Heinz Angehrn

Die Grichting-Theorie zum x-ten Male

Wieder hat die NZZ (13.August, an prominenter Stelle in «Meinung und Debatte, S.21) Martin Grichting die Gelegenheit gegeben, seine Sicht des Schweizer dualen Kirchensystems, diesmal mit Verweisen auf den synodalen Prozess in den Diözesen Deutschlands und Analysen des Zustands der evangelischen Landeskirchen in der Schweiz, darzustellen, eine Sicht, die wir von ihm nun schon in mehrfacher Wiederholung lesen und hören durften. Nur: Durch das immer wiederkehrende Wiederholen von provokanten Thesen werden diese weder besser, wahrer noch plausibler. Spannend immerhin, dass diesmal Karl Barth ausführlich erwähnt wird, immer wieder mit seinem Terminus «Bekenntnis».

Man(n) erlaube dem Blogger, hier einmal seine ganz unbedarfte Erklärung, was denn den ehemaligen Churer Generalvikar (und immer noch Domherr) antreibt, wenn er sich in diese Materie verbeisst und immer und immer wieder seine These wiederholt, dass sich die Deutschschweizer Katholische Kirche auf dem Holzweg, sprich im Gefolge ihrer evangelischen Schwesterkirche auf dem Weg zum gänzlich säkularisierten Häuflein der Ungläubigen, aber materiell Besitzenden, befindet.

[Man(n) erlaube mir weiterhin noch die Vorbemerkung, dass ich persönlich es völlig absurd finde, diese zwei Lebens- und Gedankenwelten, die ich seit früher Kindheit gut kenne, das zwinglianische Leben und Denken ohne Symbole und ohne pralles Leben, aber angefüllt mit unentwegtem Reden und Belehren, mit dem äussert barocken Schweizer Katholizismus, in dem das Predigen irrelevant ist, aber der Weihrauch umso besser schmeckt, zu vergleichen! Wäre ich evangelisch sozialisiert worden, ich hätte nie Theologie studiert.]

Zurück aber nun zum ehemaligen Churer GV, aufgewachsen in der Zwingli-Stadt Zürich, kirchlich sozialisiert unter Johannes Paul II. und Wolfgang Haas. Warum immer wieder diese These, dass sich der Katholizismus ins gleiche Unheil stürzt wie der Zwinglianismus? Einmal sicher seine damalige Stellung am Zürcher Gymnasium, er, der Katholik mit Übernamen «Papst», inmitten einer anders sozialisierten Mehrheit. Dann und gewichtiger die Vasallentreue zum Erbschleicher in Chur, der inkompetent aber eifrig des alten misstrauischen Bischofs Gunst sich gewann und in eklatanter Umgehung geltender Normen sich die Mitra aufsetzen wollte, woran ihn niemand hindern konnte, worauf dann diese bösen zwinglianisch infizierten Zürcher ihm die Finanzen entzogen. So machte MG sich denn daran, sein opus magnum zu schaffen (St.Ottilien 2007), eine wissenschaftliche Arbeit zur Frage, wem in der Kirche deren materiellen Güter gehören würden (ich hab sie gelesen, die Arbeit, sie ward mir geschenkt…).

Und so entstand die These, dass sich die katholische Kirche dem Teufel anbiedert, wenn sie nicht ständig in direkter Linie den Befehlen Roms gehorcht, sondern eine Laienschaft mit demokratischer Verfasstheit mitbestimmen lässt. Grichting verwendete zur Stützung der These listig und lustig Belege aus der Entstehungszeit der Diözesen in den Vereinigten Staaten, wo die frisch zugewanderten Iren und Italiener sich «eigene» Priester aus ihrer Heimat in die Gemeinden holten, statt den mit monatelanger Verspätung eintreffenden Depeschen Roms zu gehorchen.
Was für eine absurde Verdrehung der geschichtlichen Situation! Die Goldgräberjahre in den Staaten mit all ihrem Wildwuchs mit dem in Jahrhunderten gewachsenen System von landwirtschaftlichen, staatlichen und religiösen Genossenschaften in den Tälern der Eidgenossenschaft (etwa die patriziati hier im Tessin) zu vergleichen!

Es ist dies eine gänzlich unhistorische und rein ideologische These, die uns hier dargeboten wird. Nur um vom Fehlverhalten Roms und einiger Intriganten in der causa Haas abzulenken, dieses gänzlich absurde Konstrukt. Schade für den Intellektuellen, den gut formulierenden Autor.

