Karin Reinmüller

Dreifaltigkeit persönlich

(Ein Beitrag basierend auf meiner Predigt in St. Benignus Pfäffikon am 30.5.)

ich habe einmal in einem Kurs eine ziemlich beeindruckende Übung zum Loslassen mitgemacht. Dazu hat jede zunächst auf zehn Zettel 10 Dinge geschrieben, die ihr, ihm wichtig sind. Dann hat man die geordnet, vom noch Unwichtigsten zum Wichtigsten. Und dann ging es in einer Meditation darum, sich der Reihe jeden einzelnen Zettel vorzunehmen, sich bewusst das vorzustellen, was da draufstand – und es dann loszulassen, wegzugeben, innerlich.

Auf meinem letzten Zettel stand mein Glaube. Und die Übung hat für mich damit geendet, dass ich ziemlich aufgelöst und ausser der Reihe zu einem Mitglied des Leitungsteams gegangen bin und gesagt hab «ich kann das nicht. Ich kann meinen Glauben nicht loslassen!» Woraufhin der mir erklärt hat, ich hätte die Übung falsch verstanden und mein Glaube sei gar keins der Dinge, die ich lernen sollte, loszulassen. Den dürfte ich ruhig behalten.

Der eigene Glaube kann etwas ungeheuer Wichtiges sein. Und auf das Thema Dreifaltigkeit, möchte ich unter diesem Aspekt eingehen. Der Begriff klingt sehr dürr und abstrakt, es geht darum, dass Gott im Christentum als drei Personen, Vater, Sohn und heiliger Geist gedacht wird, das löst keine Gefühle aus und erst recht keine freudigen, bei uns Heutigen.

Das war nicht immer so. Es gibt Berichte aus den frühen Jahrhunderten des Christentums, am Übergang von der Antike zum Mittelalter, dass die Menschen auf den Marktplätzen darüber diskutiert und gestritten haben, wer Jesus Christus ist und in welchem Verhältnis er zu Gott, dem Schöpfer-Vater steht. Darum geht es bei der Vorstellung der Dreifaltigkeit, über die sich dann langsam leider kein Konsens gebildet hat, sondern unterschiedliche Konfessionen. Das sind vorreformatorische Unterscheidungen, orientalischen Kirchen, zum Beispiel die Koptische Kirche in Ägypten, sind aus diesen Diskussionen ebenso hervorgegangen, wie die Kirchen des Westens. Interessanter als formale Zugehörigkeiten ist aber die Frage: Wer ist Jesus Christus für mich? Was kann ich von ihm glauben? Und: Gibt es etwas, worauf ich in meinem Glauben nicht verzichten kann?

Ich kann mir gut vorstellen, dass es solche Fragen waren, die die Menschen am Ende der Antike umgetrieben haben. Denn: Dass Gott im Himmel ist, war damals allgemeiner Konsens. Und ist der Glaube an eine Wesenheit oder eine Kraft, die im Universum anwesend und uns freundlich gesonnen ist, allen grösseren Religionen gemeinsam und darüber hinaus auch bei Menschen verbreitet, die sich nie als religiös sehen würden.

Wer Gott ist, dafür haben die meisten Menschen offenbar eine Intuition. Die schwierigere Frage ist, wer ist Jesus Christus? Und das ist nicht etwa inhaltlich oder womöglich dogmatisch schwierig – auch wenn es den Eindruck macht, als ob die Debatten darüber, was genau Dreifaltigkeit bedeutet, eher sehr theoretisch wären. Im Grund geht es nach meiner Überzeugung um etwas ganz anderes, was uns viel näher ist, nämlich darum, den Mut zu entwickeln, uns selbst positiv zu sehen.

Ich möchte versuchen, das zu erklären, und fange damit wieder in der Antike an: Dass Jesus ein aussergewöhnlicher Mensch war, mit einer ausserordentlich engen Beziehung zu Gott, stellt ihn in die Reihe der Prophetinnen und Propheten des Judentums und anderer Religionen. Dass ein Gott Menschengestalt annehmen kann, um Menschen zu helfen oder auch aus purer Freude am menschlichen Leben, war in der griechischen Antike, die das frühe Christentum geprägt hat, üblich. Beides war damals also problemlos denkbar. Nur: Beides in einer Person, nämlich in Jesus Christus, zu denken, wirft enorme Probleme auf. Die sind zum Teil dogmatischer Natur, es geht um göttliches All-Wissen und menschliche Lernbedürftigkeit, zwei-Naturen-Lehre ist das Stichwort, falls Sie mal was dazu lesen wollen.

