Heinz Angehrn

«St.Gallen Connection» ??

Ja was ist denn nun das, wenn ein konservatives polnisches Medienorgan Herrn Gänswein, Papstsekretär ausser Dienst, zu mafiösen Strukturen innerhalb der Kirche befragt, und da nicht etwa Orte wie Napoli, Reggio Calabria oder Corleone, sondern die biedere barocke Klosterstadt erwähnt wird? Mein Herz blutet ob solchen Zumutungen, bin ich doch in dieser Stadt geboren und aufgewachsen, und dann noch in der Dompfarrei, also in ihrem Herzen, und habe sie als harmlos rebellischer Gymnasiast nur insofern als «mafiös» empfunden, als dass die allmächtige KK-Partei (später CVP, heute «Mitte»…) alles im Griff hatte (manchmal gar die absolute Mehrheit im Grossen Rat, der Legislative des Kantons).

Doch nun seriös zur Sache: Es wird also gemunkt, dass sich in St.Gallen immer wieder eine Geheimgruppe hoher katholischer Würdenträger getroffen habe, um die Papstwahlen der Jahre 2005 und 2013 zu besprechen und zu beeinflussen und dass in beiden Fällen Jorge Mario Bergoglio SJ, der jetzige Papst Franziskus, ihr Favorit gewesen sei. Explizit werden etwa die Namen der verstorbenen Kardinäle Carlo Maria Martini (gestorben 2012), Karl Lehmann (gestorben 2018) und Godfried Danneels (gestorben 2019) genannt und als Belegquelle wird auf Memoiren von Danneels verwiesen. Ziel dieser Gruppe sei «eine drastische Reform der Kirche gewesen, die sie viel moderner gemacht hätte» (Zitat bei kath.net, schon 25.09.2015).

Ist das nun eine wilde Räubergeschichte, wie sie der Feder eines eloquenten Mitglieds der konservativ-katholikalen Gruppe, die unsere Kirche in die Zeit vor der Aufklärung zurück und heim führen will, entsprungen sein könnte? Oder steckt da ein Körnchen Wahrheit dahinter? Ich als im Bistum St.Gallen Beheimateter plädiere für das zweite, denn hinter dieser «St.Gallen Connection» steht natürlich ein Name, der des 2022 verstorbenen Altbischofs Ivo Fürer (im Amt von 1995 bis 2005), der es nie bis zum Kardinal geschafft hat. Wenn die Gruppe sich in St.Gallen traf, dann war er sicher immer dabei, wenn nicht gar eine der treibenden Kräfte. Ich will dies anhand seiner speziellen Biographie verdeutlichen.

Ivo Fürer stammte aus katholischem St.Galler «Adel», eben aus der eingangs genannten KK-Welt. Er war ein gescheiter Kirchenrechtler und Diplomat, der nicht für die Feld-, Wald- und Wiesenseelsorge, sondern für höhere Weihen prädestiniert war. So war er als Bischofsvikar auch bei der Schweizer Synode 72, die dem Vaticanum II folgte, an führender und strategisch planender Stelle im Amt. Und 1976 war er darum der Favorit der fortschrittlichen Fraktion für das Bischofsamt. Doch als Kompromisskandidat wurde Otmar Mäder gewählt, und Ivo befand sich karrieremässig auf einem Abstellgleis. Genau da und darum begann sein steiler Ein- und Aufstieg in die Gremien der europäischen Kirche, exakter im CCEE, dem Rat der europäischen Bischofskonferenzen, dessen Sekretär er während vielen Jahren war und dabei das Sekretariat ständig in St.Gallen (übrigens bis heute finanziert von der Kantonalkirche!) etablierte. Ich habe selber miterlebt, wie er quer durch den Kontinent reiste, Kontakte knüpfte und so eben auch Netzwerke schuf. Das war damals die Welt, von der er begeistert und ausführlich erzählen konnte, nicht etwa unser bescheidenes Bistum mit seinen bescheidenen Herausforderungen. In den Gesprächen, die wir mit ihm führen konnten/durften, wurde immer stärker sein Unbehagen über den zentralistischen Kurs, den Johannes Paul II. steuerte, ein Kurs, der die Interessen und das historische Wachstum der einzelnen Ortskirchen nicht respektierte, deutlich. Recht zynisch war auch seine Anmerkung, dass es nicht gut sei, wenn ein Pontifikat sehr lange daure. Zwischen den Zeilen hörte/las ich auch, dass JP II den CCEE an die kurze Kette legen oder aber zumindest das Sekretariat von St.Gallen nach Rom verlegen wolle.

Soweit meine Erinnerungen. In diesen Jahren als Generalsekretär (1977-1995) erlebte Ivo Fürer vor allem die Kardinäle Basil Hume (1979-1986) und Carlo Maria Martini (1986-1993) als Präsidenten und arbeitete mit beiden intensiv und gut zusammen. Seine Bischofsweihe 1995 war eine riesige Ansammlung von Kirchenfürsten, ein echtes «Who is who».

Conclusio: Wenn wir also nach Wurzeln einer «St.Gallen Connection» suchen, müssen wir nicht in mafiösem Dunkel stochern, sondern erkennen sie im hellsten Licht europäischen Kirchenlebens, im CCEE. Und es darf schon gefragt werden, ob das, was Leute wie Hume, Martini und Lehmann an Sorgen über den Zustand der Kirche austauschten, wirklich so subversiv oder gar häretisch war. Das war eine so konservativ-bürgerliche Welt, die sich da begegnete und gegenseitig bestätigte, dass sicher nichts Revolutionäres entstehen konnte. Vielleicht aber, und das Wort fürchten die Konservativen und Neukonservativen wie der Teufel das Weihwasser, dachten sie eben liberal und arbeiteten an einer Kirche, die dem Ideal der «offenen Gesellschaft» eher entsprach?

Bildquellen

  • : pixabay.com
13. Juni 2023 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Ein Gedanke zu „“St.Gallen Connection” ??

  • stadler karl sagt:

    Ja, diese KK-Welt, die habe ich andernorts als Bube auch mitbekommen; die in ihren politischen Landen alle Lebensbereiche, auch das Denken, zu beeinflussen, teilweise gar zu bestimmen versuchte. Und dies nicht zuletzt teilweise auch mit Hilfe von kirchlichen Instanzen. Umso unheimlicher ist es, wenn wiederum heute im gesellschaftlich-politischen Umfeld Strömungen mit sehr ähnlichen Bestrebungen beobachtet werden können, wenn auch mit anderer politischen Stossrichtung, aber keineswegs weniger getragen von der Überzeugung, den einzigen Weg zur Wahrheit zu beschreiten.

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