Karin Reinmüller

Doppelbödiges mit Freidenker:innen

So werden sie in der Bibel natürlich nicht genannt, die Freidenker:innen, erst recht nicht im Buch der Weisheit, da heissen sie knapp «Frevler». Mitlesende mögen den Verfasser:innen verzeihen, dass sie es vor gut 2000 Jahren nicht besser wussten. Die für diesen Sonntag vorgesehene Lesung schnippelt das 2. Kapitel dieses Buches auf vermeintlich Gottesdienst-verträgliche Kürze, dabei lohnt sich das. Denn was die «Frevler» da so frei dachten, klingt ausgesprochen aktuell – «Durch Zufall sind wir geworden», «das Denken ein Funke beim Schlag unseres Herzens» – so viel anders wird das in der Hirnforschung heute mitunter nicht gesehen. Und die Schlussfolgerung, dass allein Stärke bestimmen soll und das Schwache nutzlos ist, klingt, als hätte sich Nietzsche von der Bibel inspieren lassen.

Noch spannender als die «Frevler» ist in diesem Text aber der Gerechte, der hat nämlich ein Problem: Er wird zum Versuchskaninchen eines zynischen Experiments, wird von den Frevlern erniedrigt, gefoltert und getötet, vorgeblich, um Gott zum Eingreifen zu bringen. Tatsächlich geht es denjenigen, die ihn quälen, nicht um den Nachweis der Nichtexistenz Gottes (an die glauben sie ja eh schon), sondern eher darum, diejenigen aus der Welt zu schaffen, die ihren «Stärke ist Trumpf»-Lebensstil in Frage stellen.

Und da fängt der doppelte Boden an: Denn wer immer diesen Text geschrieben hat, zählt sich zu den Gerechten – und weiss nur zu gut, dass Gott eben nicht dreinschlägt und sich als der noch Stärkere erweist, um seinen Gerechten zu retten. Und trotzdem glaubt er, wie die Frevler sagen, tatsächlich an eine Hilfe Gottes. Die funktioniert aber jenseits der Logik der Stärke. Und ist manchmal schwer zu ertragen. Denn dass der Gerechte ohne Gerechtigkeit behandelt wird, verhindert Gott ziemlich selten. Er beweist nicht seine Existenz, so wie es das Experiment will, denn damit würde er sich der Logik der Frevler unterwerfen. Gerade weil er Gott ist, und souverän, lässt er nicht über sich bestimmen. Und bleibt somit nicht nachweisbar. Nur erfahrbar im ihm-Trauen.

Raphael, Public domain, via Wikimedia Commons
19. September 2021 | 20:16
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 1 Min.
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Ein Gedanke zu „Doppelbödiges mit Freidenker:innen

  • stadler karl sagt:

    Mir sind genau diese Stellen immer ein wenig unduldsam, verurteilend, feindselig, herabmindernd gegenüber allem, was nicht dem jüdischen Gesetzesdenken entsprach, vorgekommen. Vieles spricht dafür, dass die Autorenschaft des Buches der Weisheit mit manchen Strömungen des Hellenismus bekannt war, zB. mit epikuräischen, aber auch stoischen Richtungen. Die Verse 2, 1-5 lassen dies jedenfalls vermuten. Sowohl die Stoa als auch der Epikuräismus standen dem jüdischen Gesetzesdenken und dessen Monotheismus zwar fern. Aber sie waren überhaupt nicht feindselig oder gar gewalttätig gegenüber andern Denkrichtungen eingestellt. Sie waren ja auch Freunde der “Weisheit”, Philosophen also. Der unduldsame Wahrheitsanspruch in diesem absoluten Sinn, wie er als Beispiel auch in Weisheit 13, 1-9 zum Ausdruck kommt, war dem hellenistischen Denken doch eher fremd. Mich dünkt, gerade in auch in diesem Buch kommt ein wenig zum Ausdruck, was später auch in das Christentum halbwegs Engang finden sollte, ein monotheistischer Ansatz, der in seiner Haltung andern Strömungen und Ansätzen nur wenig Raum liess und dadurch, wenn solches Denken auch mit weltlicher Macht ausgestattet ist, anfällig dafür war, sich mit Gewalt Einfluss zu verschaffen.

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