Nie wird die Deutschschweizer Katholische Kirche zwinglianisch werden, das ist ihr zuwider, etwa dieser vorauseilende Gehorsam gegenüber der FDP-Obrigkeit und schon gar diese öde Liturgie ohne Seele. Nie hoffentlich wird Ökumene in unserem Land «ökonomisch motiviert» sein, das gilt doch eher für das Zusammenleben von Economosuisse und Bauernverband.
Und nie, aber gar nie, wird eine christliche Kirche ihren Bekenntnischarakter in und vor einer säkularen, materiell-heidnischen Welt verlieren dürfen. Solches Bekenntnis ist aber neutestamentlich-jesuanisch und nicht kirchenrechtlich-doktrinär zu verstehen. Da geht es sicher nicht um Bischofsernennungen, aber um Menschenrechte und Menschenwürde. Barth hat dem Totalitarismus widerstanden, nicht der Demokratie. Es ist ein grobes Unrecht, ihn hier zum Zeugen zu berufen.

Wenn wir schon von einer Kirche sprechen wollen, die irrelevant und nicht mehr gehört wird, dann gilt immer noch das Rahner-Zitat, dass der/die Christ/in der Zukunft Mystiker/in sein oder nicht mehr sein wird. Da hat die katholische Kirche immer noch gute Chancen…

Bildquellen

  • : pixabay.com
19. August 2022 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 3 Min.
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5 Gedanken zu „Die Grichting-Theorie zum x-ten Male

  • Niklaus Schmid sagt:

    Lieber Heinz
    Da kann ich dir nur zu 100% zustimmen.

    (Es bleibt nur eine Frage: Soll das besonders liberal sein, wenn die NZZ am Sonntag einem randständigen Katholiken mit Minderheitsmeinung immer und immer wieder so übermässig viel Platz einräumt?)

  • stadler karl sagt:

    Das wäre völlig neu, dass sich die Kirche immer nur dann dem Teufel anbiedert, wenn sie nicht den direkten Anweisungen Roms folgt. Keineswegs neu ist aber, und nicht weniger abwegig, dass die Kirche in ihrer Geschichte nur allzu oft dazu neigte, und das bis in die neuste Zeit, sich gesellschaftlichen oder politischen Kräften anzubiedern, wenn das zur Stärkung ihrer Macht und ihres gesellschaftlichen Einflusses beitragen konnte. Und sie produzierte – und produziert immer noch – so laufend Minderheiten, machte nicht wenigen Menschen das Leben schwer. Heute, wo ihr dieser direkte Einfluss weitgehend abhanden gekommen ist, versteht sie sich dennoch als Verstärker des Wandels gesellschaftlicher Wertvorstellungen und versucht, sich nahtlos in derartige gesellschaftliche Prozesse einzufügen, um ihre Existenz einigermassen zu retten. Das wäre im Grunde alles verständlich, wenn es nicht weiterhin – wie immer in der Kirchengeschichte – mit dem Anspruch und unter Berufung auf den Nazarener geschehen würde, den Menschen “wahrheitsgestützte” moralische Leitplanken vorgeben zu müssen. Und statt endlich sich von ihrer präskriptiven Grundhaltung den Menschen gegenüber zu befreien, übt sie sich in Reformeifer und wandelt sich wie ein Chamäleon. Da kann man sich schon fragen, wenn auch unter einer etwas andern Perspektive, als Herr Grichting es tut, warum eigentlich sich der Staat dafür interessieren sollte?

  • Heinz Angehrn sagt:

    Apropos: Ich habe mich bei Herrn Gujer erkundigt, wie sich denn die Chefredaktion der NZZ zur Sache stellt. Er hat sehr höflich geantwortet. Sein Argument: Die NZZ habe immer wieder Beiträge veröffentlicht, die “sich sehr kritisch mit dem Bistum Chur und Martin Grichting auseinandersetzten”. Die gelegentlichen Beiträge von MG, der nicht Kolumnist der NZZ sei, würden den (von mir geforderten) Grundsatz “audiatur altera pars” mit Leben erfüllen. Der NZZ sei wie mir “eine offene Debatte ohne ideologische Scheuklappen wichtig”.
    Diese Antwort ist zu akzeptieren. Ich bleibe aber am Ball und versuche, vermehrt auf das föderal-basisnahe Wachsen unserer genossenschaftsähnlichen Institutionen zu fokussieren. Mehr folgt nach einem Kurzaufenthalt auf dem Zauberberg oben.

  • Endlich komme ich wieder mals dazu in deinen Blogg zu schauen.
    Bin seit der Pensionierung stark mit unserm Permakulturgarten (www.schmittengareten.org) beschäftigt. Ist eindeutig lebenspendender theologische Ideologien!
    Du hast da gekonnt pariert.
    Ich verstehe nicht, er als Zürcher solche nach-mittelalterliche Feindbilder entwickeln kann.
    Solch römische Doktrin rettet die Kirche sicher nicht.
    enlieb Gruss us Ernetschwil
    Hans Hüppi

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