Gian Rudin

Komm herab, oh heiliger Geist

Vom Brausen des unsichtbaren Weggefährten

In den langen Abschiedsreden Jesu, die uns im Johannesevangelium überliefert sind, finden sich die sogenannten Paraklet-Sprüche. Diese sind ein wichtiger Beleg für die Verheissungen des Heiligen Geistes und enthalten Beschreibung seiner Wirkweise. Der Heilige Geist erweist sich hier als Gabe an die Hinterbliebenen nach dem Weggang Jesu. Dieser Beistand ist mit der sich langsam entwickelnden Kirche auf dem Weg durch die Zeit. Der Atem des lebendigen Gottes navigiert die Menschen durch ihr kurvenreiches Leben und hilft Engpässe zu meistern. Jesus redet vom Heiligen Geist als dem anderen Parakleten. Der eigentliche Paraklet ist Jesus selbst, der das menschliche Leben mit all seinen Verwerfungen und Freuden angenommen hat. Dieser Jesus ist der Überlieferung gemäss aber zum Vater heimgekehrt und ist dementsprechend nicht mehr physisch auf der Erde anwesend. Dennoch verheisst er seine bleibende Gegenwart, wo sich Menschen in seinem Namen versammeln. Der Heilige Geist gewährleistet diese Gegenwart Jesu. Er vermittelt die geistgewirkte Anwesenheit des abwesenden Jesus Christus. Er verweist also auf Christus und das durch ihn gestiftete Heil. Durch seine Inspiration werden die Menschen zu Zeugen Christi und seiner Hingabe. Diese n juristischer Terminologie ausgedrückte Funktion des Parakleten war einer der Gründe, dass er dann im Zuge der Dogmengeschichtsfortschreibung mehr und mehr personalisiert wurde. Der Heilige Geist lehrt und vertieft die Erkenntnis Gottes und will die Menschen zur Einheit bringen. Diese Einheit jedoch vernichtet nicht die Individualität, sondern diese wird im Zusammenhang der gelebten Beziehungen des Menschen umso sichtbarer und reichhaltiger. Die ruach Gottes wird bei Johannes als Geist der Wahrheit bezeichnet, der die Menschen leitet, ermahnt, tröstet und ermutigt. Sie verwurzelt die Menschen in der Liebe und schenkt Geborgenheit. Der Heilige Geist wird im gleichen Evangelium als Wind beschrieben, der weht wo er will. Er saust auch ausserhalb der Kirche und lässt sich nicht bändigen, er belebt die Welt mit Innovation und Einfallsreichtum. Der Heilige Geist ist unaufhaltsam, dynamisch und bahnbrechend. Er befreit die Welt aus den Ketten von Notwendigkeiten und selbst auferlegten Zwängen. Dennoch sollte er nicht vorschnell mit freigeistigen Unverbindlichkeiten identifiziert werden. Das Wirken des Geistes ist gemäss dem johanneischen Zeugnis fokussiert: Auf Christus und die durch ihn ermöglichte Heiligung der Menschen. Die Wege des göttlichen Geistes sind unergründlich und den Begrenztheit des menschlichen Erkennens oftmals verborgen. Die heute allzu gern vollzogene Scheidung von institutionalisiert-lebloser Klerikalkirche und der geistdurchtränkt Gemeinschaft der Gläubigen, die sich den biederen Anmassungen der Obrigkeit zu entziehen vermögen, ist ihrerseits eine einseitige Instrumentalisierung des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist kann die Kirche von aussen und von der Basis her ermahnen, wenn sie ihr Ziel aus den Augen verliert. Das zeigen eindrückliche Zeugnisse der Kirchengeschichte. Der Geist wirkt aber auch innerhalb der Kirche und überführt so die Lieblosigkeiten einer in sich verschlossenen Welt. Der Geist wirkt von allen Seiten, von oben und unten und manchmal querdurch.

