Heinz Angehrn

Die «Quellen der Offenbarung»

Schnell schleicht es an uns heran, ein neues theologisch-kirchliches Unheil, das nun wirklich die Kraft zur Kirchenspaltung hat. Dem Schreibenden ging es nicht anders als wohl Ihnen, liebe hier Lesende: Bei Martin Grichtings Aussagen in der NZZ (vgl. meine Replik hier vom 19.08.) wunderte ich mich ob dieser absurden Theorie, ärgerte mich aber insbesondere darüber, dass Karl Barth (mit dem Begriff des Bekenntnisses) als Referenz herangerufen wurde, doch dachte ich mir und deutete auch so, dass dies nach wie vor ein Reflex auf diverse Vorkommnisse um den Churer Bischofssitz darstellte. Irrtum, ein folgenschwerer!

Nun mit Kurt Kochs Aussagen im Interview mit der «Tagespost» wird klar, dass es der Rechten um mehr geht, nämlich das Wesen dessen, was wir «Offenbarung» im Christentum und und in den christlichen Kirchen nennen, neu zu definieren und bewusst abzugrenzen.
Und wenn Offenbarung (verstanden als das Fundament, auf dem eine Religion bzw. Kircher sicher ruht) grundverschieden gedeutet und im Verständnis gefordert wird, dann ist eine Spaltung nicht mehr weit. Dass KK dabei auch noch zum rhetorischen Zweihänder griff und die Deutschen Christen der Epoche 1932 bis 1945 mit den synodalen Prozessen in deutschsprachigen Diözesen verglich, ist hier in meinem Beitrag ob aller medialen Aufregung zu vernachlässigen. Denn wenn derart übel polemisiert wird, dann geht es um das Wesentliche. Und Grichtings Barth-Verweis bekommt jetzt seine eigentliche Deutung.

Kommen wir auf dieses Wesentliche zu sprechen. Die Quellen christlicher Offenbarung, darin geht wohl jede/r anständige Theologe/in mit KK überein, sind die Heiligen Schriften unserer Religion, sprich die 73 kanonisierten biblischen Bücher, und die Dogmen der christlichen Konzilien im ersten Jahrtausend. (Warum ich im 11.Jahrhundert abbreche, hat damit zu tun, dass m.E. die Abspaltungen und Reformationen der Folgezeit es uns verunmöglichen, von «Quellen» christlicher Offenbarung zu sprechen, vielmehr sind dies noch Quellen konfessioneller Offenbarung.)
All diese Texte sind nun über 1000 Jahre alt und bedürfen darum immer der Übersetzung in das Denken und Sprechen der aktuellen Zeit, bedürfen darum der wissenschaftlich korrekten Übersetzung mit den Mitteln der Geschichts-, Sprach- und Naturwissenschaften. Solche Übersetzung muss ideologiefrei sein und darf keinerlei Gefälligkeit an irgendeinen Zeitgeist sein. Sonst sind wir dann wirklich bei den Deutschen Christen oder den Evangelikalen/Katholikalen angelangt. Jedoch ist ganz offensichtlich, dass jede solche Übersetzung heute eine im Geiste der Neuzeit sein muss, der Neuzeit, die mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, der Französischen Revolution und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, alles Entwicklungen auf Basis des jüdisch-christlichen Menschenbildes, begann. Die Gleichberechtigung der Geschlechter und der sexuellen Orientierungen etwa steht nicht zur Disposition, die Offenbarung muss weitergedacht werden (wofür gibt es dann Gen 1 und Gal 3?).

Ich komme nun nicht umhin, da KK so emsig ins Vokabular der deutschen Theologie greift, mit meiner Varianter der Barmer Erklärung von 1934 zu reagieren und zu provozieren. Etwa so:

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse unsere Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben dem einen Worte Gottes auch noch später formulierte Lehrmeinungen und Rechtsnormen als gleichwertige Offenbarung anerkennen.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern der eigenen Institution zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern historisch bedingten Lehrmeinungen zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete geistige Führer geben und geben lassen.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne ein weltliches Gebilde, sei es Staat oder Kirche, den Ursprungswillen des Gründers umdeuten kann.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.

Ich schätze, ja fordere die inhaltliche Diskussion zu diesen 2022er-Thesen.

