist ja mal eine Überraschung! Erinnern Sie sich noch an mich, vor 30 Jahren hab ich mal ein halbes Jahr auf dem Schwanberg mitgelebt – und Sie waren unsere Gruppen-Begleiterin 🙂

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