Heinz Angehrn

Nicht noch ein Fall Loppacher

Ob es überhaupt zu einem solchen kommen wird, werden uns die nächsten Wochen weisen. Auf jeden Fall lohnt es sich, hier genau hinzuhören und hinzuschauen. Denn die klassischen Mechanismen des Apparats Katholische Kirche werden auch hier wieder erkennbar, ihre seltsame und abstossende Mischung von Idealisieren, (Ver)Schweigen, Vertuschen, Hinauszögern und doch Sanktionieren, wenn ein «geliebter Sohn» zu ehrlich und deutlich wird.

(Vorbemerkung: Ich kenne Herrn Loppacher nicht persönlich, bin also weder befangen noch zur Vertraulichkeit verpflichtet. Was ich hier schreibe, basiert auf dem Material, das allgemein öffentlich zugänglich ist.)

Herr Loppacher, Jahrgang 1979, Priester des Bistums Chur (Weihe 2006), promovierter Kirchenrechtler und Präventionsbeauftragter in diversen Funktionen für Bistum und Kantonalkirchen, ist in den letzten Monaten seit der Präsentation des Pilotprojekt-Berichtes anfangs September verschiedentlich in den Medien aufgetreten, hat an Diskussionsrunden teilgenommen und Interviews gegeben.

Dabei hat er sich in mehrfachem Sinn geoutet, zunächst mit harscher Kritik am System, dann hat er bekanntgegeben, dass er in einer Beziehung mit einer Frau lebt, dass der Bischof von seiner Situation wisse, dass er seine priesterlichen Funktionen schon länger nicht mehr ausübt und auch nicht mehr an katholischen Gottesdiensten teilnimmt. «Dieser Priester hat sich von Gott verabschiedet», so titelte dann der Beobachter (so plump). Aber man/Männer wird/wurden aufmerksam. Und kirchenintern gilt jetzt wohl: Er steht zur Diskussion, zur Disposition?

Hinter diesen recht harten Fakten, auch dem für unsere katholischen Verhältnisse raschen Wandel zwischen 2006 und heute, steht ein Phänomen, dem wir immer mehr begegnen. Herr Loppacher ist als junger Mann via eine katholikale Gemeinschaft, die «Servi della sofferenza» (die sich auf den heiligen Padre Pio beruft), näher zur Kirche und schliesslich zum Priestertum gekommen. Er berichtet im Nachhinein vom Ausnützen einer Lebenskrise, von spirituell-geistlichem Missbrauch (etwa via das Beichtsakrament), den er in dieser Gemeinschaft erfahren hat und wie er sich nur mühsam von ihr lösen konnte. Sein radikaler jetziger Sinneswechsel kann so verstanden werden als Abrechnung mit einem Apparat, der es ihm verunmöglichte, als ganz normaler junger Mann in dieser Welt seinen Platz finden zu können.
(Gewisse Zusammenhänge werden uns klar, wenn wir im Internet erfahren, dass der Verein der Servi in der Schweiz seinen Sitz am Hof 10 in Chur hat…)

Es ist offensichtlich, dass in unserer Kirche, weil der «ordentliche Zugang» an Priestern während Jahrhunderten, sprich der freiwillige Entscheid von Gymnasiasten mit guten Abschlüssen, seit bald dreissig Jahren völlig versiegt ist, inzwischen auf dubiose Weise und mittels dubioser Gruppen nach möglichen Priesterkandidaten gefischt wird, die noch bereit sind, den Zölibat zu leben. Wer etwa das Buch von Wolfgang F. Rothe (»Missbrauchte Kirche») gelesen hat, begegnet dem Phänomen auch dort. Das System wurde in der Schweiz ja durch Bischof Haas hoffähig gemacht, der in seinem Umfeld alle in den übrigen deutschsprachigen Diözesen abgewiesenen Bewerber versammelte, eine Altlast, mit der die Bistümer Chur und Vaduz nun leben müssen.

(Der hier Schreibende mit Jahrgang 1955 und Weihedatum 1981 ist noch im «alten» System ohne Gehirnwäsche und Beicht-Überwachung herangewachsen. Seine Geschichte lastet er deshalb dem System nur zu 50% und zu den anderen 50% sich selber an. Aber Herr Loppacher war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, und zack schlug die Falle zu.)

Bildquellen

  • : pixabay.com
16. Januar 2024 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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2 Gedanken zu „Nicht noch ein Fall Loppacher

  • Critics sagt:

    Das ist jetzt aber schon ein wenig eine vereinfachte Sicht. Ohne Hr. Loppacher seine Leidensgeschichte absprechen zu wollen gilt aber gleichwohl danach zu fragen, was er denn jetzt eigentlich will – man hat das Gefühl es ist die öffentliche Aufarbeitung/Abrechnung? der eigenen psychischen Probleme und Lebenskrisen. Denn wäre er konsequent und hat erkannt, wie sehr ihn diese radikale Gemeinschaft von einer “normalen” Entwicklung abehalten und dass er auch deswegen seit Jahr(zenten) eigentlich nichts mehr mit Kirche anfangen kann, sollte er austreten (irgendwann ist nicht immer nur der der andere Schuld und muss man Verantwortung übernehmen), dann kann er mit einer Partnerin zusammenleben oder sonst auch immer tun was er will. Aber sich weiterhin anstellen zu lassen und innerhalb des Systems ständig dagegen schiessen bis man dann wirklich untragbar geworden ist und dann gegangen wird ist doch auch würdelos. Er und seine Befürworter argumentieren dann noch besonders aus der Opferrolle heraus, er mache alles für die Missbrauchsaufarbeiten, die jedoch wie das beim personalisieren wie in Medien üblich langsam hinter seiner eigenen Causa verschwinden, zumal ich bis heute nicht verstehe, was ihn oder die damalige Mitarbeiterin, eine Umweltwissenschaftlerin und er Kirchenrechtler besonders qualifizieren diese wichtige Aufgabe auszuführen. Da müssten echte Experten z.b eine Psyachiaterin hin. Belastend und auch unfair ist das ganze hin -und her auch für die normalen Ortskirchen und Pfarreien vor Ort, die nichts mit seinem spezifischen sektenartigen Fall zu tun haben, aber da in einen Topf mithineingeworfen werden.

    Zum zweiten letzten Abschnitt würde ich zustimmen, Priesteramtskandidaten rekurtieren sich zunehmend aus fragwürdigen Sondermilieus. Hier kann nur eine mittlerweile überfällige Anpassung der Lehre an die humanwissenschaftlichen und theologischen Erkenntnisse von heute helfen, auch dann kommen so tragisch-schräge Fälle wie der oben genannte hoffenltich nicht mehr vor.

    • Heinz Angehrn sagt:

      Da, lieber “Critics”, gebe ich Ihnen recht. Der Sinn meines Textes war/ist, Fragen zu stellen. Wie weit/lang sind wir Opfer, und ab wann nicht mehr? Lesen wir bei Herrn Rothe, lesen wir von Panik. Diese Institution kann erdrücken/”vergewaltigen”. Da bin ich aufmerksam. Lesen wir bei Herrn Loppacher, lesen wir von Sicher-Sein, von Überzeugung. Das müssen wir deuten.
      Aber: Diese “Sondermilieus” gehören strengstens überprüft. Wer schaut da hin?

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