Bildquellen

  • : pixabay.com
2. Oktober 2022 | 11:15
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Ein Gedanke zu „Die “Quellen der Offenbarung”

  • stadler karl sagt:

    Vorerst eine Anmerkung: Es scheint einem als Laien schon ein wenig befremdlich, wie auf kath.ch als Reaktion auf die Äusserung von Koch der Diskurs geführt wird betreffend seine theologischen Intentionen in der Bewertung des SW. Zugegeben, es war unglücklich, dass Koch als Beispiel den Hinweis auf die “Deutschen Christen” und deren Leitlinien gewählt hat und nachdoppelte, dass derartiges wiederum in Deutschland passiere. Er müsste eigentlich wissen, dass alle, die innerhalb einer Auseinandersetzung solche historische Bezugnahmen vorbringen, sich fast unvermeidbar auf Glatteis begeben und potentiell riesige Angriffsflächen eröffnen.
    Aber keinesfalls weniger unglücklich ist es, dass nun weite Teile der Theologenzunft diese Gelegenheit nutzen, um dem ranghohen Amtsinhaber zu unterstellen, er wolle implizit dem SW in Deutschland halbwegs eine versteckte Geistesverwandtschaft mit der damaligen Glaubensbewegung unterstellen. Das liegt dem eher konservativen Koch offensichtlich gewiss nicht weniger fern als den progressiven Kräften. Für mich ist es eine weitere Bestätigung, dass die Theologenschaft um nichts fähiger erscheint, ein Streitthema in einem elenktischen Diskurs auszufechten, als es die Politik im säkularen Bereich ist und dass manche Meinungsführer genauso darauf aus sind, die Gegnerschaft in verdächtige Zusammenhänge zu rücken.
    Als Aussenstehender ist Ihre dritte These nur schwer sofort mitzutragen. Sind wir nicht alle, wie bereits unsere Vorfahren, zuerst einmal Kinder unserer Zeit?
    Werden wir, ob uns das bewusst ist und ob wir das wollen, nicht zuerst einmal durch das geprägt und beeinflusst, was unsere Zeit bewegt? Und bilden nicht gerade solche gesellschaftlichen Prozesse, die ohne Unterbruch im Fluss sind, letztlich die viel beschworenen “Zeichen der Zeit”? Und Zeichen der Zeit gibt es doch in äusserst vielfältiger Weise und Formen, sodass man dazu neigt, wäre man gläubig, Koch zuzustimmen, dass es vorerst einmal diese Zeichen zu lesen gilt im Lichte der “Quellen der Offenbarung”. An was es liegt, dass die einen die Auslegung dieser Quellen eher in einem starren oder engen Duktus vornehmen, was ihnen in der Regel das Prädikat “konservativ” wenn nicht gar “legalistisch” einbringt, ist schwer auszumachen. Es kann vielleicht auch mit der je eigenen Sozialisation zu tun haben. Aber selbst wenn es jemandem näher liegt, die Auslegung der Schrift oder Überlieferung flexibel, “der Zeit naher” auszulegen oder gar manche “Zeichen der Zeit” zu Quellen der Offenbarung zu erheben, und sie als “Glaubenssinn” oder sensus fidei fidelium zu qualifizieren, wie das Thomas Söding und viele Kräfte im SW offenbar tun, eröffnet sich die Frage, wie es letztlich um die Frage des Wahrheitsanspruches bestellt ist, den die Kirche, übrigens unübersehbar auch der SW, vertritt? Diese Frage bereitet Mühe! Dass Kulturen, Gesellschaften, Wertvorstellungen, Ethiken und Moralen beständig im Fluss sind, kann wohl niemand gänzlich bestreiten, handelt es sich doch um empirisch überprüfbare soziale Tatsachen. Dass Teilen davon “objektiver Wahrheitswert” im Sinne einer göttlichen Offenbarung, eines göttlichen Willens oder naturrechtlichen Geltung zuerkannt wird, will jedoch insofern als fragwürdig erscheinen, als die Sicherung mancher Werthaltungen nicht selten mit Sanktionen bewehrt festgeschrieben ist. Im Bereich der Sexualmoral, ein geradezu klassisches Thema des je eigenen Lebensbereichs, gibt es viele solcher Beispiele. Persönlich meine ich, dass hier der Positivismus nicht weniger Wahrheit zu beanspruchen vermöchte als die Theologie konservativer oder progressiver Provenienz oder auch manche philosophische Richtungen wie z.B. die Frankfurter Schule. Bedeutet denn die faktisch normative Geltung und Durchsetzungskraft einer Norm wirklich mehr als eine empirisch überprüfbare soziale Tatsache? Und kann überhaupt, im strengen Sinn, einem normativen Sachverhalt, welcher Art auch immer, wirklich “Wahrheitsgehalt” zugesprochen werden? Vermag ein Wahrheitsanspruch im normativen Bereich einer mit Wahrheit verbundenen Kohärenz oder Korrespondenz jemals zu genügen? Es sind nicht zuletzt auch solche Fragen, die zu Verunsicherung und Orientierungsproblem beitragen.

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