Auch der Vatikan ist eine komplexe Struktur
Daniel Kosch

Geld, komplexe Strukturen und die Dynamik des Glaubens

Anfang September veröffentlichte der emeritierte Papst Benedikt XVI. einen Interviewband mit «letzten Gesprächen». In Deutschland fanden seine kritischen Äusserungen zur Lage der Kirche in Deutschland besondere Beachtung. Er spricht vom «etablierten und hochbezahlten Katholizismus», von einem «Überhang an ungeistlicher Bürokratie» und vom «Überhang an Geld». Das alles hemme die «Dynamik des Glaubens» und es «erwächst Bitterkeit daraus», was Benedikt XVI. «betrübt».

Das Evangelium in den Strukturen der Kirche sichtbar werden lassen

Auch für die katholische Kirche in der Schweiz sind das kritische Anfragen. Es wäre vorschnell, sie in der Schublade der pessimistischen Weltsicht von Josef Ratzinger abzulegen. Auch Franziskus, der die «Freude des Evangeliums» ins Zentrum stellt, kritisiert eine «Kirche die um sich selbst kreist», diagnostiziert «Kurienkrankheiten», warnt «Manager-Funktionalismus» und gab den Schweizer Bischöfen beim letzte Besuch ad-limina auf den Weg, die Kirche solle sich «nicht von Einrichtungen abhängig machen, die durch wirtschaftliche Mittel einen Stil des Lebens auferlegen können, der wenig mit Christus, der arm wurde, kohärent» sei. Zudem wünschte er, die Schweizer Kirche möge «in ihren Strukturen das Evangelium besser sichtbar werden lassen».

Geld und komplexe Strukturen sind auf Vermehrung aus

Nach meiner Einschätzung benennen die beiden Päpste echte Probleme. Diese haben ihren Grund allerdings nicht primär im Kirchensteuersystem oder in den staatskirchenrechtlichen Strukturen, denn die Krise im Pontifikat von Benedikt XVI. und die Reformbemühungen unter Franziskus zeigen die selben Phänomene im Vatikan, wo es weder Kirchensteuern noch ein duales System gibt. Geld und komplexe Strukturen haben gemeinsam, dass sie auf Vermehrung aus sind. Wo Geld ist, wächst der Hunger nach mehr Geld. Wo Strukturen sind, neigen diese dazu, sich sogar dann zu vermehren, wenn man sie vereinfachen will. Es besteht die Gefahr, dass zu viel Energie in interne Prozesse fliesst und dass die Dynamik der Erneuerung durch die Angst ums eigene, auch finanzielle Überleben gebremst wird.

Es gibt keinen einfachen Ausstieg

Aus dieser Problematik gibt es keinen einfachen Ausstieg. In einer komplexen, hoch ökonomisierten Welt ist auch die Kirche auf Geld und komplexe Strukturen angewiesen, um ihren Auftrag wahrzunehmen. Und kirchliche Mitarbeitende haben Anspruch auf einen gerechten Lohn – genau so, wie katholische Ingenieure, Lehrerinnen oder betriebswirtschaftliche Mitarbeiter. Auch Papst Franziskus richtete für die Kurienreform eine zusätzliche Reformkommission ein, die vermutlich ihrerseits weitere Arbeitsgruppen ins Leben rief. Und für die Aufsicht über die Vatikanfinanzen musste er Spezialisten anstellen und angemessen bezahlen.

In der Mikro-Situation für Bescheidenheit und Einfachheit eintreten

Für eine Kirche, die «in der Welt» lebt und Teil der Gesellschaft sein will, gibt es keinen «Exit» aus den Strukturen und keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme. Es bleibt nur der anspruchsvolle Weg, im ganz konkreten Alltag für materielle Bescheidenheit und möglichst einfache, klare Strukturen einzutreten, um die Komplexität zu reduzieren. Der Philosoph und Berater Jos Kessels schreibt: «Das Einzige, was effektiv auf die dynamischen Entwicklungen des Makro-Umfeldes einwirken kann, ist der Diskurs in der Mikro-Situation».

Bert Brecht sagte es noch einfacher: «Die Wahrheit ist konkret». Papst Franziskus postuliert: «Die Wirklichkeit steht über der Idee». Es gibt keinen anderen Weg, als sich auf die konkreten finanziellen und strukturellen Realitäten einzulassen und sich an ihnen abzuarbeiten, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren. Stets muss es darum gehen, sie  in den Dienst der «Dynamik des Glaubens» (Benedikt XVI.) zu stellen und «auch in den Strukturen der Kirche das Evangelium sichtbar werden zu lassen» (Franziskus).

Auch der Vatikan ist eine komplexe Struktur | © Daniel.Kosch
23. September 2016 | 07:40
von Daniel Kosch
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