Dahinter steckt aber Folgendes: Wenn ich mir den Menschen Jesus zugleich als meinen Gott denke, dann hat das Konsequenzen dafür, wie ich mich selbst sehe. Gott hat nicht nur grosse Prophetinnen geschickt, Gott hat sich nicht als Mensch verkleidet, zum Schein. Sondern er hat sich so sehr mit mir verbündet, mit meinem Mensch-Sein, dass er es teilt. Und das heisst im Umkehrschluss: Ich bin, mit meinem Leben, nicht nur wertvoll als Geschöpf Gottes – das bin ich auch, Gott liebt alles, was er gemacht hat, heisst es im Buch der Weisheit. Aber dass Jesus Mensch und Gott war, wertet mein Leben noch einmal ungeheuer auf.

Es gibt so viele Menschen, die sich selbst für wertlos halten. Ich vermute, dass die meisten Menschen durch mindestens eine Phase in ihrem Leben gehen, in dem sie an ihrem Wert zweifeln. Wir werden verachtet, vernachlässigt, gedemütigt, und all dieses Zerstörerische hat zur Folge, dass wir uns dann selbst nur unter Bedingungen einen Wert zumessen können. Unter der Bedingung, leistungsfähig zu sein, erfolgreich, beruflich oder privat, oder wenigstens – nicht anderen Menschen zur Last zu fallen. Ein nicht seltener Grund, weshalb Menschen über einen begleiteten Suizid nachdenken ist, dass die Vorstellung, in einer schweren Krankheit maximal hilfsbedürftig zu sein, unerträglich ist.

Und da, wo ich die Bedingungen, die ich mir selbst gesetzt habe, um mir einen Wert zuzumessen, nicht erfüllen kann, da ist Gott. Mensch. Lebendig. Der Mensch Jesus, der sich nicht helfen konnte am Ende seines Lebens, der nicht in der Lage war, vom Kreuz herabzusteigen, an dem er wahrscheinlich nackt hing, als zusätzliche Demütigung – dieser Mensch ist Gott. Und das Leben und Sterben dieses lebendigen Menschen zeigt, wie ein Leben zur Ehre Gottes aussieht. Aus der Antike, von Irenäus von Lyon, stammt der Satz «Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch». Lebendig zur Ehre Gottes bin ich vielleicht genau dann, wenn ich keine Bedingungen für meinen Wert erfüllen kann. Denn ein erfolgreiches Leben, in dem alles gelingt, erwartet man von einem Gott, der zum Schein Menschengestalt angenommen hat. Die Hilflosigkeit, das Nicht-Gelingen, ist das Zeichen der Menschlichkeit. Das gibt uns unseren Wert. Und darin, hat Jesus zugesagt, ist er bei uns alle Tage.

Bild: Maksym Kaharlytsky auf unsplash
1. Juni 2021 | 18:45
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Ein Gedanke zu „Dreifaltigkeit persönlich

  • karl stadler sagt:

    Eine sehr schöne Predigt, Frau Reinmüller, die Trost und Hoffnung ausstrahlt! Aber schwierig, sehr schwer zu verstehen! Und die Christen taten sich, wie Sie schreiben, bereits anlässlich des ersten Nicäums schwer mit diesen Fragen. Und doch: Bereits als Kleinkinder wurde uns eingeflösst: “Ehre sei dem Vater, dem…” oder “Im Namen des Vaters, und des…” etc. Zumeist habe ich mir nie etwas dabei gedacht, und wenn einmal ausnahmsweise doch, dann habe ich nichts verstanden. Und doch scheint diese Denkfigur im Christentum äusserst zentral zu sein. Doch die Vorstellung “eins im Wesen, im Sein, in der Substanz, aber dreifaltig in der Hypostase, in der Person, in der Konkretheit” ist einfach schwer zu begreifen. Dennoch, oft will einem scheinen, als handle es sich beim Ausdruck “Person” – jetzt nicht bloss bezogen auf die göttliche Dreifaltigkeit – nur um ein Gedankenkonstrukt. Zu denken wäre dabei nicht nur an das Gebiet des Rechts mit seinen Figuren der rechtlichen Persönlichkeit, sondern auch an die eigentlichen “natürlichen Personen” als biologische Phänomene. Stellt man sich ein solches Phänomen nicht als Substanz, vielmehr als ein biologisches Geschehen, als einen eigentlichen Prozessablauf mit all seinen physiologischen und psychischen Veränderungen vor, von der Zeugung bis zum Tod, dann drängt sich notwendig die Frage auf, was denn überhaupt das Substantielle an einer Persönlichkeit ausmachen könnte? Und im Gefolge, was denn, aus zeitlicher Distanz von Handlungen betrachtet, Begriffe wie “Schuld” und “Verantwortung” bedeuten würden, wenn man sie nicht im Kontext iuristischer Denkkonstrukte reflektieren würde?

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