I-Phone
Daniel Kosch

Glauben in Zeiten des I-Phones

2007 kam das erste I-Phone auf den Markt. 2017 feiern wir (erst!) dessen 10. Geburtstag. Wie wir vorher lebten, ist schwer vorstellbar geworden. Was machten wir während langweiliger Tram- oder Bahnfahrten? Wie organisierten wir unseren Alltag ohne Fahrplan-App, ohne Whats-App oder SMS, um Verspätungen mitzuteilen? Wie waren wir auf dem Laufenden, ohne abends nochmals unsere Mails zu checken? Wie brachten wir ohne Touch-Screen und Wikipedia im Museum in Erfahrung, wann ein Maler, dessen Bild uns gefällt, gelebt hat? Wie machten wir unser Umfeld ohne Facebook oder Twitter auf einen spannenden Artikel aufmerksam?

Smombies und Second-Screen-Menschen

All diese Möglichkeiten, die das I-Phone, die Smart-Phones und Tablets bieten, nutze ich gerne. Auch Blogs läse ich kaum, wenn ich kein mobiles Gerät hätte und keine Mitteilungen bekäme, die mich auf Lesenswertes aufmerksam machen. Aber ich habe in den letzten Tagen auch zwei neue Wörter angetroffen, die mir zu denken gaben.

  • Das eine ist der «Smombie» – also der «Smart-Phone Zombie»: Ein Mensch, der mit Blick auf sein Smart-Phone leicht gebeugt auf der Strasse unterwegs ist, seinen Weg, seine Umwelt und die Menschen kaum nicht mehr wahrnimmt, also zugleich an- und abwesend ist.
  • Das zweite ist der «Second-Screen-Mensch» – also der, dem der eine Bildschirm nicht mehr reicht und der ohne mehrere Parallelhandlungen die Welt nicht mehr erträgt.

Flachere und flüchtigere Wahrnehmung

Die ständige Verfügbarkeit – und das mühelose Wegklicken-Können – aller möglichen Welten, Arbeiten, Informationen und Ablenkungen in einem kleinen Gerät, das in jeder Hosentasche Platz hat und immer zur Hand ist, hat mein Verhältnis zu Realität, meine Wahrnehmung verändert. Sie ist flacher und flüchtiger geworden. Das gilt auch für anspruchsvolle Musik und sogar für «heilige Texte». Kürzlich hörte ich zu Hause Bachs H-Moll-Messe, die ich als Download auf dem Handy habe – und wurde abrupt unterbrochen, weil der Piepston eine Kurzmeldung mir einem Resultat vom Skiweltcup anzeigte. Und die Gratis-App der Neuen Lutherbibel befindet sich auf meinem Tablet zwischen der App für die Zeitschrift «Organisationsentwicklung» und jener von Radio SRF 3.

Auswirkungen auf das religiöse Leben

Bei diesen Beobachtungen geht mir die Frage durch den Kopf, was das für den Glauben, für ein bewusstes Leben als Christ/in oder als religiöser Mensch heisst? Das Positive zuerst:

  • Mitten im Alltag, zwischen Organisationsentwicklung und Radio DRS 3 ist auch die Bibel präsent.
  • Wache, mit der digitalen Welt vertraute Kirchenleute erreichen mit ihren Tweets auch Menschen, die weder eine Kirche besuchen nach das Pfarrblatt lesen.
  • Theologische Feuilletons wie «feinschwarz.net» machen eine Bahnfahrt zur theologischen Weiterbildung.

Zugleich habe ich den Eindruck, dass die mentalen Veränderungen, die mit der Digitalisierung unseres Alltags einhergehen, die Einübung klassischer spiritueller Grundhaltungen eher schwieriger machen:

  • Sammlung und Stille,
  • Aufmerksamkeit für den konkreten Menschen oder den gegenwärtigen Augenblick,
  • das biblische Wort nicht nur äusserlich hören, sondern ver-innerlichen,
  • sich versenken, Leere oder auch sich selbst aushalten,
  • mich betreffen (und nicht nur «anstupsen») lassen …

Zudem machen die Schnelligkeit und die Tatsache, dass unsere Aufmerksamkeit unablässig auf das Neue und Neueste gezogen wird, ungeduldig und oberflächlich. Ich habe mich schon dabei ertappt, dass eine Predigt, die sich ruhig und gründlich in einen Bibeltext vertieft, mich fast dazu verleiten könnte, rasch nachzuschauen, ob der «Second Screen» in der Hosentasche etwas Spannenderes bietet… und das, obwohl die Predigt wirklich gut war.

Ist das Smart-Phone stärker als die Säkularisierung?

Seitdem ich stärker auf diesen Wandel der Wahrnehmung, der Informations- und Ablenkungsmöglichkeiten durch die Allgegenwart des Smart-Phones achte, frage ich mich sogar, ob diese scheinbar nur «technologische» und «religiös neutrale» Veränderungen das Glauben-Können und den Aufbau religiöser und kirchlicher Bindungen nicht mindestens so stark beeinflussen wie die häufig beschworene Säkularisierung. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, was das für die Kirchen und für eine zeitgemässe Vermittlung des Glaubens bedeutet.

 

PS:  Das I-Phone ist dabei nicht isoliert, sondern als «Realsymbol» für Entwicklungen zu sehen, die viel breiter sind und schon länger zurückreichen – vom Zappen durch zahlreichen Fernsehkanäle über die Verbreitung von Gratiszeitungen, den Siegeszug von E-Mail und Internet bis zur Omnipräsenz von optischen und akustischen Reizen … und ein Ende des Wandels ist nicht abzusehen.

I-Phone | © Daniel.Kosch
8. Januar 2017 | 17:08
von Daniel Kosch
Lesezeit: ca. 3 Min.
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