Von der Vollendung der prophetischen Sukzession

Die besagten Paraklet-Ankündigungen im Johannes-Evangelium haben immer wieder die prophetische Fortschreibung der nachchristlichen Religionsgeschichte beflügelt. In der traditionellen islamischen Theologie wird im Rahmen des Nachdenkens über die Offenbarkeit Gottes auf die Unhintergehbarkeit von prophetischen Mittlergestalten verweisen. Hierbei nimmt die Erörterung über die göttliche Legitimität der Sendung Mohammeds einen wichtigen Platz ein. In den entsprechenden Texten islamischer Gelehrsamkeit werden auch Verheissungstexte aus den biblischen Schriften herbeigezogen. In dem apologetische-offensiven Werk Die wahre Antwort auf die Verfälscher der Religion Christi des in der heutigen Südosttürkei geborenen Taqī ad-Dīn Ahmad ibn Taimīya wird auch auf die Paraklet-Aussprüche des Johannesevangeliums Bezug genommen. Die vielgestaltigen Übersetzungsmöglichkeiten des griechischen Terminus parakletos  (Tröster, Ermahner, Beistand, Richter, Anwalt etc.) christlicherseits werden zum Anlass genommen, den Christen eine schwammig und diffuse Interpretationstätigkeit vorzuwerfen. Die Christen können nicht genau benennen wer oder was dieser Verheissungsträger eigentlich sei und bequemen sich mit der Verlegenheitslösung des Heiligen Geistes. Die im Johannesevangelium erwähnte permanente Anwesenheit des Parakleten wird mit der Unüberbietbarkeit und Endgültigkeit der von Mohammed empfangenen koranischen Offenbarungsschrift gleichgesetzt. Die im 2. Jahrhundert im kleinasiatischen Raum aufkeimenden Bewegung des Montanismus hat den Parakleten durch ihren Gründer Montanus vernommen. Diese charismatischen Endzeitproklamationen dieser Bewegung wurden später von der Grosskirche verurteilt. Wir begegnen hier dem religionsgeschichtlichen Problem der Abgeschlossenheit der göttlichen Offenbarungstätigkeit. Aus aktuellem Anlass liesse sich hier auch die Streichung der Baha’i-Religionszugehörigkeit aus den Identitätsdokumenten der Islamischen Republik Iran heranziehen. Das Mullah-Regime duldet keine weiteren Prophetengestalten nach Mohammed, da mit diesem die durch die prophetische Sukzession ergangene Offenbarung Gottes endgültig abgeschlossen ist.  Die christliche Tradition jedoch bekennt Jesus nicht nur als Propheten in einer Ahnenreihe von Gesalbten, sondern als Gottes eingeborenen Sohn, der seinem Ursprung her nicht der Sphäre des Geschaffenen zugehört. Weil in Christus Gott selber dem Menschengeschlecht zur Seite tritt, kann diese Selbstkundgabe Gottes nicht wiederum durch eine menschlich-prophetische Figur überboten werden. Und auch der Paraklet als Stellvertreter Christi trägt die Signatur der göttlichen Erhabenheit. Das mit der Menschwerdung Gottes verbundene Engagement ist durch Kreuz und Auferstehung zu einem Höhepunkt gelangt. Die Überwindung des Todes durch Gottes Liebeskraft geschieht in der erneuernden Kraft des Heiligen Geistes, so die christliche Hoffnung. Offenbarung ist hier nicht verstanden schriftlich fixierter Text, sondern als Tat, die durch den Geist Gottes tagtäglich erneuert wird und so allen Menschen zugänglich ist. Das Amt des Propheten ist nicht das letzte Mass aller Dinge. Der Prophet ist wie es von Johannes dem Täufer bezeugt wird, Rufer in den Wüsten unsere Lebens. Er legt Zeugnis ab für das lebensspendende Wasser. Damit das Wasser aber unseren Durst nach Leben stillen kann, muss seine Quelle im Paradies entspringen, wo kein Todesschatten trübt. Der Paraklet ist seiner wörtlichen Bedeutung gemäss der Herbei-Gerufene. So dürfte Pfingsten ein Anstoss sein, den göttlichen Geist um seine erneuernde Kraft zu bitten: Für uns, für die Kirche und die ganze Welt.

Bildquellen

  • IMG_6190: © Gian Rudin
Himmel über Buus BL
1. Juni 2020 | 16:30
von Gian Rudin
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