Karin Reinmüller

Jesus, diesmal schwierig

Ein Sonntagsevangelium aus der Bergpredigt (Matthäus-Evangelium, Kapitel 5, Verse 17-37). Eines zum wütend werden über Sätze wie «Wer seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein» und «Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg!» Oder zum erschrecken, angesichts der Forderungen, die Jesus hier stellt. Dieser Jesus ist eine ganz schön schwierige Figur, weil sie gängigen Vorstellungen nicht entspricht – der vom Heiland leidender Menschen, vomm Gekreuzigten, den sein Einsatz für die Menschen das Leben kostet, vomm guten Hirten, der jede von uns unbedingt liebt und ihr nachgeht, bis er sie gefunden hat.

Dieser Abschnitt aus der Bergpredigt klingt anders. Deshalb erst einmal die Frage: Hat Jesus das tatsächlich gesagt? Der mir bekannte Forschungsstand ist: Ja, die Aussagen der Bergpredigt sind authentisch, Jesus hat das gesagt. Allerdings nicht so gebündelt, wie es Matthäus präsentiert. Vermutlich gab es Aufzeichnungen oder Erinnerungen von Menschen an Aussagen Jesu zu unterschiedlichen Gelegenheiten, die der Verfasser des Matthäus-Evangeliums zu einer einzigen grossen Rede, der Bergpredigt, komponiert hat.

Die nächste Frage ist: Wozu hat Jesus das so gesagt? Wozu diese Härte, die von Hölle spricht, von Gericht und von abgeschnittenen Gliedmassen? Ich frage nicht «warum?» – diese Frage liesse sich beantworten damit, dass Jesus, historisch, offenbar einen durchaus temperamentvollen Charakter hatte, dass er eine starke Persönlichkeit war und auch gerne mal Klartext geredet hat.

Die Frage nach dem Wozu ist die, die jedenfalls mir den Umgang mit diesem Text leichter macht: Das Ziel Jesu ist, seine Botschaft attraktiv zu machen. Sein Grundanliegen ist es, dass Menschen Leben in Fülle finden, indem sie selbst erfahren, dass das Reich Gottes anbricht und indem sie sich zusammen mit ihm für dieses Reich der Gerechtigkeit einsetzen. Und da geht er, platt gesagt, zielgruppengerecht vor. Für manche Menschen ist die Erfahrung von Heilung, Heil-Werden zentral, die Zusage eines barmherzigen Gottes, der nicht aufhören kann, sie zu lieben und ihnen nachzugehen. Andere suchen, auch in ihrem Glauben, eher eine Herausforderung. Die bekommen sie hier. Und die muss übrigens nicht unwidersprochen bleiben – Jesus ist Jude, das wird gerade in manchen Aussagen unseres Textes sehr deutlich, und gerade im Judentum gibt es eine lange Tradition von Streitgesprächen und Diskussionen.

Ein entscheidendes dieser Streitgespräche führt Jesus selbst. Um das zu finden ist es ein bisschen schade, dass wir es gewohnt sind, die Bibel sozusagen häppchenweise zu lesen, als eine Sammlung von einzelnen kurzen Abschnitten. So sind die biblischen Bücher nicht konzipiert, sie sind dazu gedacht, als ganzes gelesen werden. Eine Leserin, die das Matthäus-Evangelium von Anfang an liest, erinnert sich, wenn sie im 5. Kapitel unseren heutigen Text aus der Bergpredigt liest, noch sehr gut an das 4. Kapitel – in meiner Bibel blättert man da nur einmal um. Und im 4. Kapitel wird Jesus in der Wüste vom Teufel in Versuchung geführt. Und wie macht das der Teufel? Er zitiert die Bibel. Jesus ist gläubiger Jude, das Gesetz Gottes, das in der Bibel aufgeschrieben ist, ist ihm heilig. Und genau aus dieser heiligen Schrift zitiert der Teufel, um ihn dazu zu bringen, nicht Gott, sondern ihm zu dienen. Was Jesus anschliessend wiederum mit Bibelzitaten widerlegt.

Das Entscheidende: Ein Leser, eine Hörerin, die hört, wie Jesus sagt, dass kein Buchstabe des Gesetzes vergehen soll, hat, nach der Konzeption des Evangeliums, kurz zuvor erfahren, dass das Wort des Gesetzes, der Bibel, auch vom Teufel verwendet werden kann, um zu versuchen. Das ist, denke ich, ein wichtiger Grundsatz im Umgang mit der Bergpredigt:

Ein Satz wie «Wenn dich deine Hand zum Bösen verführt, so hau sie ab» kann einen Menschen in einer bestimmten Lebenssituation dazu anspornen, entschiedener zu leben. Glauben konkret werden zu lassen – manchmal kostet es vielleicht etwas, manchmal muss jemand vielleicht einen klaren Schnitt machen mit einer Gewohnheit die einem selbst schadet, oder einer Arbeitsstelle, die vielleicht gut bezahlt ist, aber ethisch nicht vertretbar.

Der gleiche Satz aber, einem anderen Menschen in eine andere Situation hinein gesagt, kann Versuchung sein – Versuchung dazu, alles zu bekämpfen und zu zerstören, was vermeintlich zum Bösen führt, auch wo das gar nicht so ist. Oder Versuchung zur Mutlosigkeit, wenn jemand meint, sich Ansprüchen Gottes gegenüber zu sehen, die er überhaupt nicht erfüllen kann.

Jesus auf Predigtreise in Pfäffikon ZH. Bild: Karin Reinmüller
15. Februar 2020 | 17:40
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 3 Min.
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