Die Bibel ruft nicht zur Gewalt auf.
Walter Ludin

Ein missverständliches Sonntagsevangelium über Frieden und Spannungen.

Jesus «kam nicht, um Frieden zu bringen»

Darf ich mit Ihnen ein kleines Gedankenexperiment machen? Stellen Sie sich vor, die folgenden Sätze stünden im Koran, im heiligen Buch der Muslime: «Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, ich bin gekommen, um Spaltung zu bringen.»

Ich bin mir sicher: Wenn wir eine solche Stelle im Koran fänden, würden wohl wir alle – Sie und ich – sagen: Typisch für den Islam, die Aufforderung zu Krieg und Gewalt. Und typisch für Mohammed, den Kriegsherrn.

Dazu eine kurze Zwischenbemerkung zum Koran: Diese entstand, wie übrigens auch das Alte Testament zu einer Zeit, in der es viele Kriege gab. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass es in beiden heiligen Büchern Stellen gibt, die dazu aufrufen, sich mit Waffen zu verteidigen – übrigens etwas, was uns Eidgenossen ja nicht fremd sein sollte.

Doch, und dies wird von uns Christgläubigen kaum zur Kenntnis genommen: nicht Krieg, nicht Gewalt ist der zentrale Begriff des Koran. Es geht vielmehr um Barmherzigkeit. Von den 114 Abschnitten dieses Buches beginnen alle mit einer einzigen Ausnahme mit der Anrufung des barmherzigen Gottes.

Nun, liebe Gläubige, ich will hier nicht eine Predigt über den Islam halten. Darum kehren wir jetzt zurück zum heutigen Evangelium mit der erstaunlichen Aussage Jesu, er sei nicht gekommen, um Frieden zu bringen. Wenn wir darin einen Aufruf zur Gewalt sehen, liegen wir völlig falsch. Es gilt auch hier wie bei allen Bibelstellen, sie nicht isoliert zu betrachten, sie aus dem Zusammenhang zu reissen.

Im grossen Zusammenhang, mit Blick auf das ganze Evangelium, tönt es ganz anders als hier:

  • Jesus gilt als der Friedensfürst.
  • An zentraler Stelle seiner Botschaft, in der Bergpredigt, preist er jene selig, die keine Gewalt anwenden.
  • Und dazu nur noch dies: Als es ernst gilt, am Ölberg – als Petrus das Schwert zieht, um ihn zu verteidigen, befielt im Jesus, diese Waffe wegzulegen.

Jetzt aber, was bedeutet Jesu Wort, es sei nicht gekommen, um Frieden zu bringen, denn wirklich? Die Antwort geben die folgenden Verse, in denen Jesus von Spaltungen in den Familien spricht, zum Beispiel zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter. Es geht hier selbstverständlich nicht um das gleiche, wie es in den Schwiegermutter-Witzen geht.

Der Sinn ist folgender: Wer an Jesus glaubt, muss seinem Glauben treu bleiben, auch wenn seine Umgebung damit nicht einverstanden ist. Die Gläubigen müssen zu ihrer Überzeugung stehen; so wie Paulus sagt, «sei es gelegen oder ungelegen».

Wer die Botschaft Jesu verkündet, kann sich unbeliebt machen.  Bereits in der heutigen Lesung sehen wir, wie der Prophet Jeremia mehr als 600 Jahre vor Jesus mit seiner Botschaft angeeckt ist. Er hat gesagt, was Gott ihm aufgetragen hatte und nicht das, was der König von ihm erwartete.

So müssen auch die heutigen Verkünder der Frohbotschaft Jesu handeln. Sie müssen nicht Mächtige und Einflussreiche um Erlaubnis bitten.

Dann kann es eben zu Widerständen, zu Spaltungen kommen. Jesu Botschaft ist nicht immer harmlos, nicht weichgespült. Darum sprechen wir heute davon, dass der christliche Glaube nicht eine Wellness-, eine Wohlfühlreligion ist.

Ich habe gerade gestern beim Aufräumen von Predigtunterlagen dazu einen Artikel aus der Zeit der Rassentrennung in Südafrika gefunden. Der Autor, ein Theologe, geht davon aus, dass das damalige Apartheid-Regime ein Übel war. Und er betont: «Wo es Recht und Unrecht gibt, ist die klare Aufgabe eines Christen, sich in den Kampf einzumischen.»

Und dann eben, gibt es wie Jesus vorausgesagt hat, Spannungen, die wir aushalten müssen, ohne faule Kompromisse einzugehen. Dies und nichts anderes meint das heutige Evangelium.

Hier könnte meine Predigt zu Ende sein. Ich möchte noch etwas hinzufügen, das vielleicht etwas abweicht von dem, was ich gesagt habe. Aber es ist aus dem Leben gegriffen.

Vor einiger Zeit beklagte sich eine jüngere Frau im Sprechzimmer, sie werde von ihrer Umgebung immer klein gemacht. Immer hätte man Erwartungen an sie, die sie überforderten. Ich gab ihr den Rat, den ich am Eingang zu einem Münchner Obdachlosenviertel an eine Mauer gesprayt fand: «Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.»

Ich kann mich kaum erinnern, dass ein Zuspruch von mir ein solches Echo ausgelöst hat. Die Frau lächelte glücklich und war wie befreit.

Ja, auch wenn wir Spaltungen wie im heutigen Evangelium riskieren, müssen wir uns nicht alles bieten lassen, uns zur Schnecke machen zu lassen. Wir haben das Recht, uns selber zu sein. Darum: «Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.»

Elisabethenheim Luzern Sa 16.30; Stans: Kloster St. Klara, So 9.30; Pflegeheim Nägeligasse So. 10.40.

 

Die Bibel ruft nicht zur Gewalt auf. | © Walter Ludin, 2019
18. August 2019 | 15:36
von Walter Ludin
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Ein Gedanke zu „Ein missverständliches Sonntagsevangelium über Frieden und Spannungen.

  • Michael Bamberger sagt:

    Apropos Spaltung:

    Was würden Sie heute von einem Menschen halten, der herumzieht und ohne Unterlass alle Mitmenschen, die seine Lehren nicht befolgen, mit ewigen Höllenqualen droht?

    Und was würden Sie heute von einem Menschen halten, der von Ihnen folgendes verlangt?

    “Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.” (Lk 14,26-27)

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